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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Die Entwicklung der Leudalität und das deutsche Kriegswesen im frühen Mittelalter.

Am Vorabende der germanischen Eroberung Galliens befand sich also der
Grund und Boden dieses Landes so zu sagen gleichzeitig in drei Händen: in
denen der ciomini, welche Eigenthümer und Patrone waren, in denen der Bene-
ficiate", welche sich als Nutznießer und Clienten darstellen, und in denen der
unfreien Cvlonen und Sklaven, welche den Acker thatsächlich bestellten. -- Wie
verhielten sich nun die Franken?

Eine Depossedirung des gesammten gallisch-romanischen Volkes im altrömischen
Sinne trat nicht ein und konnte nicht eintreten, denn es hatte sich ja nur zum
Theil um eine Unterwerfung gehandelt, während Chlodowcch andrerseits An¬
spruch darauf erhob, legaler Nachfolger der frühern römischen Statthalter zu
sein. Ans diesem Grunde gestalteten die Dinge sich auch anders als unter deu
Gothen und Burgunden, bei denen jeder Römer dem Germanen, welcher auf
seinen Hof angewiesen worden war, zwei Drittel des Ackers und die Hälfte des
Waldes abtreten mußte. Dergleichen scheint nicht geschehen zu sein. Wohl aber
fiel dem Könige zunächst die Masse der fiscnlischen Besitzungen als Krongut zu,
und dies wurde nach und nach noch außerordentlich vermehrt aus der Landbente der
Gefallnen und Ausgewanderten sowohl im eigentlichen Gallien als in den später
eroberten alamannischen, thüringischen und bairischen Gebieten, so daß den Königen
ungeheure Gütercomplexe zur Verfügung standen. Von diesem reichen Besitze
verliehen sie nun einen großen Theil als Allode*) (MnÄi äormti), d. h. zu freiem
Eigen, an solche Männer, welche ihnen Dienste geleistet, vor allem natürlich und
am reichlichsten an die Genossen ihres Comitates. Da sich nun die Deutschen
schon in den letzten Jahrhunderten des römischen Westreiches daran gewöhnt
hatten, den Imperatoren gegen verliehenen Grundbesitz Kriegsdienst zu leisten,
sogar gegen die eignen Volksgenossen, so verstand es sich gleichsam von selbst,
daß jeder, der vom Könige mit Landbesitz ausgestattet worden war, sich dafür
dein Herrscher namentlich zur Kriegshilfe für verbunden erachtete, und es dürfte
in der That kaum zu bezweifeln sein, daß die Mernwinger ebenso gut ihren
lidör bMöüoioruili führten wie die Cäsaren. Die reiche Ausstattung mit Grund¬
besitz gab aber nun der bevorzugten Stellung des Comitates erst den rechten
Halt, die wirthschaftliche Basis. Bald erhoben Trüstis und Beamtenschaft sich
auf den Grundlagen der Tapferkeit, des Amtes und des Besitzes zu einem be¬
vorrechteten Stande; bald erkannte man allgemein, daß der Königsdienst ein
sicherer Weg zu Macht und Wohlstand sei, und so brach sich nach und nach
die Ausicht Bahn, daß solche Dienstbarkeit den Vorzug verdiene vor der alten
Freiheit. Nicht lange, so erschien das servitium vornehmer als die unbedingte
Selbständigkeit der schlichten Freisassen, und dadurch erhoben sich um die Be¬
amten und Autrustivnen zu einem neuen Adel, einem Dienstadel, der einiger¬
maßen dem Begriffe der uobilitas entsprach, welcher bei den Römern den Amts-



*) All-ob ganz eigen.
Die Entwicklung der Leudalität und das deutsche Kriegswesen im frühen Mittelalter.

Am Vorabende der germanischen Eroberung Galliens befand sich also der
Grund und Boden dieses Landes so zu sagen gleichzeitig in drei Händen: in
denen der ciomini, welche Eigenthümer und Patrone waren, in denen der Bene-
ficiate», welche sich als Nutznießer und Clienten darstellen, und in denen der
unfreien Cvlonen und Sklaven, welche den Acker thatsächlich bestellten. — Wie
verhielten sich nun die Franken?

Eine Depossedirung des gesammten gallisch-romanischen Volkes im altrömischen
Sinne trat nicht ein und konnte nicht eintreten, denn es hatte sich ja nur zum
Theil um eine Unterwerfung gehandelt, während Chlodowcch andrerseits An¬
spruch darauf erhob, legaler Nachfolger der frühern römischen Statthalter zu
sein. Ans diesem Grunde gestalteten die Dinge sich auch anders als unter deu
Gothen und Burgunden, bei denen jeder Römer dem Germanen, welcher auf
seinen Hof angewiesen worden war, zwei Drittel des Ackers und die Hälfte des
Waldes abtreten mußte. Dergleichen scheint nicht geschehen zu sein. Wohl aber
fiel dem Könige zunächst die Masse der fiscnlischen Besitzungen als Krongut zu,
und dies wurde nach und nach noch außerordentlich vermehrt aus der Landbente der
Gefallnen und Ausgewanderten sowohl im eigentlichen Gallien als in den später
eroberten alamannischen, thüringischen und bairischen Gebieten, so daß den Königen
ungeheure Gütercomplexe zur Verfügung standen. Von diesem reichen Besitze
verliehen sie nun einen großen Theil als Allode*) (MnÄi äormti), d. h. zu freiem
Eigen, an solche Männer, welche ihnen Dienste geleistet, vor allem natürlich und
am reichlichsten an die Genossen ihres Comitates. Da sich nun die Deutschen
schon in den letzten Jahrhunderten des römischen Westreiches daran gewöhnt
hatten, den Imperatoren gegen verliehenen Grundbesitz Kriegsdienst zu leisten,
sogar gegen die eignen Volksgenossen, so verstand es sich gleichsam von selbst,
daß jeder, der vom Könige mit Landbesitz ausgestattet worden war, sich dafür
dein Herrscher namentlich zur Kriegshilfe für verbunden erachtete, und es dürfte
in der That kaum zu bezweifeln sein, daß die Mernwinger ebenso gut ihren
lidör bMöüoioruili führten wie die Cäsaren. Die reiche Ausstattung mit Grund¬
besitz gab aber nun der bevorzugten Stellung des Comitates erst den rechten
Halt, die wirthschaftliche Basis. Bald erhoben Trüstis und Beamtenschaft sich
auf den Grundlagen der Tapferkeit, des Amtes und des Besitzes zu einem be¬
vorrechteten Stande; bald erkannte man allgemein, daß der Königsdienst ein
sicherer Weg zu Macht und Wohlstand sei, und so brach sich nach und nach
die Ausicht Bahn, daß solche Dienstbarkeit den Vorzug verdiene vor der alten
Freiheit. Nicht lange, so erschien das servitium vornehmer als die unbedingte
Selbständigkeit der schlichten Freisassen, und dadurch erhoben sich um die Be¬
amten und Autrustivnen zu einem neuen Adel, einem Dienstadel, der einiger¬
maßen dem Begriffe der uobilitas entsprach, welcher bei den Römern den Amts-



*) All-ob ganz eigen.
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[0109] Die Entwicklung der Leudalität und das deutsche Kriegswesen im frühen Mittelalter. Am Vorabende der germanischen Eroberung Galliens befand sich also der Grund und Boden dieses Landes so zu sagen gleichzeitig in drei Händen: in denen der ciomini, welche Eigenthümer und Patrone waren, in denen der Bene- ficiate», welche sich als Nutznießer und Clienten darstellen, und in denen der unfreien Cvlonen und Sklaven, welche den Acker thatsächlich bestellten. — Wie verhielten sich nun die Franken? Eine Depossedirung des gesammten gallisch-romanischen Volkes im altrömischen Sinne trat nicht ein und konnte nicht eintreten, denn es hatte sich ja nur zum Theil um eine Unterwerfung gehandelt, während Chlodowcch andrerseits An¬ spruch darauf erhob, legaler Nachfolger der frühern römischen Statthalter zu sein. Ans diesem Grunde gestalteten die Dinge sich auch anders als unter deu Gothen und Burgunden, bei denen jeder Römer dem Germanen, welcher auf seinen Hof angewiesen worden war, zwei Drittel des Ackers und die Hälfte des Waldes abtreten mußte. Dergleichen scheint nicht geschehen zu sein. Wohl aber fiel dem Könige zunächst die Masse der fiscnlischen Besitzungen als Krongut zu, und dies wurde nach und nach noch außerordentlich vermehrt aus der Landbente der Gefallnen und Ausgewanderten sowohl im eigentlichen Gallien als in den später eroberten alamannischen, thüringischen und bairischen Gebieten, so daß den Königen ungeheure Gütercomplexe zur Verfügung standen. Von diesem reichen Besitze verliehen sie nun einen großen Theil als Allode*) (MnÄi äormti), d. h. zu freiem Eigen, an solche Männer, welche ihnen Dienste geleistet, vor allem natürlich und am reichlichsten an die Genossen ihres Comitates. Da sich nun die Deutschen schon in den letzten Jahrhunderten des römischen Westreiches daran gewöhnt hatten, den Imperatoren gegen verliehenen Grundbesitz Kriegsdienst zu leisten, sogar gegen die eignen Volksgenossen, so verstand es sich gleichsam von selbst, daß jeder, der vom Könige mit Landbesitz ausgestattet worden war, sich dafür dein Herrscher namentlich zur Kriegshilfe für verbunden erachtete, und es dürfte in der That kaum zu bezweifeln sein, daß die Mernwinger ebenso gut ihren lidör bMöüoioruili führten wie die Cäsaren. Die reiche Ausstattung mit Grund¬ besitz gab aber nun der bevorzugten Stellung des Comitates erst den rechten Halt, die wirthschaftliche Basis. Bald erhoben Trüstis und Beamtenschaft sich auf den Grundlagen der Tapferkeit, des Amtes und des Besitzes zu einem be¬ vorrechteten Stande; bald erkannte man allgemein, daß der Königsdienst ein sicherer Weg zu Macht und Wohlstand sei, und so brach sich nach und nach die Ausicht Bahn, daß solche Dienstbarkeit den Vorzug verdiene vor der alten Freiheit. Nicht lange, so erschien das servitium vornehmer als die unbedingte Selbständigkeit der schlichten Freisassen, und dadurch erhoben sich um die Be¬ amten und Autrustivnen zu einem neuen Adel, einem Dienstadel, der einiger¬ maßen dem Begriffe der uobilitas entsprach, welcher bei den Römern den Amts- *) All-ob ganz eigen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/109>, abgerufen am 01.09.2024.