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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Die Entwicklung der Fendcilität und das deutsche Kriegswesen im frühen Mittolnlter,

Barbarenfürsten, Albanis, bekennt sich zu der Nothwendigkeit, das Reich zu er¬
halten. "Anfangs," so sagt er, "war es mein Wille, den römischen nennen zu
zerstören, ein gothisches Imperium zu errichten und selbst den Thron des Cäsar
Augustus zu besteigen. Doch nachdem Erfahrung mich gelehrt, daß der Gothe"
""bezähmbares Barbarcuthum der Macht des Gesetzes sich nicht beugen, die
Vernichtung der Institutionen aber den Untergang des Staates selbst bedeuten
würde, da entschloß ich mich, Roms Ruhm durch gothische Strenge zu erneuen,
indem ich bei der Nachwelt als Wiederhersteller jener römischen Macht gepriesen
zu werden wünschte, die zu ersetzen meine Kräfte nicht vermochten." Einen
Schritt weiter als dieser Westgothc ging dann der große Ostgothe Theodorich.
Er wollte Römer und Gothen zu einer Nation verschmelzen, und vielleicht wäre
das gelungen, wenn zu dem Gegensatze der Volksnrt nicht auch noch der des
Glaubens hinzugetreten wäre, wenn nicht der Haß des katholischen Papstes gegen
den arianischen Gothenkönig der Wiedereroberung Italiens durch die Oströmer
deu Weg bereitet hätte. Doch die Siege des Belisar und des Narses waren
für die weltgeschichtliche Entwicklung von vorübergehender Bedeutung; statt den
milden Gothen verfiel Italien den wilden Langobarden. Wieder war es der
Papst, der eine neue Macht gegen sie in die Schranken rief, und dieser gehörte
die Zukunft: es war die Macht der Franken.

Geographisch-ethnographische Momente sind es, welche den Franken ihre
große Rolle zugewiesen haben. Die Vandalen in Afrika, die Westgothen in
Spanien und Aanitanien, die Langobarden in Italien, die Burgunden in Gallien,
sie alle hatten ebenso wie die Ostgothen Theodorichs versucht, sich die Romanen
zu assimiliren; aber ihre Zahl war zu gering, ihre Trennung von der germanischen
Heimat zu vollstüudig, ihr Besitz zu bestritten, als daß die Eroberer sich nicht
hätten selbst verlieren sollen. Soweit sie nicht untergingen, wurden sie von der
romanischen Masse aufgesogen. Viel günstiger standen die Franken, als sie sich
Gallien unterwarfen.

Es war im 3. Jahrhundert, als neben den großen Völkerbünden der Sachsen,
Alamannen und Thüriuge auch der der Franke" auftrat. Der führende Stamm
desselben, der der Sigambrer, war, geringe Unterbrechungen ausgenommen, den
Römern eng befreundet; seine Fürsten empfingen von den Kaisern hohe Würden.
An des Aötius Seite focht der Sigambrcrkönig Mernwech auf deu eatalauuische"
Gefilden gegen Attila, und der salische Gaufürst Childerich trat in der zweite"
Hälfte des 5. Jahrhunderts mit seinem Hcergeleit in den Dienst der römische"
Provinzialgewalt i" Gallien und erhielt unter Syagrius deu Militärbefehl über
den traows -irmorioanus, d. h. über das Land zwischen Seine und Loire. Bald
ist er thatsächlicher Gebieter in der spätern Isis av ?iM(Z"z, und während das
römische Amt ihm keine wahre Untertänigkeit mehr auferlegt, bietet es ihm die
Formen, durch welche er die aus der alten Heimat herzuströmenden Genossen
in fester Zucht hält. Bei Childerichs Tode zählte sein Sohn Chlvdvwech erst


Die Entwicklung der Fendcilität und das deutsche Kriegswesen im frühen Mittolnlter,

Barbarenfürsten, Albanis, bekennt sich zu der Nothwendigkeit, das Reich zu er¬
halten. „Anfangs," so sagt er, „war es mein Wille, den römischen nennen zu
zerstören, ein gothisches Imperium zu errichten und selbst den Thron des Cäsar
Augustus zu besteigen. Doch nachdem Erfahrung mich gelehrt, daß der Gothe»
«»bezähmbares Barbarcuthum der Macht des Gesetzes sich nicht beugen, die
Vernichtung der Institutionen aber den Untergang des Staates selbst bedeuten
würde, da entschloß ich mich, Roms Ruhm durch gothische Strenge zu erneuen,
indem ich bei der Nachwelt als Wiederhersteller jener römischen Macht gepriesen
zu werden wünschte, die zu ersetzen meine Kräfte nicht vermochten." Einen
Schritt weiter als dieser Westgothc ging dann der große Ostgothe Theodorich.
Er wollte Römer und Gothen zu einer Nation verschmelzen, und vielleicht wäre
das gelungen, wenn zu dem Gegensatze der Volksnrt nicht auch noch der des
Glaubens hinzugetreten wäre, wenn nicht der Haß des katholischen Papstes gegen
den arianischen Gothenkönig der Wiedereroberung Italiens durch die Oströmer
deu Weg bereitet hätte. Doch die Siege des Belisar und des Narses waren
für die weltgeschichtliche Entwicklung von vorübergehender Bedeutung; statt den
milden Gothen verfiel Italien den wilden Langobarden. Wieder war es der
Papst, der eine neue Macht gegen sie in die Schranken rief, und dieser gehörte
die Zukunft: es war die Macht der Franken.

Geographisch-ethnographische Momente sind es, welche den Franken ihre
große Rolle zugewiesen haben. Die Vandalen in Afrika, die Westgothen in
Spanien und Aanitanien, die Langobarden in Italien, die Burgunden in Gallien,
sie alle hatten ebenso wie die Ostgothen Theodorichs versucht, sich die Romanen
zu assimiliren; aber ihre Zahl war zu gering, ihre Trennung von der germanischen
Heimat zu vollstüudig, ihr Besitz zu bestritten, als daß die Eroberer sich nicht
hätten selbst verlieren sollen. Soweit sie nicht untergingen, wurden sie von der
romanischen Masse aufgesogen. Viel günstiger standen die Franken, als sie sich
Gallien unterwarfen.

Es war im 3. Jahrhundert, als neben den großen Völkerbünden der Sachsen,
Alamannen und Thüriuge auch der der Franke» auftrat. Der führende Stamm
desselben, der der Sigambrer, war, geringe Unterbrechungen ausgenommen, den
Römern eng befreundet; seine Fürsten empfingen von den Kaisern hohe Würden.
An des Aötius Seite focht der Sigambrcrkönig Mernwech auf deu eatalauuische»
Gefilden gegen Attila, und der salische Gaufürst Childerich trat in der zweite«
Hälfte des 5. Jahrhunderts mit seinem Hcergeleit in den Dienst der römische»
Provinzialgewalt i» Gallien und erhielt unter Syagrius deu Militärbefehl über
den traows -irmorioanus, d. h. über das Land zwischen Seine und Loire. Bald
ist er thatsächlicher Gebieter in der spätern Isis av ?iM(Z«z, und während das
römische Amt ihm keine wahre Untertänigkeit mehr auferlegt, bietet es ihm die
Formen, durch welche er die aus der alten Heimat herzuströmenden Genossen
in fester Zucht hält. Bei Childerichs Tode zählte sein Sohn Chlvdvwech erst


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/104>, abgerufen am 01.09.2024.