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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Gambetta und kei" Lüde.

Pariser Centralcomitv keine Candidaten atlfnöthige" lassen würde", so daß ihre
Unabhängigkeit durch die Listenabstimmung uicht zu sehr gefährdet sein werde.
Das waren aber nur Redensarten, da man wußte, daß Gambetta, wenn der
Senat zugestimmt hätte und die Sache damit Gesetz geworden wäre, alles auf¬
bieten würde, um eine ihm völlig ergebne Kammer zu schaffen. Der "Figaro"
lind die Blätter der radicalen Partei äußerten übertreibend, der Tag habe die
Dictatur Gcnnbettns vorbereitet und Gropp gewissermaßen moralisch abgesetzt.
Der "Moniteur" ging noch weiter, indem er meinte, Gambetta könne sich, wenn
es ihm beliebe, schon heute der Dictatur bemächtigen, und Präsident und Minister
würden bald merken, daß er jetzt Herr im Hause sei. Die opportunistischen
Blätter jubelten. Gambetta aber zeigte sich nach seinein Siege als milder, gnädiger
Gebieter, und seine Organe in der Presse reichten den Tags vorher geschlagne"
Gegnern mit freundlichen Worten die Friedenspfeife. Sein Hauptblatt, die
"Republique Franchise", sagte: "Wir sind voll Dankbarkeit gegen unsern Freund
Gambetta, dessen gewaltige Beredsamkeit und dessen bewnnderswnrdige parla¬
mentarische Strategie das glänzende Ergebniß herbeigeführt haben, sowie gegen
die Kammer, welche die spartanische Tugend hatte, einem Wahlverfahren zu ent¬
sagen, das ihr theuer sein mußte. Das ist schön, das ist groß! Diesem Votum
gegenüber wollen wir nicht mehr wissen, wer gegen die Listenwahl und wer für
sie gestimmt hat. Es ist so natürlich, im stutus ".no tausend Vorzüge zu finden,
wenn dieser Mkus ano unsre einzige Kraft ausmacht. Fortan müssen alle
Zwistigkeiten zwischen den Anhängern der Arrondissements- und der Listenab¬
stimmung schwinden. Bei den nächsten Wahlen muß nur eine Frage ausgestellt
werden: Sind die Candidaten für oder gegen die Reformen, welche ausgeführt
werden sollen? Denn die Kammer, welche wir im Herbste wählen, muß vor
allem eine Kammer praktischen Fortschritts und socialer Ordnung sein."

Hierzu war folgendes zu bemerken. Wenngleich das Cabinet Grvvys bei
der Entscheidung der Kammer über das Wahlverfahren keine directe Niederlage
erlitten hatte, da es sich der Sache gegenüber neutral Verhalten, so hatte es doch
eben dieser Neutralität halber einigermaßen an Ansehen eingebüßt, und es sah
aus, als ob es nicht lange mehr am Ruder bleiben komm, zumal da Gambetta zur
Leitung der bevorstehenden allgemeinen Wahlen ein ihm völlig ergebnes Cabinet
brauchte. Die Lebhaftigkeit, mit welcher das Listenserutininm in der Deputirten-
kammer und in der Presse besprochen wurde, galt viel weniger der theoretischen
Nichtigkeit oder Unrichtigkeit dieses Wahlsystems, als den praktischen Wirkungen,
die man von rhin hoffte oder fürchtete. Man sah in der Veränderung der Wahl-
mcthode die Kandidatur Gambettas für die Präsidentschaft, man erwartete von
ihr einen solchen numerischen Sieg des letztern, dessen moralischer Eindruck Grvvh
zwingen würde, seinen Stuhl dem Rivalen zu überlassen. Man hielt es für
wahrscheinlich, daß Gambetta vermittelst des Listenscrntiniums in zwanzig bis
dreißig Departements zum Abgeordneten gewählt werden würde wie 1871 Thiers,


Gambetta und kei» Lüde.

Pariser Centralcomitv keine Candidaten atlfnöthige» lassen würde», so daß ihre
Unabhängigkeit durch die Listenabstimmung uicht zu sehr gefährdet sein werde.
Das waren aber nur Redensarten, da man wußte, daß Gambetta, wenn der
Senat zugestimmt hätte und die Sache damit Gesetz geworden wäre, alles auf¬
bieten würde, um eine ihm völlig ergebne Kammer zu schaffen. Der „Figaro"
lind die Blätter der radicalen Partei äußerten übertreibend, der Tag habe die
Dictatur Gcnnbettns vorbereitet und Gropp gewissermaßen moralisch abgesetzt.
Der „Moniteur" ging noch weiter, indem er meinte, Gambetta könne sich, wenn
es ihm beliebe, schon heute der Dictatur bemächtigen, und Präsident und Minister
würden bald merken, daß er jetzt Herr im Hause sei. Die opportunistischen
Blätter jubelten. Gambetta aber zeigte sich nach seinein Siege als milder, gnädiger
Gebieter, und seine Organe in der Presse reichten den Tags vorher geschlagne»
Gegnern mit freundlichen Worten die Friedenspfeife. Sein Hauptblatt, die
„Republique Franchise", sagte: „Wir sind voll Dankbarkeit gegen unsern Freund
Gambetta, dessen gewaltige Beredsamkeit und dessen bewnnderswnrdige parla¬
mentarische Strategie das glänzende Ergebniß herbeigeführt haben, sowie gegen
die Kammer, welche die spartanische Tugend hatte, einem Wahlverfahren zu ent¬
sagen, das ihr theuer sein mußte. Das ist schön, das ist groß! Diesem Votum
gegenüber wollen wir nicht mehr wissen, wer gegen die Listenwahl und wer für
sie gestimmt hat. Es ist so natürlich, im stutus «.no tausend Vorzüge zu finden,
wenn dieser Mkus ano unsre einzige Kraft ausmacht. Fortan müssen alle
Zwistigkeiten zwischen den Anhängern der Arrondissements- und der Listenab¬
stimmung schwinden. Bei den nächsten Wahlen muß nur eine Frage ausgestellt
werden: Sind die Candidaten für oder gegen die Reformen, welche ausgeführt
werden sollen? Denn die Kammer, welche wir im Herbste wählen, muß vor
allem eine Kammer praktischen Fortschritts und socialer Ordnung sein."

Hierzu war folgendes zu bemerken. Wenngleich das Cabinet Grvvys bei
der Entscheidung der Kammer über das Wahlverfahren keine directe Niederlage
erlitten hatte, da es sich der Sache gegenüber neutral Verhalten, so hatte es doch
eben dieser Neutralität halber einigermaßen an Ansehen eingebüßt, und es sah
aus, als ob es nicht lange mehr am Ruder bleiben komm, zumal da Gambetta zur
Leitung der bevorstehenden allgemeinen Wahlen ein ihm völlig ergebnes Cabinet
brauchte. Die Lebhaftigkeit, mit welcher das Listenserutininm in der Deputirten-
kammer und in der Presse besprochen wurde, galt viel weniger der theoretischen
Nichtigkeit oder Unrichtigkeit dieses Wahlsystems, als den praktischen Wirkungen,
die man von rhin hoffte oder fürchtete. Man sah in der Veränderung der Wahl-
mcthode die Kandidatur Gambettas für die Präsidentschaft, man erwartete von
ihr einen solchen numerischen Sieg des letztern, dessen moralischer Eindruck Grvvh
zwingen würde, seinen Stuhl dem Rivalen zu überlassen. Man hielt es für
wahrscheinlich, daß Gambetta vermittelst des Listenscrntiniums in zwanzig bis
dreißig Departements zum Abgeordneten gewählt werden würde wie 1871 Thiers,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/10>, abgerufen am 24.11.2024.