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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Zur Juscenirung classischer Vporn.

scquenter Anwendung. Nichtsdestoweniger kommt es auch in diesem Fache darauf
an, die samische Wirkung der Stücke zu erhöhen, einerseits durch decorative und
ähnliche Verschönerungen, vor allen Dingen aber durch Beschaffung sorgfältiger
Bearbeitungen, die der ganzen Aufführung eine exacte Grundlage verleihen und
den Geschmack der Menge nach allen Richtungen hin regeln. Die Oper muß
-- dies ist die Forderung, auf die alles hinausläuft -- dem Dämmerlichte der
bloß musikalischen Betrachtungsweise entzogen und unter die strengen Gesichts¬
punkte einer allgemeinen, natürlichen Aesthetik gestellt werden. Zur Erläuterung
sollen die nächstliegenden Jnseenirungsfragen aus dem Gebiete der classischen
Oper berührt werden. Im ganzen ist an diesem Punkte wenig gearbeitet worden,
und selbst von diesem wenigen nimmt die Praxis bei der großen Rückständig¬
keit, die dem Theaterwesen vorläufig noch anhaftet, felten und spät Notiz.

Von den Gluckschen Meisterwerken, die das Bedeutendste des ganzen Opern-
genres ausmachen, stehen die beiden italienischen Opern Ortöo und ^Iczöstö den
spätern französischen nicht nach, und wenn sie weniger aufgeführt werden als
^.rmiäv oder Iplug'suo en l^uriäs, so liegt dies Wohl an reinen Zufälligkeiten,
denn gerade "Orpheus" ist der anziehendste aller Gluckschen Stoffe. Von Wichtig¬
keit ist hier zunächst die Frage nach dem Werthe der französischen Partituren
des Orteo und der ^lesstö. Hector Verlioz hat zuerst mit wünschenswertester
Wärme auf die zahlreichen Verbesserungen hingewiesen, die Gluck in den betref¬
fenden Werken bei der Umarbeitung für die Pariser Bühne vorgenommen hat.
Aber sie beziehen sich fast nur auf die Musik. Das Drama als solches, der
Geist der Stücke hat durch die Rücksicht auf die Franzosen schwer gelitten. Ja
man kann behaupten, daß selten ein Künstler seine eignen Schöpfungen in so
eingreifender Weise verstümmelt hat, als es Gluck that, indem er Dinge wie
die Bertonische Arie oder die Einschiebung der Heraklespartie zuließ. Im "Or¬
pheus" scheinen einzelne Umgestaltungen und Zuthaten, so die in der ersten Scene
des ersten Actes der lange Furientanz in v-moll, der Balletsatz in L! aus der
Elysinmscene, in der äußerlichen, für uns ungiltigen Absicht entstanden zu sein,
dein Werke eine größere Länge zu verschaffen und so die Dauer der Vorstellung
zu erhöhen. In der "Alceste" vollends sind, um die Handlung spannender zu
machen, die einzelnen Theile durchaus versetzt und umgemodelt worden, sodaß nun
die Entwicklung höchst uneben ist und der dritte Act in ein unwürdiges Puppen¬
spiel ausläuft. Dabei ist der eigentliche Zweck schlecht erreicht, wie man sich,
auch ohne den schroffen Standpunkt von A. B. Marx einzunehmen, kaum ver¬
hehlen kann. Der Vorwurf der Monotonie, den man dem Werke immer gemacht
hat, ist nicht sehr gerecht. Er zielt fast darauf hin, daß Leuten, welche für den
Geist solcher Schöpfungen unempfänglich sind, Concessionen gemacht werden sollen.


Zur Juscenirung classischer Vporn.

scquenter Anwendung. Nichtsdestoweniger kommt es auch in diesem Fache darauf
an, die samische Wirkung der Stücke zu erhöhen, einerseits durch decorative und
ähnliche Verschönerungen, vor allen Dingen aber durch Beschaffung sorgfältiger
Bearbeitungen, die der ganzen Aufführung eine exacte Grundlage verleihen und
den Geschmack der Menge nach allen Richtungen hin regeln. Die Oper muß
— dies ist die Forderung, auf die alles hinausläuft — dem Dämmerlichte der
bloß musikalischen Betrachtungsweise entzogen und unter die strengen Gesichts¬
punkte einer allgemeinen, natürlichen Aesthetik gestellt werden. Zur Erläuterung
sollen die nächstliegenden Jnseenirungsfragen aus dem Gebiete der classischen
Oper berührt werden. Im ganzen ist an diesem Punkte wenig gearbeitet worden,
und selbst von diesem wenigen nimmt die Praxis bei der großen Rückständig¬
keit, die dem Theaterwesen vorläufig noch anhaftet, felten und spät Notiz.

Von den Gluckschen Meisterwerken, die das Bedeutendste des ganzen Opern-
genres ausmachen, stehen die beiden italienischen Opern Ortöo und ^Iczöstö den
spätern französischen nicht nach, und wenn sie weniger aufgeführt werden als
^.rmiäv oder Iplug'suo en l^uriäs, so liegt dies Wohl an reinen Zufälligkeiten,
denn gerade „Orpheus" ist der anziehendste aller Gluckschen Stoffe. Von Wichtig¬
keit ist hier zunächst die Frage nach dem Werthe der französischen Partituren
des Orteo und der ^lesstö. Hector Verlioz hat zuerst mit wünschenswertester
Wärme auf die zahlreichen Verbesserungen hingewiesen, die Gluck in den betref¬
fenden Werken bei der Umarbeitung für die Pariser Bühne vorgenommen hat.
Aber sie beziehen sich fast nur auf die Musik. Das Drama als solches, der
Geist der Stücke hat durch die Rücksicht auf die Franzosen schwer gelitten. Ja
man kann behaupten, daß selten ein Künstler seine eignen Schöpfungen in so
eingreifender Weise verstümmelt hat, als es Gluck that, indem er Dinge wie
die Bertonische Arie oder die Einschiebung der Heraklespartie zuließ. Im „Or¬
pheus" scheinen einzelne Umgestaltungen und Zuthaten, so die in der ersten Scene
des ersten Actes der lange Furientanz in v-moll, der Balletsatz in L! aus der
Elysinmscene, in der äußerlichen, für uns ungiltigen Absicht entstanden zu sein,
dein Werke eine größere Länge zu verschaffen und so die Dauer der Vorstellung
zu erhöhen. In der „Alceste" vollends sind, um die Handlung spannender zu
machen, die einzelnen Theile durchaus versetzt und umgemodelt worden, sodaß nun
die Entwicklung höchst uneben ist und der dritte Act in ein unwürdiges Puppen¬
spiel ausläuft. Dabei ist der eigentliche Zweck schlecht erreicht, wie man sich,
auch ohne den schroffen Standpunkt von A. B. Marx einzunehmen, kaum ver¬
hehlen kann. Der Vorwurf der Monotonie, den man dem Werke immer gemacht
hat, ist nicht sehr gerecht. Er zielt fast darauf hin, daß Leuten, welche für den
Geist solcher Schöpfungen unempfänglich sind, Concessionen gemacht werden sollen.


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[0066] Zur Juscenirung classischer Vporn. scquenter Anwendung. Nichtsdestoweniger kommt es auch in diesem Fache darauf an, die samische Wirkung der Stücke zu erhöhen, einerseits durch decorative und ähnliche Verschönerungen, vor allen Dingen aber durch Beschaffung sorgfältiger Bearbeitungen, die der ganzen Aufführung eine exacte Grundlage verleihen und den Geschmack der Menge nach allen Richtungen hin regeln. Die Oper muß — dies ist die Forderung, auf die alles hinausläuft — dem Dämmerlichte der bloß musikalischen Betrachtungsweise entzogen und unter die strengen Gesichts¬ punkte einer allgemeinen, natürlichen Aesthetik gestellt werden. Zur Erläuterung sollen die nächstliegenden Jnseenirungsfragen aus dem Gebiete der classischen Oper berührt werden. Im ganzen ist an diesem Punkte wenig gearbeitet worden, und selbst von diesem wenigen nimmt die Praxis bei der großen Rückständig¬ keit, die dem Theaterwesen vorläufig noch anhaftet, felten und spät Notiz. Von den Gluckschen Meisterwerken, die das Bedeutendste des ganzen Opern- genres ausmachen, stehen die beiden italienischen Opern Ortöo und ^Iczöstö den spätern französischen nicht nach, und wenn sie weniger aufgeführt werden als ^.rmiäv oder Iplug'suo en l^uriäs, so liegt dies Wohl an reinen Zufälligkeiten, denn gerade „Orpheus" ist der anziehendste aller Gluckschen Stoffe. Von Wichtig¬ keit ist hier zunächst die Frage nach dem Werthe der französischen Partituren des Orteo und der ^lesstö. Hector Verlioz hat zuerst mit wünschenswertester Wärme auf die zahlreichen Verbesserungen hingewiesen, die Gluck in den betref¬ fenden Werken bei der Umarbeitung für die Pariser Bühne vorgenommen hat. Aber sie beziehen sich fast nur auf die Musik. Das Drama als solches, der Geist der Stücke hat durch die Rücksicht auf die Franzosen schwer gelitten. Ja man kann behaupten, daß selten ein Künstler seine eignen Schöpfungen in so eingreifender Weise verstümmelt hat, als es Gluck that, indem er Dinge wie die Bertonische Arie oder die Einschiebung der Heraklespartie zuließ. Im „Or¬ pheus" scheinen einzelne Umgestaltungen und Zuthaten, so die in der ersten Scene des ersten Actes der lange Furientanz in v-moll, der Balletsatz in L! aus der Elysinmscene, in der äußerlichen, für uns ungiltigen Absicht entstanden zu sein, dein Werke eine größere Länge zu verschaffen und so die Dauer der Vorstellung zu erhöhen. In der „Alceste" vollends sind, um die Handlung spannender zu machen, die einzelnen Theile durchaus versetzt und umgemodelt worden, sodaß nun die Entwicklung höchst uneben ist und der dritte Act in ein unwürdiges Puppen¬ spiel ausläuft. Dabei ist der eigentliche Zweck schlecht erreicht, wie man sich, auch ohne den schroffen Standpunkt von A. B. Marx einzunehmen, kaum ver¬ hehlen kann. Der Vorwurf der Monotonie, den man dem Werke immer gemacht hat, ist nicht sehr gerecht. Er zielt fast darauf hin, daß Leuten, welche für den Geist solcher Schöpfungen unempfänglich sind, Concessionen gemacht werden sollen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/66>, abgerufen am 26.08.2024.