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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Ein Jugendfreund Goethes.

ging nach Straßburg, dann wieder zurück nach Frankfurt, nach Wetzlar u, s. w.,
war voll großer dichterischer Entwürfe und fand in Merck einen nicht gering zu
schätzenden Ersatz für das, was ihm früher Behrisch in Leipzig gewesen war.
Auch Behrisch mochte in den neuen Verhältnissen am fürstlichen Hofe in Dessau
Goethe etwas aus dem Auge verloren haben; da erschien "Götz von Berlichingen"
(1773 anonym) und das alte Interesse lebte sofort wieder auf. Am 2. De¬
cember 1773 schreibt Behrisch an Reich: "Gelegentlich bitte ich mir einmal den
Verfasser des Götz von Berlichingen u. s. w. zu melden, wenn Ihnen sein Nahme
bekannt sein sollte;" und als Goethe am 3. December 1776 in Begleitung des
Herzogs Karl August nach Wörlitz kam, war es nicht, als ob eine Trennung
von neun Jahren zwischen beiden läge. Behrisch rief ihm sogleich in alter ver¬
traulicher Weise zu: "Hab' ich es dir nicht gesagt? war es nicht gescheit, daß
dn damals die Verse nicht drucken ließest und daß du gewartet hast, bis du etwas
ganz Gutes machtest? Freilich schlecht waren damals die Sachen auch nicht,
denn sonst hätte ich sie nicht geschrieben. Aber wären wir zusammen geblieben,
so hättest du auch die andern nicht sollen drucken lassei,, ich hätte sie dir auch
geschrieben und es wäre eben so gut gewesen." Es entging Goethe nicht, wie
geachtet Behrisch bei Hofe war, und mündliche Ueberlieferungen melden den harm¬
losesten, innigsten Verkehr beider untereinander. Freilich war Goethes dichterische
Entwicklung jetzt schon in ein Stadium getreten, in dem ihm Behrisch nicht mehr
wie einst Mentor zu sein vermochte und man begreift, wie das gegenwärtige
Verhältniß nicht mehr in allem das alte sein konnte. Als Goethe im Mai 1778
wieder mit Karl August in Wörlitz war, begleitete ihn Behrisch ein Stück auf
der Weiterreise, und Goethe bemerkt darüber: "Begleitet von Berischen mit ge¬
scheiten Bemerkungen dumm ausgedrückt et ?le,6 versg,..." -- also ganz der
alte Leipziger Ton. Den nächsten Besuch machte Goethe mit Fritz Stein im
September 1781 zum Geburtstage der Fürstin, nachdem Behrisch, der aller Ver¬
änderung und allem Reisen so abhold war,") am 24. Juli 1780 dem Freunde
in Weimar einen Besuch abgestattet hatte.*") Im December 1782 war Goethe
wieder in Dessau, doch diesmal von Zahnweh geplagt und ohne besondern Genuß.
Den interessantesten Augenblick hatte er auf der Rückreise, mit dem Herzoge vom
Fürsten begleitet. In den Jahren 1788 und 1794 correspondirte er wieder mit
Behrisch, 1794 und 1796 war er mit dem Herzoge nochmals in Dessau, und zum
letzten Male sahen sich wohl die alten Freunde bei dem letzten Besuche Goethes




*) Heinrich Behrisch schreibt von ihm: "Diese Vegetation schien wie das Leben einer
Driade an einen Baum und Ort gebunden zu sein."
*") Vgl. Goethes Briefe an Frau von Stein. I, S. 324: "Heut Mittag hab ich Behrischen
bei mir."
Ein Jugendfreund Goethes.

ging nach Straßburg, dann wieder zurück nach Frankfurt, nach Wetzlar u, s. w.,
war voll großer dichterischer Entwürfe und fand in Merck einen nicht gering zu
schätzenden Ersatz für das, was ihm früher Behrisch in Leipzig gewesen war.
Auch Behrisch mochte in den neuen Verhältnissen am fürstlichen Hofe in Dessau
Goethe etwas aus dem Auge verloren haben; da erschien „Götz von Berlichingen"
(1773 anonym) und das alte Interesse lebte sofort wieder auf. Am 2. De¬
cember 1773 schreibt Behrisch an Reich: „Gelegentlich bitte ich mir einmal den
Verfasser des Götz von Berlichingen u. s. w. zu melden, wenn Ihnen sein Nahme
bekannt sein sollte;" und als Goethe am 3. December 1776 in Begleitung des
Herzogs Karl August nach Wörlitz kam, war es nicht, als ob eine Trennung
von neun Jahren zwischen beiden läge. Behrisch rief ihm sogleich in alter ver¬
traulicher Weise zu: „Hab' ich es dir nicht gesagt? war es nicht gescheit, daß
dn damals die Verse nicht drucken ließest und daß du gewartet hast, bis du etwas
ganz Gutes machtest? Freilich schlecht waren damals die Sachen auch nicht,
denn sonst hätte ich sie nicht geschrieben. Aber wären wir zusammen geblieben,
so hättest du auch die andern nicht sollen drucken lassei,, ich hätte sie dir auch
geschrieben und es wäre eben so gut gewesen." Es entging Goethe nicht, wie
geachtet Behrisch bei Hofe war, und mündliche Ueberlieferungen melden den harm¬
losesten, innigsten Verkehr beider untereinander. Freilich war Goethes dichterische
Entwicklung jetzt schon in ein Stadium getreten, in dem ihm Behrisch nicht mehr
wie einst Mentor zu sein vermochte und man begreift, wie das gegenwärtige
Verhältniß nicht mehr in allem das alte sein konnte. Als Goethe im Mai 1778
wieder mit Karl August in Wörlitz war, begleitete ihn Behrisch ein Stück auf
der Weiterreise, und Goethe bemerkt darüber: „Begleitet von Berischen mit ge¬
scheiten Bemerkungen dumm ausgedrückt et ?le,6 versg,..." — also ganz der
alte Leipziger Ton. Den nächsten Besuch machte Goethe mit Fritz Stein im
September 1781 zum Geburtstage der Fürstin, nachdem Behrisch, der aller Ver¬
änderung und allem Reisen so abhold war,") am 24. Juli 1780 dem Freunde
in Weimar einen Besuch abgestattet hatte.*") Im December 1782 war Goethe
wieder in Dessau, doch diesmal von Zahnweh geplagt und ohne besondern Genuß.
Den interessantesten Augenblick hatte er auf der Rückreise, mit dem Herzoge vom
Fürsten begleitet. In den Jahren 1788 und 1794 correspondirte er wieder mit
Behrisch, 1794 und 1796 war er mit dem Herzoge nochmals in Dessau, und zum
letzten Male sahen sich wohl die alten Freunde bei dem letzten Besuche Goethes




*) Heinrich Behrisch schreibt von ihm: „Diese Vegetation schien wie das Leben einer
Driade an einen Baum und Ort gebunden zu sein."
*») Vgl. Goethes Briefe an Frau von Stein. I, S. 324: „Heut Mittag hab ich Behrischen
bei mir."
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/58>, abgerufen am 25.08.2024.