Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Paul Heyse.

sicher, daß es immer wieder zu innerlich gesunden, voll ergreifenden Handlungen
und Menschengestalten und damit zu wohlthuenden Wirkungen zurückkehren wird,
lvenu seine Antriebe innerlich rein geblieben und seine zeugenden und bildende"
Kräfte nicht erschöpft sind.

Machen nur vom allgemeinen Satz die besondre Anwendung ans Hehses
novellistische Production, so ergiebt sich die Wahrheit des Gesagten. Wer könnte
leugnen, daß keineswegs alle Erzählnnge" des Dichters die gleiche Bedeutung be¬
sitzen, keineswegs alle von jenem c"tzücke"den Gleichmaß zwischen Gehalt und Aus¬
führung sind, welches einige derselben als kleine Meisterwerke erscheinen läßt? Aber
wer wollte andrerseits in Abrede stellen, daß doch die Mehrzahl dieser Novellen,
in dem Stilet Welt, das sie spiegeln, in der Eigenart menschlicher Natur, die
sie offenbaren, ein volles Lebens- und Wirknngsrecht hat? Die moderne kurz-
athmige Hast, welche die Quintessenz zusammt der ganzen Entwicklung jedes
Dichters und Künstlers in zwei oder drei leicht zu kennende Gebilde gebannt
sehen möchte, versteigt sich wohl zu Albernheiten, wie jene: Hesse hätte sich be¬
gnügen sollen, zwei, drei Novellen ("L'Arrabiata", "Das Mädchen von Treppi",
vielleicht noch "Der Weinhüter von Meran") zu schreiben, oder: man habe in
"L'Arrabiata" eigentlich die gesnmmte Hessische Novellistik, Echte Genußfähig¬
keit wird eben nur die eine und andre aus der großen Zahl für ganz entbehrlich
erachten und sich dabei immer noch erinnern, welche geheimnißvollen, subjectiven,
nicht bloß Neigungen, sondern Launen bei unsern Kunsturtheilen mitsprechen,
wird im ganzen an dieser Finke meist sonniger Lebensdarstelluug reine Freude
empfinden.

Die Mehrzahl der Hessische" Novellen sind, wie es in der Ordnung ist,
Liebesnovellcn, Vereinzelte Nückfülle hochwohlwciser Pädagogen und armselig
nüchterner Naturen abgerechnet, bestreitet ja unsrer Poesie niemand das Recht
mehr, die Menschengcschicke in ihrem entscheidenden Momente darzustellen. Für
die Novelle zumal, für welche nur der Einzelne und sein Erlelmiß, und Gesell¬
schaften, Völker und Staaten höchstens im Hintergründe existiren, wird sich un-
willkürlich das Verhältniß des Mannes zum Weibe und umgekehrt, der Moment
und tiefste Grund ihrer Anziehung und Abstoßung, die Concentration des Lebens
in ein höchstes Erlelmiß als der ausgiebigste poetische Vorwurf erweisen. Es
ist allen Lesern gegenwärtig, in welcher Mannichfaltigkeit Heyse das malte und
ewige Thema behandelt, mit wie wechselnden Begebenheiten er das eine und
ewige Geschick der Sterblichen verknüpft und wie tief er in die Verschieden¬
heit der menschlichen Seelen hinabsteigt, welche jeder Verallgemeinerung spottet
und deren innerstes Gesetz eben darum nur vom Dichter erkannt werden kann.
Indeß so reich und schier unerschöpflich Hesse in Licbcsnovellen ist, andre Themen
und Conflicte sind bei ihm nicht ausgeschlossen; selbst an einer Handlung, welche
aus einem den ganzen Menschen verzehrenden und ihn gleichsam zu Stahl här¬
tenden Rachegefühl hervorwächst, fehlt es in feinen Novellen nicht ("Andrea


Paul Heyse.

sicher, daß es immer wieder zu innerlich gesunden, voll ergreifenden Handlungen
und Menschengestalten und damit zu wohlthuenden Wirkungen zurückkehren wird,
lvenu seine Antriebe innerlich rein geblieben und seine zeugenden und bildende»
Kräfte nicht erschöpft sind.

Machen nur vom allgemeinen Satz die besondre Anwendung ans Hehses
novellistische Production, so ergiebt sich die Wahrheit des Gesagten. Wer könnte
leugnen, daß keineswegs alle Erzählnnge» des Dichters die gleiche Bedeutung be¬
sitzen, keineswegs alle von jenem c»tzücke»den Gleichmaß zwischen Gehalt und Aus¬
führung sind, welches einige derselben als kleine Meisterwerke erscheinen läßt? Aber
wer wollte andrerseits in Abrede stellen, daß doch die Mehrzahl dieser Novellen,
in dem Stilet Welt, das sie spiegeln, in der Eigenart menschlicher Natur, die
sie offenbaren, ein volles Lebens- und Wirknngsrecht hat? Die moderne kurz-
athmige Hast, welche die Quintessenz zusammt der ganzen Entwicklung jedes
Dichters und Künstlers in zwei oder drei leicht zu kennende Gebilde gebannt
sehen möchte, versteigt sich wohl zu Albernheiten, wie jene: Hesse hätte sich be¬
gnügen sollen, zwei, drei Novellen („L'Arrabiata", „Das Mädchen von Treppi",
vielleicht noch „Der Weinhüter von Meran") zu schreiben, oder: man habe in
„L'Arrabiata" eigentlich die gesnmmte Hessische Novellistik, Echte Genußfähig¬
keit wird eben nur die eine und andre aus der großen Zahl für ganz entbehrlich
erachten und sich dabei immer noch erinnern, welche geheimnißvollen, subjectiven,
nicht bloß Neigungen, sondern Launen bei unsern Kunsturtheilen mitsprechen,
wird im ganzen an dieser Finke meist sonniger Lebensdarstelluug reine Freude
empfinden.

Die Mehrzahl der Hessische» Novellen sind, wie es in der Ordnung ist,
Liebesnovellcn, Vereinzelte Nückfülle hochwohlwciser Pädagogen und armselig
nüchterner Naturen abgerechnet, bestreitet ja unsrer Poesie niemand das Recht
mehr, die Menschengcschicke in ihrem entscheidenden Momente darzustellen. Für
die Novelle zumal, für welche nur der Einzelne und sein Erlelmiß, und Gesell¬
schaften, Völker und Staaten höchstens im Hintergründe existiren, wird sich un-
willkürlich das Verhältniß des Mannes zum Weibe und umgekehrt, der Moment
und tiefste Grund ihrer Anziehung und Abstoßung, die Concentration des Lebens
in ein höchstes Erlelmiß als der ausgiebigste poetische Vorwurf erweisen. Es
ist allen Lesern gegenwärtig, in welcher Mannichfaltigkeit Heyse das malte und
ewige Thema behandelt, mit wie wechselnden Begebenheiten er das eine und
ewige Geschick der Sterblichen verknüpft und wie tief er in die Verschieden¬
heit der menschlichen Seelen hinabsteigt, welche jeder Verallgemeinerung spottet
und deren innerstes Gesetz eben darum nur vom Dichter erkannt werden kann.
Indeß so reich und schier unerschöpflich Hesse in Licbcsnovellen ist, andre Themen
und Conflicte sind bei ihm nicht ausgeschlossen; selbst an einer Handlung, welche
aus einem den ganzen Menschen verzehrenden und ihn gleichsam zu Stahl här¬
tenden Rachegefühl hervorwächst, fehlt es in feinen Novellen nicht („Andrea


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0556" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/150128"/>
          <fw type="header" place="top"> Paul Heyse.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1821" prev="#ID_1820"> sicher, daß es immer wieder zu innerlich gesunden, voll ergreifenden Handlungen<lb/>
und Menschengestalten und damit zu wohlthuenden Wirkungen zurückkehren wird,<lb/>
lvenu seine Antriebe innerlich rein geblieben und seine zeugenden und bildende»<lb/>
Kräfte nicht erschöpft sind.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1822"> Machen nur vom allgemeinen Satz die besondre Anwendung ans Hehses<lb/>
novellistische Production, so ergiebt sich die Wahrheit des Gesagten. Wer könnte<lb/>
leugnen, daß keineswegs alle Erzählnnge» des Dichters die gleiche Bedeutung be¬<lb/>
sitzen, keineswegs alle von jenem c»tzücke»den Gleichmaß zwischen Gehalt und Aus¬<lb/>
führung sind, welches einige derselben als kleine Meisterwerke erscheinen läßt? Aber<lb/>
wer wollte andrerseits in Abrede stellen, daß doch die Mehrzahl dieser Novellen,<lb/>
in dem Stilet Welt, das sie spiegeln, in der Eigenart menschlicher Natur, die<lb/>
sie offenbaren, ein volles Lebens- und Wirknngsrecht hat? Die moderne kurz-<lb/>
athmige Hast, welche die Quintessenz zusammt der ganzen Entwicklung jedes<lb/>
Dichters und Künstlers in zwei oder drei leicht zu kennende Gebilde gebannt<lb/>
sehen möchte, versteigt sich wohl zu Albernheiten, wie jene: Hesse hätte sich be¬<lb/>
gnügen sollen, zwei, drei Novellen (&#x201E;L'Arrabiata", &#x201E;Das Mädchen von Treppi",<lb/>
vielleicht noch &#x201E;Der Weinhüter von Meran") zu schreiben, oder: man habe in<lb/>
&#x201E;L'Arrabiata" eigentlich die gesnmmte Hessische Novellistik, Echte Genußfähig¬<lb/>
keit wird eben nur die eine und andre aus der großen Zahl für ganz entbehrlich<lb/>
erachten und sich dabei immer noch erinnern, welche geheimnißvollen, subjectiven,<lb/>
nicht bloß Neigungen, sondern Launen bei unsern Kunsturtheilen mitsprechen,<lb/>
wird im ganzen an dieser Finke meist sonniger Lebensdarstelluug reine Freude<lb/>
empfinden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1823" next="#ID_1824"> Die Mehrzahl der Hessische» Novellen sind, wie es in der Ordnung ist,<lb/>
Liebesnovellcn, Vereinzelte Nückfülle hochwohlwciser Pädagogen und armselig<lb/>
nüchterner Naturen abgerechnet, bestreitet ja unsrer Poesie niemand das Recht<lb/>
mehr, die Menschengcschicke in ihrem entscheidenden Momente darzustellen. Für<lb/>
die Novelle zumal, für welche nur der Einzelne und sein Erlelmiß, und Gesell¬<lb/>
schaften, Völker und Staaten höchstens im Hintergründe existiren, wird sich un-<lb/>
willkürlich das Verhältniß des Mannes zum Weibe und umgekehrt, der Moment<lb/>
und tiefste Grund ihrer Anziehung und Abstoßung, die Concentration des Lebens<lb/>
in ein höchstes Erlelmiß als der ausgiebigste poetische Vorwurf erweisen. Es<lb/>
ist allen Lesern gegenwärtig, in welcher Mannichfaltigkeit Heyse das malte und<lb/>
ewige Thema behandelt, mit wie wechselnden Begebenheiten er das eine und<lb/>
ewige Geschick der Sterblichen verknüpft und wie tief er in die Verschieden¬<lb/>
heit der menschlichen Seelen hinabsteigt, welche jeder Verallgemeinerung spottet<lb/>
und deren innerstes Gesetz eben darum nur vom Dichter erkannt werden kann.<lb/>
Indeß so reich und schier unerschöpflich Hesse in Licbcsnovellen ist, andre Themen<lb/>
und Conflicte sind bei ihm nicht ausgeschlossen; selbst an einer Handlung, welche<lb/>
aus einem den ganzen Menschen verzehrenden und ihn gleichsam zu Stahl här¬<lb/>
tenden Rachegefühl hervorwächst, fehlt es in feinen Novellen nicht (&#x201E;Andrea</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0556] Paul Heyse. sicher, daß es immer wieder zu innerlich gesunden, voll ergreifenden Handlungen und Menschengestalten und damit zu wohlthuenden Wirkungen zurückkehren wird, lvenu seine Antriebe innerlich rein geblieben und seine zeugenden und bildende» Kräfte nicht erschöpft sind. Machen nur vom allgemeinen Satz die besondre Anwendung ans Hehses novellistische Production, so ergiebt sich die Wahrheit des Gesagten. Wer könnte leugnen, daß keineswegs alle Erzählnnge» des Dichters die gleiche Bedeutung be¬ sitzen, keineswegs alle von jenem c»tzücke»den Gleichmaß zwischen Gehalt und Aus¬ führung sind, welches einige derselben als kleine Meisterwerke erscheinen läßt? Aber wer wollte andrerseits in Abrede stellen, daß doch die Mehrzahl dieser Novellen, in dem Stilet Welt, das sie spiegeln, in der Eigenart menschlicher Natur, die sie offenbaren, ein volles Lebens- und Wirknngsrecht hat? Die moderne kurz- athmige Hast, welche die Quintessenz zusammt der ganzen Entwicklung jedes Dichters und Künstlers in zwei oder drei leicht zu kennende Gebilde gebannt sehen möchte, versteigt sich wohl zu Albernheiten, wie jene: Hesse hätte sich be¬ gnügen sollen, zwei, drei Novellen („L'Arrabiata", „Das Mädchen von Treppi", vielleicht noch „Der Weinhüter von Meran") zu schreiben, oder: man habe in „L'Arrabiata" eigentlich die gesnmmte Hessische Novellistik, Echte Genußfähig¬ keit wird eben nur die eine und andre aus der großen Zahl für ganz entbehrlich erachten und sich dabei immer noch erinnern, welche geheimnißvollen, subjectiven, nicht bloß Neigungen, sondern Launen bei unsern Kunsturtheilen mitsprechen, wird im ganzen an dieser Finke meist sonniger Lebensdarstelluug reine Freude empfinden. Die Mehrzahl der Hessische» Novellen sind, wie es in der Ordnung ist, Liebesnovellcn, Vereinzelte Nückfülle hochwohlwciser Pädagogen und armselig nüchterner Naturen abgerechnet, bestreitet ja unsrer Poesie niemand das Recht mehr, die Menschengcschicke in ihrem entscheidenden Momente darzustellen. Für die Novelle zumal, für welche nur der Einzelne und sein Erlelmiß, und Gesell¬ schaften, Völker und Staaten höchstens im Hintergründe existiren, wird sich un- willkürlich das Verhältniß des Mannes zum Weibe und umgekehrt, der Moment und tiefste Grund ihrer Anziehung und Abstoßung, die Concentration des Lebens in ein höchstes Erlelmiß als der ausgiebigste poetische Vorwurf erweisen. Es ist allen Lesern gegenwärtig, in welcher Mannichfaltigkeit Heyse das malte und ewige Thema behandelt, mit wie wechselnden Begebenheiten er das eine und ewige Geschick der Sterblichen verknüpft und wie tief er in die Verschieden¬ heit der menschlichen Seelen hinabsteigt, welche jeder Verallgemeinerung spottet und deren innerstes Gesetz eben darum nur vom Dichter erkannt werden kann. Indeß so reich und schier unerschöpflich Hesse in Licbcsnovellen ist, andre Themen und Conflicte sind bei ihm nicht ausgeschlossen; selbst an einer Handlung, welche aus einem den ganzen Menschen verzehrenden und ihn gleichsam zu Stahl här¬ tenden Rachegefühl hervorwächst, fehlt es in feinen Novellen nicht („Andrea

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/556
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/556>, abgerufen am 25.08.2024.