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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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wir es auch befolgen können, dürfen nicht dnrch eine Naturnothwendigkeit an
seiner Befolgung gehindert sein, d. h, wir müssen frei sein. So ist also die
Freiheit, die ans theoretischem Wege nicht bewiesen werden konnte, dnrch das
Gesetz der praktischen Vernunft sichergestellt. Ans dieselbe Art erhalten auch die
beiden andern Ideen, Gott und Unsterblichkeit, für uns Realität. Der noth¬
wendige Gegenstand jedes sittlichen Willens nämlich ist das höchste Gut. Dieses
enthält aber, wie Kant sagt, ein Doppeltes, die Tugend und die ihr entsprechende
Glückseligkeit. Die ersire, d. i. die völlige Uebereinstimmung des Willens mit
dem Sittengesetz oder die Heiligkeit, kann aber von uns als sinnlichen Wesen
nie erreicht werden, nud da sie gleichwohl das Gesetz von uns fordert, so können
wir uns ihr nur in einem ""endlichen Fortschritte nähern. Dieser endlose Fort¬
schritt ist aber nnr möglich, wenn mich unser Dasein endlos ist, d.h. unter Voraus¬
setzung der Unsterblichkeit. Was ferner den zweiten Bestandtheil des höchsten
Gutes, die Glückseligkeit betrifft, so stimmt dieselbe nicht von selbst mit der Tugend
überein, sondern hängt von Naturgesetzen ab, die durchaus nicht in unsrer Ge¬
walt sind. Es kaun daher diese nothwendige Uebereinstimmung nur durch ein
Wesen hervorgebracht werden, welches selbst der Urheber von Natur- wie Sitten¬
gesetz ist, und dieses Wesen ist Gott. So sind es also die Thatsachen des sitt¬
lichen Lebens, welche jenen Ideen Realität verschaffen. Gott, Freiheit und
Unsterblichkeit müssen vou uns angenommen werde", weil ohne sie Sittlichkeit
unmöglich wäre; sie sind, wie Kant es ausdrückt, Postulate der praktischem Vernunft.

Da wir es hier nicht eigentlich mit Kants Ethik, sondern mit seiner "Kritik
der reinen Vernunft" zu thun habe", so haben wir nnr kurz den Gedankengang
skizzirt, durch den er in seiner "Kritik der praktischen Vernunft" die Realität der
für die theoretische Vernunft unerweisbaren Ideen gewinnt. Ganz übergehen
durften wir die Ergebnisse seiner praktischen Philosophie nicht, weil dieselben zu
den Resultaten der "Kritik der reinen Vernunft" die nothwendige Ergänzung
bilde". Freilich wird diese Ansicht nicht allenthalben getheilt; von manchen Seiten
haben jene Ergebnisse seiner Ethik Kant harte Vorwürfe eingebracht, Vorwürfe,
die sich nicht selten sogar bis zu Verläumdungen steigerten. Man zuckte wohl
mitleidig die Achsel" darüber, daß er die metaphysischen Hirngespinnste, die er
in der "Kritik der reinen Vernunft" glücklich hinausgeworfen, hier dnrch eine
Hinterthür wieder hereingelassen habe, und er kam noch glimpflich weg, we"n
man diesen "Abfall von dem Geiste der kritischen Philosophie" mit Schopen¬
hauer nur als eine Folge seines Alters oder mit andern als eine Nachwirkung
seiner streng religiösen Jugenderziehung ansah, die ihm jene Ideen zu tief ein¬
geprägt habe, als daß er sich bei den negativen Resultaten seines Philosvphirens
hätte beruhigen können. Leider hat es auch uicht an solchen gefehlt, die ihn


wir es auch befolgen können, dürfen nicht dnrch eine Naturnothwendigkeit an
seiner Befolgung gehindert sein, d. h, wir müssen frei sein. So ist also die
Freiheit, die ans theoretischem Wege nicht bewiesen werden konnte, dnrch das
Gesetz der praktischen Vernunft sichergestellt. Ans dieselbe Art erhalten auch die
beiden andern Ideen, Gott und Unsterblichkeit, für uns Realität. Der noth¬
wendige Gegenstand jedes sittlichen Willens nämlich ist das höchste Gut. Dieses
enthält aber, wie Kant sagt, ein Doppeltes, die Tugend und die ihr entsprechende
Glückseligkeit. Die ersire, d. i. die völlige Uebereinstimmung des Willens mit
dem Sittengesetz oder die Heiligkeit, kann aber von uns als sinnlichen Wesen
nie erreicht werden, nud da sie gleichwohl das Gesetz von uns fordert, so können
wir uns ihr nur in einem »»endlichen Fortschritte nähern. Dieser endlose Fort¬
schritt ist aber nnr möglich, wenn mich unser Dasein endlos ist, d.h. unter Voraus¬
setzung der Unsterblichkeit. Was ferner den zweiten Bestandtheil des höchsten
Gutes, die Glückseligkeit betrifft, so stimmt dieselbe nicht von selbst mit der Tugend
überein, sondern hängt von Naturgesetzen ab, die durchaus nicht in unsrer Ge¬
walt sind. Es kaun daher diese nothwendige Uebereinstimmung nur durch ein
Wesen hervorgebracht werden, welches selbst der Urheber von Natur- wie Sitten¬
gesetz ist, und dieses Wesen ist Gott. So sind es also die Thatsachen des sitt¬
lichen Lebens, welche jenen Ideen Realität verschaffen. Gott, Freiheit und
Unsterblichkeit müssen vou uns angenommen werde», weil ohne sie Sittlichkeit
unmöglich wäre; sie sind, wie Kant es ausdrückt, Postulate der praktischem Vernunft.

Da wir es hier nicht eigentlich mit Kants Ethik, sondern mit seiner „Kritik
der reinen Vernunft" zu thun habe», so haben wir nnr kurz den Gedankengang
skizzirt, durch den er in seiner „Kritik der praktischen Vernunft" die Realität der
für die theoretische Vernunft unerweisbaren Ideen gewinnt. Ganz übergehen
durften wir die Ergebnisse seiner praktischen Philosophie nicht, weil dieselben zu
den Resultaten der „Kritik der reinen Vernunft" die nothwendige Ergänzung
bilde». Freilich wird diese Ansicht nicht allenthalben getheilt; von manchen Seiten
haben jene Ergebnisse seiner Ethik Kant harte Vorwürfe eingebracht, Vorwürfe,
die sich nicht selten sogar bis zu Verläumdungen steigerten. Man zuckte wohl
mitleidig die Achsel» darüber, daß er die metaphysischen Hirngespinnste, die er
in der „Kritik der reinen Vernunft" glücklich hinausgeworfen, hier dnrch eine
Hinterthür wieder hereingelassen habe, und er kam noch glimpflich weg, we»n
man diesen „Abfall von dem Geiste der kritischen Philosophie" mit Schopen¬
hauer nur als eine Folge seines Alters oder mit andern als eine Nachwirkung
seiner streng religiösen Jugenderziehung ansah, die ihm jene Ideen zu tief ein¬
geprägt habe, als daß er sich bei den negativen Resultaten seines Philosvphirens
hätte beruhigen können. Leider hat es auch uicht an solchen gefehlt, die ihn


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/552>, abgerufen am 24.07.2024.