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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Zum Jubiläum eines Buches,

bilder sie darstellte", se' sind nach Kant gerade umgekehrt die erscheinenden Dinge
zum größten Theil die Producte unsrer eignen Geistesthätigkeit, Er selbst ver¬
gleicht deshalb mit Recht sein Unternehmen in der Philosophie mit dem des
Kopernikus in der Astronomie. "Bisher nahm man an, alle unsre Erkenntniß
müsse sich nach den Gegenständen richten; aber alle Versuche, über sie a priori
etwas durch Begriffe nnSznmache", wodurch unsre Erkenntnisse erweitert würden,
gingen unter dieser Voraussetzung zu nichte. Man versuche es daher einmal,
ob wir nicht in den Aufgaben der Metaphysik damit besser fortkommen, daß wir
annehmen, die Gegenstände müssen sich nach unsrer Erkenntniß richten ., . Es
ist hiermit ebenso als mit den ersten Gedanken deS Kopernikus bewärte, der,
nachdem es mit der Erklärung der Himmelsbewegungen nicht gut fort wollte,
wen!, er annahm, das ganze Sternenheer drehe sich um den Zuschauer, ver¬
suchte, ob es nicht besser gelingen möchte, wenn er den Zuschauer sich drehen
und dagegen die Sterne in Ruhe ließe,"

Allerdings erheben sich gegen diese Weltanschauung manche ernsten Bedeuten.
Vor allein ist es die Lehre vom Ding an sich, welche die begründetsten Ein-
wendungen erfahren hat. Auf der einen Seite hält man die Annahme eines
solchen Dinges an sich überhaupt für eine Halbheit. Wenn die Gegenstände der
Erfahrung doch wesentlich die Producte unsrer Erkeuntuißformen siud, wenn das
Ding an sich, wie Kant lehrt, für uns doch nichts weiter als ein negativer Be¬
griff ist, ein Grenzbegriff, der die Grenze unsres Erkennens bezeichnet, wozu dann,
so fragt man, überhaupt die Annahme solcher Dinge an sich, die für uns eine
positive Vedentnng ja gar nicht haben? Und so hat denu Fichte deu Kantischen
Idealismus bis zur äußersten Consequenz, zum absoluten Idealismus ausgebildet,
der unter Verwerfung eines von uns verschiednen Dinges an sich die Welt der
Erscheinungen zu bloßen Producten unsres eignen Geistes macht. Auf der andern
Seite läßt non zwar die Kantische Voraussetzung von der Realität des Dinges
sich gelten, stößt sich aber an seiner Unerkennbarst. Wie können wir von
der Existenz der Dinge an sich etwas wissen, wenn uns ihr Wesen so absolut
uubeknunt ist, wie Kant es annimmt? Setzt nicht die Kenntniß von der Realität
einer Sache auch irgend eine, und sei es auch eine "och so geringe, Kenntniß
vou dem Wesen dieser Sache voraus? Und dazu sollen die Dinge an sich uns
nach Kant jn afficiren, in unsre Anschaunngs- und Denkformen eingehe" n"d
so beim Zustandekommen der Erscheinungen unbeteiligt sei". Liegt da nicht
die Annahme nahe, daß man aus diesen Erscheinungen auch auf die darin er¬
scheinenden Dinge an sich irgendwie sollte zurückschließen können? Ueberhaupt will
es dem menschlichen Geiste, der doch die Erkenntniß der Dinge selbst zum Ziele
hascht, wer eingehen, sich bei dem Gedanken zu ber"hige", daß diese Erkenntniß


Gmizbowi II, 1881, "9
Zum Jubiläum eines Buches,

bilder sie darstellte», se' sind nach Kant gerade umgekehrt die erscheinenden Dinge
zum größten Theil die Producte unsrer eignen Geistesthätigkeit, Er selbst ver¬
gleicht deshalb mit Recht sein Unternehmen in der Philosophie mit dem des
Kopernikus in der Astronomie. „Bisher nahm man an, alle unsre Erkenntniß
müsse sich nach den Gegenständen richten; aber alle Versuche, über sie a priori
etwas durch Begriffe nnSznmache», wodurch unsre Erkenntnisse erweitert würden,
gingen unter dieser Voraussetzung zu nichte. Man versuche es daher einmal,
ob wir nicht in den Aufgaben der Metaphysik damit besser fortkommen, daß wir
annehmen, die Gegenstände müssen sich nach unsrer Erkenntniß richten ., . Es
ist hiermit ebenso als mit den ersten Gedanken deS Kopernikus bewärte, der,
nachdem es mit der Erklärung der Himmelsbewegungen nicht gut fort wollte,
wen!, er annahm, das ganze Sternenheer drehe sich um den Zuschauer, ver¬
suchte, ob es nicht besser gelingen möchte, wenn er den Zuschauer sich drehen
und dagegen die Sterne in Ruhe ließe,"

Allerdings erheben sich gegen diese Weltanschauung manche ernsten Bedeuten.
Vor allein ist es die Lehre vom Ding an sich, welche die begründetsten Ein-
wendungen erfahren hat. Auf der einen Seite hält man die Annahme eines
solchen Dinges an sich überhaupt für eine Halbheit. Wenn die Gegenstände der
Erfahrung doch wesentlich die Producte unsrer Erkeuntuißformen siud, wenn das
Ding an sich, wie Kant lehrt, für uns doch nichts weiter als ein negativer Be¬
griff ist, ein Grenzbegriff, der die Grenze unsres Erkennens bezeichnet, wozu dann,
so fragt man, überhaupt die Annahme solcher Dinge an sich, die für uns eine
positive Vedentnng ja gar nicht haben? Und so hat denu Fichte deu Kantischen
Idealismus bis zur äußersten Consequenz, zum absoluten Idealismus ausgebildet,
der unter Verwerfung eines von uns verschiednen Dinges an sich die Welt der
Erscheinungen zu bloßen Producten unsres eignen Geistes macht. Auf der andern
Seite läßt non zwar die Kantische Voraussetzung von der Realität des Dinges
sich gelten, stößt sich aber an seiner Unerkennbarst. Wie können wir von
der Existenz der Dinge an sich etwas wissen, wenn uns ihr Wesen so absolut
uubeknunt ist, wie Kant es annimmt? Setzt nicht die Kenntniß von der Realität
einer Sache auch irgend eine, und sei es auch eine »och so geringe, Kenntniß
vou dem Wesen dieser Sache voraus? Und dazu sollen die Dinge an sich uns
nach Kant jn afficiren, in unsre Anschaunngs- und Denkformen eingehe» n»d
so beim Zustandekommen der Erscheinungen unbeteiligt sei». Liegt da nicht
die Annahme nahe, daß man aus diesen Erscheinungen auch auf die darin er¬
scheinenden Dinge an sich irgendwie sollte zurückschließen können? Ueberhaupt will
es dem menschlichen Geiste, der doch die Erkenntniß der Dinge selbst zum Ziele
hascht, wer eingehen, sich bei dem Gedanken zu ber»hige», daß diese Erkenntniß


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[0549] Zum Jubiläum eines Buches, bilder sie darstellte», se' sind nach Kant gerade umgekehrt die erscheinenden Dinge zum größten Theil die Producte unsrer eignen Geistesthätigkeit, Er selbst ver¬ gleicht deshalb mit Recht sein Unternehmen in der Philosophie mit dem des Kopernikus in der Astronomie. „Bisher nahm man an, alle unsre Erkenntniß müsse sich nach den Gegenständen richten; aber alle Versuche, über sie a priori etwas durch Begriffe nnSznmache», wodurch unsre Erkenntnisse erweitert würden, gingen unter dieser Voraussetzung zu nichte. Man versuche es daher einmal, ob wir nicht in den Aufgaben der Metaphysik damit besser fortkommen, daß wir annehmen, die Gegenstände müssen sich nach unsrer Erkenntniß richten ., . Es ist hiermit ebenso als mit den ersten Gedanken deS Kopernikus bewärte, der, nachdem es mit der Erklärung der Himmelsbewegungen nicht gut fort wollte, wen!, er annahm, das ganze Sternenheer drehe sich um den Zuschauer, ver¬ suchte, ob es nicht besser gelingen möchte, wenn er den Zuschauer sich drehen und dagegen die Sterne in Ruhe ließe," Allerdings erheben sich gegen diese Weltanschauung manche ernsten Bedeuten. Vor allein ist es die Lehre vom Ding an sich, welche die begründetsten Ein- wendungen erfahren hat. Auf der einen Seite hält man die Annahme eines solchen Dinges an sich überhaupt für eine Halbheit. Wenn die Gegenstände der Erfahrung doch wesentlich die Producte unsrer Erkeuntuißformen siud, wenn das Ding an sich, wie Kant lehrt, für uns doch nichts weiter als ein negativer Be¬ griff ist, ein Grenzbegriff, der die Grenze unsres Erkennens bezeichnet, wozu dann, so fragt man, überhaupt die Annahme solcher Dinge an sich, die für uns eine positive Vedentnng ja gar nicht haben? Und so hat denu Fichte deu Kantischen Idealismus bis zur äußersten Consequenz, zum absoluten Idealismus ausgebildet, der unter Verwerfung eines von uns verschiednen Dinges an sich die Welt der Erscheinungen zu bloßen Producten unsres eignen Geistes macht. Auf der andern Seite läßt non zwar die Kantische Voraussetzung von der Realität des Dinges sich gelten, stößt sich aber an seiner Unerkennbarst. Wie können wir von der Existenz der Dinge an sich etwas wissen, wenn uns ihr Wesen so absolut uubeknunt ist, wie Kant es annimmt? Setzt nicht die Kenntniß von der Realität einer Sache auch irgend eine, und sei es auch eine »och so geringe, Kenntniß vou dem Wesen dieser Sache voraus? Und dazu sollen die Dinge an sich uns nach Kant jn afficiren, in unsre Anschaunngs- und Denkformen eingehe» n»d so beim Zustandekommen der Erscheinungen unbeteiligt sei». Liegt da nicht die Annahme nahe, daß man aus diesen Erscheinungen auch auf die darin er¬ scheinenden Dinge an sich irgendwie sollte zurückschließen können? Ueberhaupt will es dem menschlichen Geiste, der doch die Erkenntniß der Dinge selbst zum Ziele hascht, wer eingehen, sich bei dem Gedanken zu ber»hige», daß diese Erkenntniß Gmizbowi II, 1881, »9

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/549>, abgerufen am 23.07.2024.