Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die bulgarische Krisis.

ist in der That ganz und gar unpassend für ein Land wie das der Bulgaren.
Sie kennt keine Beschränkung der Wahlen, kein Oberhaus, kein Veto des Fürsten.
Ein populäres Ministerium mit eiuer Majorität in der Volksvertretung würde
nach ihr uuvernutwortlich und allmächtig sein. Die Gefahr Persönlicher Tyrannei
ist durch sie ausgeschlossen, aber sie öffnet den Weg für eine tausendmal ärgere
Parteityrannei. Sie kann nur Anarchie, Verwirrung und Stockung zur Folge haben,
wie man unter dem Ministerium Zankoff zu sehen Gelegenheit hatte, welches auf
die Krisis vom November 1379 folgte.

Zankoff erhielt vom Fürsten seine Entlassung, weil er willkürlich gegen die
Besitzungen der Muslimen vorgegangen und einen großen Theil derselben als freies
Eigenthum bezeichnet und zu summarischer Exprvpriirnng angewiesen hatte. Alexander
hob auf die Klage der Türken diese Verfügung auf und gab jenen ihr Land zurück.
Zankoff beklagte sich darüber bei dem russischen Generalconsul Hitrowo, wurde aber
zurückgewiesen. Günstiger zeigte sich ihm M. Gladstone, der ihm einen sympathischen
Brief schrieb. Die weitre Entwicklung der Krisis ist bekannt. Der Fürst ver¬
zweifelte endlich an der Möglichkeit, mit der bestehenden Verfassung weiter zu
regieren, und stellte so zu sagen die Cabinetsfrage. Er erklärte seinem Volke: ent¬
weder ich erhalte Vollmacht, wenigstens eine Zeit lang, ohne diese Verfassung zu
regieren, oder ich nehme den Fürstcuhut ab und stelle ihn euch für den zur Ver¬
fügung, der uach den gemachten Erfahrungen Lust hat ihn zu tragen. Um Thor¬
heiten der radicalen Wähler im voraus ein Ende zu macheu, wurde eine Art
Belagerungszustand Proclamirt, wobei Militärgerichte zur Aburtheilung solcher öffent¬
licher Functionäre eingesetzt wurden, welche sich Aufwiegelungen gegen die gesetzlichen
Gewalten zu Schulden kommen lassen. Ferner wurden zahlreiche Beamte abgesetzt,
welche mit der radicalen Partei in Verbindung standen. Endlich unternahm der
Fürst eine Reise durch das Land, wobei ihm allerlei Ovationen dargebracht wurden
und ihm vielfach die Versicherung zukam, daß man sein Vorgehen billige. Man
darf daher erwarten, daß das vom Fürsten ins Auge gefaßte Plebiscit, welches
eine Nationalversammlung nach Sistvwa entsenden soll, die eine Ordnung der Ver¬
fassungsverhältnisse herbeizuführen bestimmt ist, günstig für ihn ausfallen wird,
wenn dabei auch von Seiten der Regierung ein wenig nachgeholfen werden müßte.
Denn andrerseits ist die Agitation für die Wahlen zur großen Sobranie, die am
13. Juli zusammentritt, bereits in vollem Zuge, und die Hanptführer der Radicalen,
Karaweloff, Drageen Zankoff, Pekko Slawejkoff, Iwan Slawejkoff und Ludsknnoff
haben bereits verschiedne Städte bereist, um gegen den Fürsten und für Aufrecht-
haltung der Verfassung zu wirken.

Der Fürst hat keinen Staatsstreich vollbracht und auch keinen solchen im Auge.
Er hat durchaus nicht illoyal gehandelt, nicht mit der Macht Appell gegen das
Recht eingelegt, sondern nur an das materielle Recht gegen das Formale appellirt.
Wir glauben, daß er sich dabei der Billigung aller Cabinette mit Ausnahme des
englischen erfreut. Die deutsche sowie die österreichisch-ungarische Regierung ist ibi"


Die bulgarische Krisis.

ist in der That ganz und gar unpassend für ein Land wie das der Bulgaren.
Sie kennt keine Beschränkung der Wahlen, kein Oberhaus, kein Veto des Fürsten.
Ein populäres Ministerium mit eiuer Majorität in der Volksvertretung würde
nach ihr uuvernutwortlich und allmächtig sein. Die Gefahr Persönlicher Tyrannei
ist durch sie ausgeschlossen, aber sie öffnet den Weg für eine tausendmal ärgere
Parteityrannei. Sie kann nur Anarchie, Verwirrung und Stockung zur Folge haben,
wie man unter dem Ministerium Zankoff zu sehen Gelegenheit hatte, welches auf
die Krisis vom November 1379 folgte.

Zankoff erhielt vom Fürsten seine Entlassung, weil er willkürlich gegen die
Besitzungen der Muslimen vorgegangen und einen großen Theil derselben als freies
Eigenthum bezeichnet und zu summarischer Exprvpriirnng angewiesen hatte. Alexander
hob auf die Klage der Türken diese Verfügung auf und gab jenen ihr Land zurück.
Zankoff beklagte sich darüber bei dem russischen Generalconsul Hitrowo, wurde aber
zurückgewiesen. Günstiger zeigte sich ihm M. Gladstone, der ihm einen sympathischen
Brief schrieb. Die weitre Entwicklung der Krisis ist bekannt. Der Fürst ver¬
zweifelte endlich an der Möglichkeit, mit der bestehenden Verfassung weiter zu
regieren, und stellte so zu sagen die Cabinetsfrage. Er erklärte seinem Volke: ent¬
weder ich erhalte Vollmacht, wenigstens eine Zeit lang, ohne diese Verfassung zu
regieren, oder ich nehme den Fürstcuhut ab und stelle ihn euch für den zur Ver¬
fügung, der uach den gemachten Erfahrungen Lust hat ihn zu tragen. Um Thor¬
heiten der radicalen Wähler im voraus ein Ende zu macheu, wurde eine Art
Belagerungszustand Proclamirt, wobei Militärgerichte zur Aburtheilung solcher öffent¬
licher Functionäre eingesetzt wurden, welche sich Aufwiegelungen gegen die gesetzlichen
Gewalten zu Schulden kommen lassen. Ferner wurden zahlreiche Beamte abgesetzt,
welche mit der radicalen Partei in Verbindung standen. Endlich unternahm der
Fürst eine Reise durch das Land, wobei ihm allerlei Ovationen dargebracht wurden
und ihm vielfach die Versicherung zukam, daß man sein Vorgehen billige. Man
darf daher erwarten, daß das vom Fürsten ins Auge gefaßte Plebiscit, welches
eine Nationalversammlung nach Sistvwa entsenden soll, die eine Ordnung der Ver¬
fassungsverhältnisse herbeizuführen bestimmt ist, günstig für ihn ausfallen wird,
wenn dabei auch von Seiten der Regierung ein wenig nachgeholfen werden müßte.
Denn andrerseits ist die Agitation für die Wahlen zur großen Sobranie, die am
13. Juli zusammentritt, bereits in vollem Zuge, und die Hanptführer der Radicalen,
Karaweloff, Drageen Zankoff, Pekko Slawejkoff, Iwan Slawejkoff und Ludsknnoff
haben bereits verschiedne Städte bereist, um gegen den Fürsten und für Aufrecht-
haltung der Verfassung zu wirken.

Der Fürst hat keinen Staatsstreich vollbracht und auch keinen solchen im Auge.
Er hat durchaus nicht illoyal gehandelt, nicht mit der Macht Appell gegen das
Recht eingelegt, sondern nur an das materielle Recht gegen das Formale appellirt.
Wir glauben, daß er sich dabei der Billigung aller Cabinette mit Ausnahme des
englischen erfreut. Die deutsche sowie die österreichisch-ungarische Regierung ist ibi«


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0538" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/150110"/>
          <fw type="header" place="top"> Die bulgarische Krisis.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1784" prev="#ID_1783"> ist in der That ganz und gar unpassend für ein Land wie das der Bulgaren.<lb/>
Sie kennt keine Beschränkung der Wahlen, kein Oberhaus, kein Veto des Fürsten.<lb/>
Ein populäres Ministerium mit eiuer Majorität in der Volksvertretung würde<lb/>
nach ihr uuvernutwortlich und allmächtig sein. Die Gefahr Persönlicher Tyrannei<lb/>
ist durch sie ausgeschlossen, aber sie öffnet den Weg für eine tausendmal ärgere<lb/>
Parteityrannei. Sie kann nur Anarchie, Verwirrung und Stockung zur Folge haben,<lb/>
wie man unter dem Ministerium Zankoff zu sehen Gelegenheit hatte, welches auf<lb/>
die Krisis vom November 1379 folgte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1785"> Zankoff erhielt vom Fürsten seine Entlassung, weil er willkürlich gegen die<lb/>
Besitzungen der Muslimen vorgegangen und einen großen Theil derselben als freies<lb/>
Eigenthum bezeichnet und zu summarischer Exprvpriirnng angewiesen hatte. Alexander<lb/>
hob auf die Klage der Türken diese Verfügung auf und gab jenen ihr Land zurück.<lb/>
Zankoff beklagte sich darüber bei dem russischen Generalconsul Hitrowo, wurde aber<lb/>
zurückgewiesen. Günstiger zeigte sich ihm M. Gladstone, der ihm einen sympathischen<lb/>
Brief schrieb. Die weitre Entwicklung der Krisis ist bekannt. Der Fürst ver¬<lb/>
zweifelte endlich an der Möglichkeit, mit der bestehenden Verfassung weiter zu<lb/>
regieren, und stellte so zu sagen die Cabinetsfrage. Er erklärte seinem Volke: ent¬<lb/>
weder ich erhalte Vollmacht, wenigstens eine Zeit lang, ohne diese Verfassung zu<lb/>
regieren, oder ich nehme den Fürstcuhut ab und stelle ihn euch für den zur Ver¬<lb/>
fügung, der uach den gemachten Erfahrungen Lust hat ihn zu tragen. Um Thor¬<lb/>
heiten der radicalen Wähler im voraus ein Ende zu macheu, wurde eine Art<lb/>
Belagerungszustand Proclamirt, wobei Militärgerichte zur Aburtheilung solcher öffent¬<lb/>
licher Functionäre eingesetzt wurden, welche sich Aufwiegelungen gegen die gesetzlichen<lb/>
Gewalten zu Schulden kommen lassen. Ferner wurden zahlreiche Beamte abgesetzt,<lb/>
welche mit der radicalen Partei in Verbindung standen. Endlich unternahm der<lb/>
Fürst eine Reise durch das Land, wobei ihm allerlei Ovationen dargebracht wurden<lb/>
und ihm vielfach die Versicherung zukam, daß man sein Vorgehen billige. Man<lb/>
darf daher erwarten, daß das vom Fürsten ins Auge gefaßte Plebiscit, welches<lb/>
eine Nationalversammlung nach Sistvwa entsenden soll, die eine Ordnung der Ver¬<lb/>
fassungsverhältnisse herbeizuführen bestimmt ist, günstig für ihn ausfallen wird,<lb/>
wenn dabei auch von Seiten der Regierung ein wenig nachgeholfen werden müßte.<lb/>
Denn andrerseits ist die Agitation für die Wahlen zur großen Sobranie, die am<lb/>
13. Juli zusammentritt, bereits in vollem Zuge, und die Hanptführer der Radicalen,<lb/>
Karaweloff, Drageen Zankoff, Pekko Slawejkoff, Iwan Slawejkoff und Ludsknnoff<lb/>
haben bereits verschiedne Städte bereist, um gegen den Fürsten und für Aufrecht-<lb/>
haltung der Verfassung zu wirken.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1786" next="#ID_1787"> Der Fürst hat keinen Staatsstreich vollbracht und auch keinen solchen im Auge.<lb/>
Er hat durchaus nicht illoyal gehandelt, nicht mit der Macht Appell gegen das<lb/>
Recht eingelegt, sondern nur an das materielle Recht gegen das Formale appellirt.<lb/>
Wir glauben, daß er sich dabei der Billigung aller Cabinette mit Ausnahme des<lb/>
englischen erfreut. Die deutsche sowie die österreichisch-ungarische Regierung ist ibi«</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0538] Die bulgarische Krisis. ist in der That ganz und gar unpassend für ein Land wie das der Bulgaren. Sie kennt keine Beschränkung der Wahlen, kein Oberhaus, kein Veto des Fürsten. Ein populäres Ministerium mit eiuer Majorität in der Volksvertretung würde nach ihr uuvernutwortlich und allmächtig sein. Die Gefahr Persönlicher Tyrannei ist durch sie ausgeschlossen, aber sie öffnet den Weg für eine tausendmal ärgere Parteityrannei. Sie kann nur Anarchie, Verwirrung und Stockung zur Folge haben, wie man unter dem Ministerium Zankoff zu sehen Gelegenheit hatte, welches auf die Krisis vom November 1379 folgte. Zankoff erhielt vom Fürsten seine Entlassung, weil er willkürlich gegen die Besitzungen der Muslimen vorgegangen und einen großen Theil derselben als freies Eigenthum bezeichnet und zu summarischer Exprvpriirnng angewiesen hatte. Alexander hob auf die Klage der Türken diese Verfügung auf und gab jenen ihr Land zurück. Zankoff beklagte sich darüber bei dem russischen Generalconsul Hitrowo, wurde aber zurückgewiesen. Günstiger zeigte sich ihm M. Gladstone, der ihm einen sympathischen Brief schrieb. Die weitre Entwicklung der Krisis ist bekannt. Der Fürst ver¬ zweifelte endlich an der Möglichkeit, mit der bestehenden Verfassung weiter zu regieren, und stellte so zu sagen die Cabinetsfrage. Er erklärte seinem Volke: ent¬ weder ich erhalte Vollmacht, wenigstens eine Zeit lang, ohne diese Verfassung zu regieren, oder ich nehme den Fürstcuhut ab und stelle ihn euch für den zur Ver¬ fügung, der uach den gemachten Erfahrungen Lust hat ihn zu tragen. Um Thor¬ heiten der radicalen Wähler im voraus ein Ende zu macheu, wurde eine Art Belagerungszustand Proclamirt, wobei Militärgerichte zur Aburtheilung solcher öffent¬ licher Functionäre eingesetzt wurden, welche sich Aufwiegelungen gegen die gesetzlichen Gewalten zu Schulden kommen lassen. Ferner wurden zahlreiche Beamte abgesetzt, welche mit der radicalen Partei in Verbindung standen. Endlich unternahm der Fürst eine Reise durch das Land, wobei ihm allerlei Ovationen dargebracht wurden und ihm vielfach die Versicherung zukam, daß man sein Vorgehen billige. Man darf daher erwarten, daß das vom Fürsten ins Auge gefaßte Plebiscit, welches eine Nationalversammlung nach Sistvwa entsenden soll, die eine Ordnung der Ver¬ fassungsverhältnisse herbeizuführen bestimmt ist, günstig für ihn ausfallen wird, wenn dabei auch von Seiten der Regierung ein wenig nachgeholfen werden müßte. Denn andrerseits ist die Agitation für die Wahlen zur großen Sobranie, die am 13. Juli zusammentritt, bereits in vollem Zuge, und die Hanptführer der Radicalen, Karaweloff, Drageen Zankoff, Pekko Slawejkoff, Iwan Slawejkoff und Ludsknnoff haben bereits verschiedne Städte bereist, um gegen den Fürsten und für Aufrecht- haltung der Verfassung zu wirken. Der Fürst hat keinen Staatsstreich vollbracht und auch keinen solchen im Auge. Er hat durchaus nicht illoyal gehandelt, nicht mit der Macht Appell gegen das Recht eingelegt, sondern nur an das materielle Recht gegen das Formale appellirt. Wir glauben, daß er sich dabei der Billigung aller Cabinette mit Ausnahme des englischen erfreut. Die deutsche sowie die österreichisch-ungarische Regierung ist ibi«

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/538
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/538>, abgerufen am 25.08.2024.