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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Die bulgarische Krisis.

und Ausflüchte hinsichtlich der Absteckung der Grenzlinien gereizt und mehr oder
weniger alle Großmächte mit Einschluß Rußlands dnrch falsche Darstellung des Sach¬
verhalts und grobe Unart gegen ihre diplomatischen Vertreter in Mißstimmung ver¬
setzt. Ein Rückblick auf einige Partien in der Geschichte Bulgariens in den letzten
drei Jahren wird dies weiter erkennen lassen.

Am 13. Juli 1378 traf der Fürst Alexander in Sofia ein, wo er mit großer Be¬
geisterung empfangen wurde. Zu dieser Zeit bestand die Provisorische russische Ver¬
waltung des Landes noch, und es war natürlich nothwendig, daß dieselbe einer
nationalen Administration Platz machte; doch begegnete die Bildung einer solchen
erheblichen Schwierigkeiten. Der Fürst wünschte sich mit einem Ministerium zu
umgeben, zusammengesetzt ans Bulgaren, deren Kenntnisse und deren Vorleben ihm
Bürgschaft gäben^ daß sie ihren Obliegenheiten gebührend nachkommen würde".
Die Aufgabe war keine leichte, da sich schon in der constituirenden Versammlung
in Tirnowa leider starke Meinungsverschiedenheiten und persönliche Sympathien und
Antipathien in ziemlich häßlicher Weise geltend gemacht hatten. Zwei Parteien
hatten sich gebildet, die man -- warum, ist nicht recht einzusehen -- Konservative
und Liberale nannte, die man aber besser als Gemäßigte und Ultraradicale be¬
zeichnet hätte. Der hervorragendste und angesehenste unter den letztern war Zankoff,
der indeß den Sitz im Cabinet, welcher ihm angeboten wurde, ablehnte und später
mir den Posten eines diplomatischen Agenten in Constantinopel annahm.

Endlich kam ein Ministerium zusammen, welches den Absichten des Fürsten
zu entsprechen verhieß. Wenigstens hatten sich die Mitglieder desselben bisher dnrch
allerlei Patriotische Leistungen empfohlen, und ebenso standen sie um Bildung über
dem Gros der Bevölkerung. Theodor Burmoff, der Minister des Innern, hatte
im Verlaufe der letzten zwanzig Jahre mit Eifer für die Entwicklung des Landes
gearbeitet. Namentlich hatte er sich als Professor an der Schule zu Gabrowo um
diese Erziehungsanstalt und um das Schulwesen Bulgariens überhaupt verdient ge¬
macht. Später, als Redacteur des "Sowetuik", kämpfte er beharrlich gegen die
römisch-katholische Propaganda, welche bestrebt war, das Volk dem Glauben seiner
Väter abwendig zu machen, und dabei nicht wenige Bulgaren, die in ihr ein Werk¬
zeug der Befreiung erblickten, auf ihrer Seite hatte. Zuletzt genöthigt, sich zurück¬
zuziehen, trat er in die Dienste der russischen Botschaft in Constantinopel, der er
bis zur Beendigung des Krieges angehörte. Er wurde darauf Vicegouverncnr von
Philippopel und dann Gouverneur von Sofia, von welchem Posten er zum Mi¬
nister des Innern und zum Vorsitzenden des Conseils berufen wurde. Die Stelle
des Ministers der auswärtigen Angelegenheiten und des Cultus erhielt Mark
Balabauoff. Er hatte zuerst die Schule zu Haiti bei Constantinopel besucht und
dann in Paris die Rechtswissenschaften studirt. In sein Vaterland zurückgekehrt,
betheiligte er sich lebhaft an der Opposition gegen das griechische Kirchenregi-
mcnt, welches die Bulgaren bis dahin bedrückte und ausbeutete, und trug wesent¬
lich zur Begründung der bulgarischen Kirche oder vielmehr zu deren Wiederauf-


GreuMeu 11. 1881. 67
Die bulgarische Krisis.

und Ausflüchte hinsichtlich der Absteckung der Grenzlinien gereizt und mehr oder
weniger alle Großmächte mit Einschluß Rußlands dnrch falsche Darstellung des Sach¬
verhalts und grobe Unart gegen ihre diplomatischen Vertreter in Mißstimmung ver¬
setzt. Ein Rückblick auf einige Partien in der Geschichte Bulgariens in den letzten
drei Jahren wird dies weiter erkennen lassen.

Am 13. Juli 1378 traf der Fürst Alexander in Sofia ein, wo er mit großer Be¬
geisterung empfangen wurde. Zu dieser Zeit bestand die Provisorische russische Ver¬
waltung des Landes noch, und es war natürlich nothwendig, daß dieselbe einer
nationalen Administration Platz machte; doch begegnete die Bildung einer solchen
erheblichen Schwierigkeiten. Der Fürst wünschte sich mit einem Ministerium zu
umgeben, zusammengesetzt ans Bulgaren, deren Kenntnisse und deren Vorleben ihm
Bürgschaft gäben^ daß sie ihren Obliegenheiten gebührend nachkommen würde«.
Die Aufgabe war keine leichte, da sich schon in der constituirenden Versammlung
in Tirnowa leider starke Meinungsverschiedenheiten und persönliche Sympathien und
Antipathien in ziemlich häßlicher Weise geltend gemacht hatten. Zwei Parteien
hatten sich gebildet, die man — warum, ist nicht recht einzusehen — Konservative
und Liberale nannte, die man aber besser als Gemäßigte und Ultraradicale be¬
zeichnet hätte. Der hervorragendste und angesehenste unter den letztern war Zankoff,
der indeß den Sitz im Cabinet, welcher ihm angeboten wurde, ablehnte und später
mir den Posten eines diplomatischen Agenten in Constantinopel annahm.

Endlich kam ein Ministerium zusammen, welches den Absichten des Fürsten
zu entsprechen verhieß. Wenigstens hatten sich die Mitglieder desselben bisher dnrch
allerlei Patriotische Leistungen empfohlen, und ebenso standen sie um Bildung über
dem Gros der Bevölkerung. Theodor Burmoff, der Minister des Innern, hatte
im Verlaufe der letzten zwanzig Jahre mit Eifer für die Entwicklung des Landes
gearbeitet. Namentlich hatte er sich als Professor an der Schule zu Gabrowo um
diese Erziehungsanstalt und um das Schulwesen Bulgariens überhaupt verdient ge¬
macht. Später, als Redacteur des „Sowetuik", kämpfte er beharrlich gegen die
römisch-katholische Propaganda, welche bestrebt war, das Volk dem Glauben seiner
Väter abwendig zu machen, und dabei nicht wenige Bulgaren, die in ihr ein Werk¬
zeug der Befreiung erblickten, auf ihrer Seite hatte. Zuletzt genöthigt, sich zurück¬
zuziehen, trat er in die Dienste der russischen Botschaft in Constantinopel, der er
bis zur Beendigung des Krieges angehörte. Er wurde darauf Vicegouverncnr von
Philippopel und dann Gouverneur von Sofia, von welchem Posten er zum Mi¬
nister des Innern und zum Vorsitzenden des Conseils berufen wurde. Die Stelle
des Ministers der auswärtigen Angelegenheiten und des Cultus erhielt Mark
Balabauoff. Er hatte zuerst die Schule zu Haiti bei Constantinopel besucht und
dann in Paris die Rechtswissenschaften studirt. In sein Vaterland zurückgekehrt,
betheiligte er sich lebhaft an der Opposition gegen das griechische Kirchenregi-
mcnt, welches die Bulgaren bis dahin bedrückte und ausbeutete, und trug wesent¬
lich zur Begründung der bulgarischen Kirche oder vielmehr zu deren Wiederauf-


GreuMeu 11. 1881. 67
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[0533] Die bulgarische Krisis. und Ausflüchte hinsichtlich der Absteckung der Grenzlinien gereizt und mehr oder weniger alle Großmächte mit Einschluß Rußlands dnrch falsche Darstellung des Sach¬ verhalts und grobe Unart gegen ihre diplomatischen Vertreter in Mißstimmung ver¬ setzt. Ein Rückblick auf einige Partien in der Geschichte Bulgariens in den letzten drei Jahren wird dies weiter erkennen lassen. Am 13. Juli 1378 traf der Fürst Alexander in Sofia ein, wo er mit großer Be¬ geisterung empfangen wurde. Zu dieser Zeit bestand die Provisorische russische Ver¬ waltung des Landes noch, und es war natürlich nothwendig, daß dieselbe einer nationalen Administration Platz machte; doch begegnete die Bildung einer solchen erheblichen Schwierigkeiten. Der Fürst wünschte sich mit einem Ministerium zu umgeben, zusammengesetzt ans Bulgaren, deren Kenntnisse und deren Vorleben ihm Bürgschaft gäben^ daß sie ihren Obliegenheiten gebührend nachkommen würde«. Die Aufgabe war keine leichte, da sich schon in der constituirenden Versammlung in Tirnowa leider starke Meinungsverschiedenheiten und persönliche Sympathien und Antipathien in ziemlich häßlicher Weise geltend gemacht hatten. Zwei Parteien hatten sich gebildet, die man — warum, ist nicht recht einzusehen — Konservative und Liberale nannte, die man aber besser als Gemäßigte und Ultraradicale be¬ zeichnet hätte. Der hervorragendste und angesehenste unter den letztern war Zankoff, der indeß den Sitz im Cabinet, welcher ihm angeboten wurde, ablehnte und später mir den Posten eines diplomatischen Agenten in Constantinopel annahm. Endlich kam ein Ministerium zusammen, welches den Absichten des Fürsten zu entsprechen verhieß. Wenigstens hatten sich die Mitglieder desselben bisher dnrch allerlei Patriotische Leistungen empfohlen, und ebenso standen sie um Bildung über dem Gros der Bevölkerung. Theodor Burmoff, der Minister des Innern, hatte im Verlaufe der letzten zwanzig Jahre mit Eifer für die Entwicklung des Landes gearbeitet. Namentlich hatte er sich als Professor an der Schule zu Gabrowo um diese Erziehungsanstalt und um das Schulwesen Bulgariens überhaupt verdient ge¬ macht. Später, als Redacteur des „Sowetuik", kämpfte er beharrlich gegen die römisch-katholische Propaganda, welche bestrebt war, das Volk dem Glauben seiner Väter abwendig zu machen, und dabei nicht wenige Bulgaren, die in ihr ein Werk¬ zeug der Befreiung erblickten, auf ihrer Seite hatte. Zuletzt genöthigt, sich zurück¬ zuziehen, trat er in die Dienste der russischen Botschaft in Constantinopel, der er bis zur Beendigung des Krieges angehörte. Er wurde darauf Vicegouverncnr von Philippopel und dann Gouverneur von Sofia, von welchem Posten er zum Mi¬ nister des Innern und zum Vorsitzenden des Conseils berufen wurde. Die Stelle des Ministers der auswärtigen Angelegenheiten und des Cultus erhielt Mark Balabauoff. Er hatte zuerst die Schule zu Haiti bei Constantinopel besucht und dann in Paris die Rechtswissenschaften studirt. In sein Vaterland zurückgekehrt, betheiligte er sich lebhaft an der Opposition gegen das griechische Kirchenregi- mcnt, welches die Bulgaren bis dahin bedrückte und ausbeutete, und trug wesent¬ lich zur Begründung der bulgarischen Kirche oder vielmehr zu deren Wiederauf- GreuMeu 11. 1881. 67

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/533>, abgerufen am 25.08.2024.