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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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klerikalen Organe, die sociale Frage könne nur gelöst werden mittels der Freiheit
der Kirche, das heißt Roms.

Das Verhältniß des Centrums zum Staatssocialismus -- unter Staats-
socialismus das wirksame Eintreten des Staates für die Arbeiter auf dein Boden
der bestehenden Rechtsordnung verstanden -- ist durch das Verhalten des Centrums
zum Uufallversichcrungsgesetz offenbar geworden, und die Erleuchtung dieses Ver¬
hältnisses ist ein klärendes Ereignis; ersten Ranges. Die Verhandlung des Uu-
fallversicheruugsgesetzes hat aber noch andre Klarheit gebracht. Wo sind nun
jene so oft wiederholten Behauptungen der klerikalen Blätter, nur mit dem
Centrum könne der Reichskanzler seine Wirthschaftsreform durchführe", nicht mit
dem dieser Reform grundsätzlich feindlichen Liberalismus? Ja, Zunftzwang,
Bannrechte und ähnliche Wohlthaten würde das Centrum dein modernen Staate
gern bescheeren, wenn sich eine Regierung zur Annahme bereit fände. Denn mit
diesen Wohlthaten würde die Unzufriedenheit nicht gehoben, sondern gesteigert, das
Proletariat nicht beseitigt, sondern elender, der Staat hilf- und rathlos gemacht
werden. Aber die moderne Gesellschaft aus ihrer eignen Basis heraus, welche
ihrerseits das Erzeugniß aller Entwicklungsfactoren der neuern Geschichte ist,
zu organisiren, dazu wird das Centrum nicht die Hand bieten, weil es damit
den modernen Staat die größte innere Stärke gewinnen lassen würde, die er
überhaupt erreichen kann.

Ist aber das Centrum überhaupt noch eine innerlich gcschlvssue Partei?
Auch auf die innern Zustände dieser anscheinend so vollkommen disciplinirten
Partei hat die Verhandlung des Uufallgesetzes merkwürdige Lichter geworfen.
Es ist kein Zweifel mehr: Wenn heute eine Ausgleichung zwischen dem Reiche
und dem Papste zu Stande käme, wenn die päpstliche und bischöfliche Macht¬
vollkommenheit wiederum große Einräumungen erhielte und die Grenze eines
langen Friedenszustandes vom Papste selbst feierlich bestätigt würde, so würden
die Aristokraten Schlesiens. Westfalens, Baierns, die Praschma, Schorlemer,
Frankenstein, Heeremann u. s. w. Mitglieder einer dhnastisch-conservativen Partei
werden, sie würden das Reich mit dein preußische" Kaiserthum aufrichtig an¬
nehmen und stützen, sie würden den Staat auch auf der Bahn einer wohlthätigen
Socialpolitik und Reform nicht verlassen. Anders die zahlreichen demokratischen
Elemente des Centrums. Diese würden sich als demokratisch-particularistische
Partei aufthun und vielleicht die Führung der süddeutschen Volkspartei und ge¬
wisser Elemente des norddeutschen Fortschritts übernehmen; sie würden nicht auf¬
hören, zur Heranziehung großer Volksmassen sich des Einflusses der Kaplauvkratie,
theils im Gegensatz zur bischöflichen Autorität, theils unter stiller Handreichung
seitens derselben, zu bedienen. In Rom würden sie ans die Stütze der Jesuiten


klerikalen Organe, die sociale Frage könne nur gelöst werden mittels der Freiheit
der Kirche, das heißt Roms.

Das Verhältniß des Centrums zum Staatssocialismus — unter Staats-
socialismus das wirksame Eintreten des Staates für die Arbeiter auf dein Boden
der bestehenden Rechtsordnung verstanden — ist durch das Verhalten des Centrums
zum Uufallversichcrungsgesetz offenbar geworden, und die Erleuchtung dieses Ver¬
hältnisses ist ein klärendes Ereignis; ersten Ranges. Die Verhandlung des Uu-
fallversicheruugsgesetzes hat aber noch andre Klarheit gebracht. Wo sind nun
jene so oft wiederholten Behauptungen der klerikalen Blätter, nur mit dem
Centrum könne der Reichskanzler seine Wirthschaftsreform durchführe», nicht mit
dem dieser Reform grundsätzlich feindlichen Liberalismus? Ja, Zunftzwang,
Bannrechte und ähnliche Wohlthaten würde das Centrum dein modernen Staate
gern bescheeren, wenn sich eine Regierung zur Annahme bereit fände. Denn mit
diesen Wohlthaten würde die Unzufriedenheit nicht gehoben, sondern gesteigert, das
Proletariat nicht beseitigt, sondern elender, der Staat hilf- und rathlos gemacht
werden. Aber die moderne Gesellschaft aus ihrer eignen Basis heraus, welche
ihrerseits das Erzeugniß aller Entwicklungsfactoren der neuern Geschichte ist,
zu organisiren, dazu wird das Centrum nicht die Hand bieten, weil es damit
den modernen Staat die größte innere Stärke gewinnen lassen würde, die er
überhaupt erreichen kann.

Ist aber das Centrum überhaupt noch eine innerlich gcschlvssue Partei?
Auch auf die innern Zustände dieser anscheinend so vollkommen disciplinirten
Partei hat die Verhandlung des Uufallgesetzes merkwürdige Lichter geworfen.
Es ist kein Zweifel mehr: Wenn heute eine Ausgleichung zwischen dem Reiche
und dem Papste zu Stande käme, wenn die päpstliche und bischöfliche Macht¬
vollkommenheit wiederum große Einräumungen erhielte und die Grenze eines
langen Friedenszustandes vom Papste selbst feierlich bestätigt würde, so würden
die Aristokraten Schlesiens. Westfalens, Baierns, die Praschma, Schorlemer,
Frankenstein, Heeremann u. s. w. Mitglieder einer dhnastisch-conservativen Partei
werden, sie würden das Reich mit dein preußische» Kaiserthum aufrichtig an¬
nehmen und stützen, sie würden den Staat auch auf der Bahn einer wohlthätigen
Socialpolitik und Reform nicht verlassen. Anders die zahlreichen demokratischen
Elemente des Centrums. Diese würden sich als demokratisch-particularistische
Partei aufthun und vielleicht die Führung der süddeutschen Volkspartei und ge¬
wisser Elemente des norddeutschen Fortschritts übernehmen; sie würden nicht auf¬
hören, zur Heranziehung großer Volksmassen sich des Einflusses der Kaplauvkratie,
theils im Gegensatz zur bischöflichen Autorität, theils unter stiller Handreichung
seitens derselben, zu bedienen. In Rom würden sie ans die Stütze der Jesuiten


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[0527] klerikalen Organe, die sociale Frage könne nur gelöst werden mittels der Freiheit der Kirche, das heißt Roms. Das Verhältniß des Centrums zum Staatssocialismus — unter Staats- socialismus das wirksame Eintreten des Staates für die Arbeiter auf dein Boden der bestehenden Rechtsordnung verstanden — ist durch das Verhalten des Centrums zum Uufallversichcrungsgesetz offenbar geworden, und die Erleuchtung dieses Ver¬ hältnisses ist ein klärendes Ereignis; ersten Ranges. Die Verhandlung des Uu- fallversicheruugsgesetzes hat aber noch andre Klarheit gebracht. Wo sind nun jene so oft wiederholten Behauptungen der klerikalen Blätter, nur mit dem Centrum könne der Reichskanzler seine Wirthschaftsreform durchführe», nicht mit dem dieser Reform grundsätzlich feindlichen Liberalismus? Ja, Zunftzwang, Bannrechte und ähnliche Wohlthaten würde das Centrum dein modernen Staate gern bescheeren, wenn sich eine Regierung zur Annahme bereit fände. Denn mit diesen Wohlthaten würde die Unzufriedenheit nicht gehoben, sondern gesteigert, das Proletariat nicht beseitigt, sondern elender, der Staat hilf- und rathlos gemacht werden. Aber die moderne Gesellschaft aus ihrer eignen Basis heraus, welche ihrerseits das Erzeugniß aller Entwicklungsfactoren der neuern Geschichte ist, zu organisiren, dazu wird das Centrum nicht die Hand bieten, weil es damit den modernen Staat die größte innere Stärke gewinnen lassen würde, die er überhaupt erreichen kann. Ist aber das Centrum überhaupt noch eine innerlich gcschlvssue Partei? Auch auf die innern Zustände dieser anscheinend so vollkommen disciplinirten Partei hat die Verhandlung des Uufallgesetzes merkwürdige Lichter geworfen. Es ist kein Zweifel mehr: Wenn heute eine Ausgleichung zwischen dem Reiche und dem Papste zu Stande käme, wenn die päpstliche und bischöfliche Macht¬ vollkommenheit wiederum große Einräumungen erhielte und die Grenze eines langen Friedenszustandes vom Papste selbst feierlich bestätigt würde, so würden die Aristokraten Schlesiens. Westfalens, Baierns, die Praschma, Schorlemer, Frankenstein, Heeremann u. s. w. Mitglieder einer dhnastisch-conservativen Partei werden, sie würden das Reich mit dein preußische» Kaiserthum aufrichtig an¬ nehmen und stützen, sie würden den Staat auch auf der Bahn einer wohlthätigen Socialpolitik und Reform nicht verlassen. Anders die zahlreichen demokratischen Elemente des Centrums. Diese würden sich als demokratisch-particularistische Partei aufthun und vielleicht die Führung der süddeutschen Volkspartei und ge¬ wisser Elemente des norddeutschen Fortschritts übernehmen; sie würden nicht auf¬ hören, zur Heranziehung großer Volksmassen sich des Einflusses der Kaplauvkratie, theils im Gegensatz zur bischöflichen Autorität, theils unter stiller Handreichung seitens derselben, zu bedienen. In Rom würden sie ans die Stütze der Jesuiten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/527>, abgerufen am 23.07.2024.