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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Lauchstädt.

kam es auf Namen und Personenzahl gar nicht an; "zwei Jüdinnen aus Halber¬
stadt", "vier Bauerweiber aus Hadersleben" bilden in der Liste von 1723 je
eine Nummer.

Im Jahre 1726 erschien eine Schrift über Lauchstädt, die jedenfalls außer¬
ordentlich zur Verbreitung seines Rufes beitrug, das mit einem halb bild- halb
landkartennrtigen Plane von Lauchstädt und Umgegend geschmückte Büchlein des
kursächsischen Land-, Berg- und Stadtphyfieus in Freiberg I)r. I. F. Henckel:
Letnösäa xorwo-sa. Das Schriftchen ist eins der originellsten Erzeugnisse unter
der reichen balnevlogischcn Literatur des vorigen Jahrhunderts. Der Verfasser
war für seine Zeit ein höchst aufgeklärter und ehrlicher Arzt, und da er über¬
dies schreibt, wie ihm der Schnabel gewachsen ist, in schlichtem Deutsch, ohne all
die garstige Verbrämung mit lateinischen und französischen Brocken und Phrasen,
wie sie selbst unsre populärwissenschaftliche Literatur bis tief ins 18. Jahrhundert
herein liebte, dazu mit gutem, oft derbem Humor, der sich gelegentlich selbst zu
einem etwas burlesken Tone versteigt, so wird es ihm nicht an entgegenkommenden
Lesern gefehlt haben, die sich die trefflichen Lehren des Verfassers zu Nutze machten.
Einige Stellen daraus mögen als ergötzliche Proben aus der Badelitcratur jener
Zeit überhaupt dienen.

Gleich in der Vorrede verspottet Henckel die Unsitte seiner Zeit, die Bücher
mit allerhand gelehrten Citaten auszuputzen und räumlich und zeitlich entlegne
Dinge, die nicht zur Sache gehören, heranzuziehen. "Was gehen uns die g.qug.e
Lvxtmv VvlM oder die Linssvnsös lÄeiti an? Was haben wir mit denen Bädern
zu Ofen und Olvnitz zu thun? Heute zu Tage, da man das locinsrs, ut es viüeÄni
in acht nehmen muß, geht es nicht mehr an, sich hinter die Bücher zu verstecken,
oder aus dem alten Krachen was zusammen zu tragen; sondern die gescheite Welt
will aufs Sachen gewiesen seyn, und die müssen wir uns nicht nur einbilden,
sondern auch sehen, nicht nur sehen, sondern auch zu gebrauchen Gelegenheit haben."
Als Arzt, meint er, sollte er eigentlich "die Bäder heruntermachen und nur alleine
seine Sieben-Sachen oder berühmter Männer rare Artzneyen auf den Platz bringen,"
aber er schreibe in der Ueberzeugung, daß die Wirkung der Arzneien doch ihre
Grenze habe und "endlich ein gehöriges Bad die Ehre der Ne-älen retten" müsse.
Ein gutes Bad aber brauche man nicht immer in weiter Ferne zu suchen. Zwar
wolle er nicht "alle Koch- und Wahns-Wasser zu Gesundbrunnen machen;" aber
die Güte und Gesundheit eines Wassers liege viel mehr in der höchsten Reinig¬
keit, um nicht zu sagen Flüchtigkeit, Geistlichkeit und tgi., "weil man sich mit
sothanem Ausdrücken und Lob-Sprüchen einen Beweiß übern Halß ziehet, den
man heute zu Tage, wo man sich nicht mehr mit Worten abspeisten lassen will,
schwerlich ablegen kann," als in einem besondern mineralischen Gehalt.


Lauchstädt.

kam es auf Namen und Personenzahl gar nicht an; „zwei Jüdinnen aus Halber¬
stadt", „vier Bauerweiber aus Hadersleben" bilden in der Liste von 1723 je
eine Nummer.

Im Jahre 1726 erschien eine Schrift über Lauchstädt, die jedenfalls außer¬
ordentlich zur Verbreitung seines Rufes beitrug, das mit einem halb bild- halb
landkartennrtigen Plane von Lauchstädt und Umgegend geschmückte Büchlein des
kursächsischen Land-, Berg- und Stadtphyfieus in Freiberg I)r. I. F. Henckel:
Letnösäa xorwo-sa. Das Schriftchen ist eins der originellsten Erzeugnisse unter
der reichen balnevlogischcn Literatur des vorigen Jahrhunderts. Der Verfasser
war für seine Zeit ein höchst aufgeklärter und ehrlicher Arzt, und da er über¬
dies schreibt, wie ihm der Schnabel gewachsen ist, in schlichtem Deutsch, ohne all
die garstige Verbrämung mit lateinischen und französischen Brocken und Phrasen,
wie sie selbst unsre populärwissenschaftliche Literatur bis tief ins 18. Jahrhundert
herein liebte, dazu mit gutem, oft derbem Humor, der sich gelegentlich selbst zu
einem etwas burlesken Tone versteigt, so wird es ihm nicht an entgegenkommenden
Lesern gefehlt haben, die sich die trefflichen Lehren des Verfassers zu Nutze machten.
Einige Stellen daraus mögen als ergötzliche Proben aus der Badelitcratur jener
Zeit überhaupt dienen.

Gleich in der Vorrede verspottet Henckel die Unsitte seiner Zeit, die Bücher
mit allerhand gelehrten Citaten auszuputzen und räumlich und zeitlich entlegne
Dinge, die nicht zur Sache gehören, heranzuziehen. „Was gehen uns die g.qug.e
Lvxtmv VvlM oder die Linssvnsös lÄeiti an? Was haben wir mit denen Bädern
zu Ofen und Olvnitz zu thun? Heute zu Tage, da man das locinsrs, ut es viüeÄni
in acht nehmen muß, geht es nicht mehr an, sich hinter die Bücher zu verstecken,
oder aus dem alten Krachen was zusammen zu tragen; sondern die gescheite Welt
will aufs Sachen gewiesen seyn, und die müssen wir uns nicht nur einbilden,
sondern auch sehen, nicht nur sehen, sondern auch zu gebrauchen Gelegenheit haben."
Als Arzt, meint er, sollte er eigentlich „die Bäder heruntermachen und nur alleine
seine Sieben-Sachen oder berühmter Männer rare Artzneyen auf den Platz bringen,"
aber er schreibe in der Ueberzeugung, daß die Wirkung der Arzneien doch ihre
Grenze habe und „endlich ein gehöriges Bad die Ehre der Ne-älen retten" müsse.
Ein gutes Bad aber brauche man nicht immer in weiter Ferne zu suchen. Zwar
wolle er nicht „alle Koch- und Wahns-Wasser zu Gesundbrunnen machen;" aber
die Güte und Gesundheit eines Wassers liege viel mehr in der höchsten Reinig¬
keit, um nicht zu sagen Flüchtigkeit, Geistlichkeit und tgi., „weil man sich mit
sothanem Ausdrücken und Lob-Sprüchen einen Beweiß übern Halß ziehet, den
man heute zu Tage, wo man sich nicht mehr mit Worten abspeisten lassen will,
schwerlich ablegen kann," als in einem besondern mineralischen Gehalt.


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[0497] Lauchstädt. kam es auf Namen und Personenzahl gar nicht an; „zwei Jüdinnen aus Halber¬ stadt", „vier Bauerweiber aus Hadersleben" bilden in der Liste von 1723 je eine Nummer. Im Jahre 1726 erschien eine Schrift über Lauchstädt, die jedenfalls außer¬ ordentlich zur Verbreitung seines Rufes beitrug, das mit einem halb bild- halb landkartennrtigen Plane von Lauchstädt und Umgegend geschmückte Büchlein des kursächsischen Land-, Berg- und Stadtphyfieus in Freiberg I)r. I. F. Henckel: Letnösäa xorwo-sa. Das Schriftchen ist eins der originellsten Erzeugnisse unter der reichen balnevlogischcn Literatur des vorigen Jahrhunderts. Der Verfasser war für seine Zeit ein höchst aufgeklärter und ehrlicher Arzt, und da er über¬ dies schreibt, wie ihm der Schnabel gewachsen ist, in schlichtem Deutsch, ohne all die garstige Verbrämung mit lateinischen und französischen Brocken und Phrasen, wie sie selbst unsre populärwissenschaftliche Literatur bis tief ins 18. Jahrhundert herein liebte, dazu mit gutem, oft derbem Humor, der sich gelegentlich selbst zu einem etwas burlesken Tone versteigt, so wird es ihm nicht an entgegenkommenden Lesern gefehlt haben, die sich die trefflichen Lehren des Verfassers zu Nutze machten. Einige Stellen daraus mögen als ergötzliche Proben aus der Badelitcratur jener Zeit überhaupt dienen. Gleich in der Vorrede verspottet Henckel die Unsitte seiner Zeit, die Bücher mit allerhand gelehrten Citaten auszuputzen und räumlich und zeitlich entlegne Dinge, die nicht zur Sache gehören, heranzuziehen. „Was gehen uns die g.qug.e Lvxtmv VvlM oder die Linssvnsös lÄeiti an? Was haben wir mit denen Bädern zu Ofen und Olvnitz zu thun? Heute zu Tage, da man das locinsrs, ut es viüeÄni in acht nehmen muß, geht es nicht mehr an, sich hinter die Bücher zu verstecken, oder aus dem alten Krachen was zusammen zu tragen; sondern die gescheite Welt will aufs Sachen gewiesen seyn, und die müssen wir uns nicht nur einbilden, sondern auch sehen, nicht nur sehen, sondern auch zu gebrauchen Gelegenheit haben." Als Arzt, meint er, sollte er eigentlich „die Bäder heruntermachen und nur alleine seine Sieben-Sachen oder berühmter Männer rare Artzneyen auf den Platz bringen," aber er schreibe in der Ueberzeugung, daß die Wirkung der Arzneien doch ihre Grenze habe und „endlich ein gehöriges Bad die Ehre der Ne-älen retten" müsse. Ein gutes Bad aber brauche man nicht immer in weiter Ferne zu suchen. Zwar wolle er nicht „alle Koch- und Wahns-Wasser zu Gesundbrunnen machen;" aber die Güte und Gesundheit eines Wassers liege viel mehr in der höchsten Reinig¬ keit, um nicht zu sagen Flüchtigkeit, Geistlichkeit und tgi., „weil man sich mit sothanem Ausdrücken und Lob-Sprüchen einen Beweiß übern Halß ziehet, den man heute zu Tage, wo man sich nicht mehr mit Worten abspeisten lassen will, schwerlich ablegen kann," als in einem besondern mineralischen Gehalt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/497>, abgerufen am 23.07.2024.