Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Lauchstädt.

Mi der staubigen Straße, die weiter nach Schafstädt führt. Das also ist Lauch-
städt, das schöne, vielgcpriesne Lauchstädt!

Hier unter dieser Kastanienallee promenirten ehemals plalldernde Gruppen von
Herren und Damen, die Herren reich gepudert, mit langem, feiugefälteltcm Spitzen-
kräusel und Spihenmanchetten, die porzellanene Tabatiöre zwischen den Fingern
drehend, die Damen kunstvoll geschminkt, in Reifröcken und hohen Hackenschuhen,
kokett mit dem Fächer spielend; mit tiefen Verbeugungen, die Hand mit dem
Hute weit nach hinten schwenkend, grüßten sie an einander vorüber. Dort am
Brunnenhüuscheu schlürften sie Kaffee und Limonade, im Assemblvehause erlustirteu
sie sich am Billard oder andrer anständiger Kurzweil. Hier im Pavillon saßen
die alten Herren am Spieltische und sprangen so leichtfertig mit dem Gelde um,
daß wohl die Magd des andern Tages die Goldstücke im Kehricht fand; andre ver¬
tieften sich in die "Leipziger Zeitung" oder erzählten einander lustige Abenteuer.
Dort strich junges, verliebtes Volk neugierig und begehrlich um die Krambuden,
in denen die Handelsleute von Merseburg ihre Herrlichkeiten zum Verkaufe ausge¬
breitet hatten: füßes Confect und seine Liqueure, galante Gedichte, Romane und
Kupferstiche, zierliche Glas- und Porzcllangcfäße, seidne, mit Blumen bemalte
Bänder und Schuhe. Des Nachmittags kamen vom Rathskeller her Stndenten-
trupps, im engen Kvllet, mit Kanonen und riesigen Sporen, den großen Hut mit bunter
Kokarde geschmückt, und.foppten die feine Gesellschaft, indem sie, je drei oder vier
Arm in Arm, singend und lärmend, mit der Hetzpeitsche knallend und den Rauch
des gelben Knasters von Apolda in die Luft wirbelnd durch die ambraduftendeu
Dünen sich drängten. Dort hinüber aber nach dem bescheidnen kleinen Hanse
Wällfahrtete um die Vesperstuude die ganze bunte Gesellschaft, Alt und Jung,
Cavaliere und Professoren, Bürgersleute und Studiosi, um - das Schauspiel zu
scheu: dies kleine, unscheinbare Haus ist das in der Geschichte der deutschen
Schaubühne so viel genannte und gefeierte Lauchstädter Theater!

Und heute? Ist es denn nicht wieder zur schönen Sommerszeit wie damals?
Stehen nicht dieselben Linden und Kastanien noch um den Teich und sind sie nicht
um vieles größer und prächtiger und schattiger geworden? Ist dies Fleckchen Erde
nicht dieselbe erquickende Oase wie vor hundert Jahren? Ja, die Natur, die ewig
Kimende, ist dieselbe geblieben, aber die Menschen haben sich verwandelt, und
das Werk ihrer Hände ist alt geworden. schmetterten nicht die Vögel in den
Zweigen, es würde ringsum Todtenstille herrschen. Verödet und geschlossen
stehen die verwitterten Kramläden mit ihrem dürftigen, schmächtigen Laubengänge.
Im Pavillon liegt tiefer Schmutz, und die Spinnweben hängen um die Fenster.
Von der gewölbten Decke des Theaters, einst mit weißer Leinwand ausgespannt,
auf der gemalte Blumengewinde sich herumzogen, starren die rohen Balken herab,


Lauchstädt.

Mi der staubigen Straße, die weiter nach Schafstädt führt. Das also ist Lauch-
städt, das schöne, vielgcpriesne Lauchstädt!

Hier unter dieser Kastanienallee promenirten ehemals plalldernde Gruppen von
Herren und Damen, die Herren reich gepudert, mit langem, feiugefälteltcm Spitzen-
kräusel und Spihenmanchetten, die porzellanene Tabatiöre zwischen den Fingern
drehend, die Damen kunstvoll geschminkt, in Reifröcken und hohen Hackenschuhen,
kokett mit dem Fächer spielend; mit tiefen Verbeugungen, die Hand mit dem
Hute weit nach hinten schwenkend, grüßten sie an einander vorüber. Dort am
Brunnenhüuscheu schlürften sie Kaffee und Limonade, im Assemblvehause erlustirteu
sie sich am Billard oder andrer anständiger Kurzweil. Hier im Pavillon saßen
die alten Herren am Spieltische und sprangen so leichtfertig mit dem Gelde um,
daß wohl die Magd des andern Tages die Goldstücke im Kehricht fand; andre ver¬
tieften sich in die „Leipziger Zeitung" oder erzählten einander lustige Abenteuer.
Dort strich junges, verliebtes Volk neugierig und begehrlich um die Krambuden,
in denen die Handelsleute von Merseburg ihre Herrlichkeiten zum Verkaufe ausge¬
breitet hatten: füßes Confect und seine Liqueure, galante Gedichte, Romane und
Kupferstiche, zierliche Glas- und Porzcllangcfäße, seidne, mit Blumen bemalte
Bänder und Schuhe. Des Nachmittags kamen vom Rathskeller her Stndenten-
trupps, im engen Kvllet, mit Kanonen und riesigen Sporen, den großen Hut mit bunter
Kokarde geschmückt, und.foppten die feine Gesellschaft, indem sie, je drei oder vier
Arm in Arm, singend und lärmend, mit der Hetzpeitsche knallend und den Rauch
des gelben Knasters von Apolda in die Luft wirbelnd durch die ambraduftendeu
Dünen sich drängten. Dort hinüber aber nach dem bescheidnen kleinen Hanse
Wällfahrtete um die Vesperstuude die ganze bunte Gesellschaft, Alt und Jung,
Cavaliere und Professoren, Bürgersleute und Studiosi, um - das Schauspiel zu
scheu: dies kleine, unscheinbare Haus ist das in der Geschichte der deutschen
Schaubühne so viel genannte und gefeierte Lauchstädter Theater!

Und heute? Ist es denn nicht wieder zur schönen Sommerszeit wie damals?
Stehen nicht dieselben Linden und Kastanien noch um den Teich und sind sie nicht
um vieles größer und prächtiger und schattiger geworden? Ist dies Fleckchen Erde
nicht dieselbe erquickende Oase wie vor hundert Jahren? Ja, die Natur, die ewig
Kimende, ist dieselbe geblieben, aber die Menschen haben sich verwandelt, und
das Werk ihrer Hände ist alt geworden. schmetterten nicht die Vögel in den
Zweigen, es würde ringsum Todtenstille herrschen. Verödet und geschlossen
stehen die verwitterten Kramläden mit ihrem dürftigen, schmächtigen Laubengänge.
Im Pavillon liegt tiefer Schmutz, und die Spinnweben hängen um die Fenster.
Von der gewölbten Decke des Theaters, einst mit weißer Leinwand ausgespannt,
auf der gemalte Blumengewinde sich herumzogen, starren die rohen Balken herab,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0491" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/150063"/>
          <fw type="header" place="top"> Lauchstädt.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1650" prev="#ID_1649"> Mi der staubigen Straße, die weiter nach Schafstädt führt. Das also ist Lauch-<lb/>
städt, das schöne, vielgcpriesne Lauchstädt!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1651"> Hier unter dieser Kastanienallee promenirten ehemals plalldernde Gruppen von<lb/>
Herren und Damen, die Herren reich gepudert, mit langem, feiugefälteltcm Spitzen-<lb/>
kräusel und Spihenmanchetten, die porzellanene Tabatiöre zwischen den Fingern<lb/>
drehend, die Damen kunstvoll geschminkt, in Reifröcken und hohen Hackenschuhen,<lb/>
kokett mit dem Fächer spielend; mit tiefen Verbeugungen, die Hand mit dem<lb/>
Hute weit nach hinten schwenkend, grüßten sie an einander vorüber. Dort am<lb/>
Brunnenhüuscheu schlürften sie Kaffee und Limonade, im Assemblvehause erlustirteu<lb/>
sie sich am Billard oder andrer anständiger Kurzweil. Hier im Pavillon saßen<lb/>
die alten Herren am Spieltische und sprangen so leichtfertig mit dem Gelde um,<lb/>
daß wohl die Magd des andern Tages die Goldstücke im Kehricht fand; andre ver¬<lb/>
tieften sich in die &#x201E;Leipziger Zeitung" oder erzählten einander lustige Abenteuer.<lb/>
Dort strich junges, verliebtes Volk neugierig und begehrlich um die Krambuden,<lb/>
in denen die Handelsleute von Merseburg ihre Herrlichkeiten zum Verkaufe ausge¬<lb/>
breitet hatten: füßes Confect und seine Liqueure, galante Gedichte, Romane und<lb/>
Kupferstiche, zierliche Glas- und Porzcllangcfäße, seidne, mit Blumen bemalte<lb/>
Bänder und Schuhe. Des Nachmittags kamen vom Rathskeller her Stndenten-<lb/>
trupps, im engen Kvllet, mit Kanonen und riesigen Sporen, den großen Hut mit bunter<lb/>
Kokarde geschmückt, und.foppten die feine Gesellschaft, indem sie, je drei oder vier<lb/>
Arm in Arm, singend und lärmend, mit der Hetzpeitsche knallend und den Rauch<lb/>
des gelben Knasters von Apolda in die Luft wirbelnd durch die ambraduftendeu<lb/>
Dünen sich drängten. Dort hinüber aber nach dem bescheidnen kleinen Hanse<lb/>
Wällfahrtete um die Vesperstuude die ganze bunte Gesellschaft, Alt und Jung,<lb/>
Cavaliere und Professoren, Bürgersleute und Studiosi, um - das Schauspiel zu<lb/>
scheu: dies kleine, unscheinbare Haus ist das in der Geschichte der deutschen<lb/>
Schaubühne so viel genannte und gefeierte Lauchstädter Theater!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1652" next="#ID_1653"> Und heute? Ist es denn nicht wieder zur schönen Sommerszeit wie damals?<lb/>
Stehen nicht dieselben Linden und Kastanien noch um den Teich und sind sie nicht<lb/>
um vieles größer und prächtiger und schattiger geworden? Ist dies Fleckchen Erde<lb/>
nicht dieselbe erquickende Oase wie vor hundert Jahren? Ja, die Natur, die ewig<lb/>
Kimende, ist dieselbe geblieben, aber die Menschen haben sich verwandelt, und<lb/>
das Werk ihrer Hände ist alt geworden. schmetterten nicht die Vögel in den<lb/>
Zweigen, es würde ringsum Todtenstille herrschen. Verödet und geschlossen<lb/>
stehen die verwitterten Kramläden mit ihrem dürftigen, schmächtigen Laubengänge.<lb/>
Im Pavillon liegt tiefer Schmutz, und die Spinnweben hängen um die Fenster.<lb/>
Von der gewölbten Decke des Theaters, einst mit weißer Leinwand ausgespannt,<lb/>
auf der gemalte Blumengewinde sich herumzogen, starren die rohen Balken herab,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0491] Lauchstädt. Mi der staubigen Straße, die weiter nach Schafstädt führt. Das also ist Lauch- städt, das schöne, vielgcpriesne Lauchstädt! Hier unter dieser Kastanienallee promenirten ehemals plalldernde Gruppen von Herren und Damen, die Herren reich gepudert, mit langem, feiugefälteltcm Spitzen- kräusel und Spihenmanchetten, die porzellanene Tabatiöre zwischen den Fingern drehend, die Damen kunstvoll geschminkt, in Reifröcken und hohen Hackenschuhen, kokett mit dem Fächer spielend; mit tiefen Verbeugungen, die Hand mit dem Hute weit nach hinten schwenkend, grüßten sie an einander vorüber. Dort am Brunnenhüuscheu schlürften sie Kaffee und Limonade, im Assemblvehause erlustirteu sie sich am Billard oder andrer anständiger Kurzweil. Hier im Pavillon saßen die alten Herren am Spieltische und sprangen so leichtfertig mit dem Gelde um, daß wohl die Magd des andern Tages die Goldstücke im Kehricht fand; andre ver¬ tieften sich in die „Leipziger Zeitung" oder erzählten einander lustige Abenteuer. Dort strich junges, verliebtes Volk neugierig und begehrlich um die Krambuden, in denen die Handelsleute von Merseburg ihre Herrlichkeiten zum Verkaufe ausge¬ breitet hatten: füßes Confect und seine Liqueure, galante Gedichte, Romane und Kupferstiche, zierliche Glas- und Porzcllangcfäße, seidne, mit Blumen bemalte Bänder und Schuhe. Des Nachmittags kamen vom Rathskeller her Stndenten- trupps, im engen Kvllet, mit Kanonen und riesigen Sporen, den großen Hut mit bunter Kokarde geschmückt, und.foppten die feine Gesellschaft, indem sie, je drei oder vier Arm in Arm, singend und lärmend, mit der Hetzpeitsche knallend und den Rauch des gelben Knasters von Apolda in die Luft wirbelnd durch die ambraduftendeu Dünen sich drängten. Dort hinüber aber nach dem bescheidnen kleinen Hanse Wällfahrtete um die Vesperstuude die ganze bunte Gesellschaft, Alt und Jung, Cavaliere und Professoren, Bürgersleute und Studiosi, um - das Schauspiel zu scheu: dies kleine, unscheinbare Haus ist das in der Geschichte der deutschen Schaubühne so viel genannte und gefeierte Lauchstädter Theater! Und heute? Ist es denn nicht wieder zur schönen Sommerszeit wie damals? Stehen nicht dieselben Linden und Kastanien noch um den Teich und sind sie nicht um vieles größer und prächtiger und schattiger geworden? Ist dies Fleckchen Erde nicht dieselbe erquickende Oase wie vor hundert Jahren? Ja, die Natur, die ewig Kimende, ist dieselbe geblieben, aber die Menschen haben sich verwandelt, und das Werk ihrer Hände ist alt geworden. schmetterten nicht die Vögel in den Zweigen, es würde ringsum Todtenstille herrschen. Verödet und geschlossen stehen die verwitterten Kramläden mit ihrem dürftigen, schmächtigen Laubengänge. Im Pavillon liegt tiefer Schmutz, und die Spinnweben hängen um die Fenster. Von der gewölbten Decke des Theaters, einst mit weißer Leinwand ausgespannt, auf der gemalte Blumengewinde sich herumzogen, starren die rohen Balken herab,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/491
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/491>, abgerufen am 23.07.2024.