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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Paul Heyse,

bis auf einen gewissen Punkt zu Protestiren. Uns dünkt, in den Dramen "Col-
berg" (1865) und "Hans Lange" (1864) fehlt es nicht an Action, wenn auch
höchst charakteristisch für Heyse die Hauptträger derselben alte gereifte Männer,
in "Colberg" der alte Nettelbeck. in "Hans Lange" der wackre pommersche Bauer,
der Titelheld, sind. Und die Abwesenheit des Pathos im engern Sinne ist hier
so vortrefflich aus der ganzen Anlage der Charaktere heraus motivirt, daß sich
klar zeigt, der Dichter habe, mindestens wo ihm aus dem Stoff eine günstige,
seiner eigensten Natur entsprechende Handhabe entgegenspringt, die Fähigkeit, eine
männliche Action mit Energie und Schwung vor- und durchzuführen.

Als Haupteiuwaud gegen Heyses Dramen ist zumeist das in ihnen vor-
hcmdne Uebergewicht novellistischer Elemente betont worden. Wir rühren da¬
mit an einen der empfindlichsten Punkte unsrer modernen Aesthetik. Ganz ge¬
wiß darf unsrer Literatur die kostbare Errungenschaft der classischen Tage, das
Gefühl für den Stilunterschied der einzelnen poetischen Gattungen nicht verloren
gehen. Allein man hat sich wohl zu hüten, diesen Stilunterschied in so abstracter
Weise aufzufassen, daß beispielsweise dem dramatischen Dichter damit die Ver¬
pflichtung auferlegt würde, allen Detailreiz aus dem Drama zu bannen, weil
er möglicherweise für novellistisch gehalten werden könnte. Bei den fortwährenden
Anschuldigungen gegen moderne Dramen, ein mehr novellistisches als dramatisches
Interesse zu bieten, hat man denn doch zu unterscheiden zwischen der Dramatisirling
eines rein novellistischen Vorgangs, der an sich höchst spannend und interessant
sein kaun, aber nicht aus den Charakteren selbst erwächst, und zwischen lebendig
detaillirtcn Situationen, welche die volle dramatische Handlang nicht hemmen,
sondern fördern, aber den Anhauch epischer Fülle nud Ruhe haben. Die letztern
ohne weitres als solche zu bezeichnen, welche aus der Continuität der Handlung
herausfallen und das dramatische Interesse abschwächen, hat seine großen Be¬
denken und ist gleichwohl (und nicht nur in unserm Falle) ziemlich üblich. Unter
den sämmtlichen Dramen Heyses sind es drei, welche der eine wie der andre Vorwarf
hauptsächlich getroffen hat: "Elisabeth Charlotte", Schauspiel (1859). "Maria
Moroni". Trauerspiel (1863) und "Die Göttin der Vernunft", Trauerspiel (1869).
drei Dramen übrigens, welche nacheinander genannt, die außerordentliche Verschieden¬
heit der Anlage und Ausführung, die für den Dichter möglich ist, entscheidend
vergegenwärtigen. "Elisabeth Charlotte" gehört zu denjenigen Werken Heyses,
die ans der Bühne den stärksten Erfolg gehabt haben, es ist mindestens über
eine Reihe von Theatern gegangen und hat überall interessirt, wo eine leidliche
Darstellerin der Lieselotte, der pfälzischen Herzogin von Orleans, vorhanden war.
Das Stück spielt unmittelbar vor dem Frieden von Ryswick und stellt den tiefen
Gegensatz zwischen der deutschen Heldin und dem französischen Hofe Ludwigs XIV.


Grrnzbvtc" II. 1881. 61
Paul Heyse,

bis auf einen gewissen Punkt zu Protestiren. Uns dünkt, in den Dramen „Col-
berg" (1865) und „Hans Lange" (1864) fehlt es nicht an Action, wenn auch
höchst charakteristisch für Heyse die Hauptträger derselben alte gereifte Männer,
in „Colberg" der alte Nettelbeck. in „Hans Lange" der wackre pommersche Bauer,
der Titelheld, sind. Und die Abwesenheit des Pathos im engern Sinne ist hier
so vortrefflich aus der ganzen Anlage der Charaktere heraus motivirt, daß sich
klar zeigt, der Dichter habe, mindestens wo ihm aus dem Stoff eine günstige,
seiner eigensten Natur entsprechende Handhabe entgegenspringt, die Fähigkeit, eine
männliche Action mit Energie und Schwung vor- und durchzuführen.

Als Haupteiuwaud gegen Heyses Dramen ist zumeist das in ihnen vor-
hcmdne Uebergewicht novellistischer Elemente betont worden. Wir rühren da¬
mit an einen der empfindlichsten Punkte unsrer modernen Aesthetik. Ganz ge¬
wiß darf unsrer Literatur die kostbare Errungenschaft der classischen Tage, das
Gefühl für den Stilunterschied der einzelnen poetischen Gattungen nicht verloren
gehen. Allein man hat sich wohl zu hüten, diesen Stilunterschied in so abstracter
Weise aufzufassen, daß beispielsweise dem dramatischen Dichter damit die Ver¬
pflichtung auferlegt würde, allen Detailreiz aus dem Drama zu bannen, weil
er möglicherweise für novellistisch gehalten werden könnte. Bei den fortwährenden
Anschuldigungen gegen moderne Dramen, ein mehr novellistisches als dramatisches
Interesse zu bieten, hat man denn doch zu unterscheiden zwischen der Dramatisirling
eines rein novellistischen Vorgangs, der an sich höchst spannend und interessant
sein kaun, aber nicht aus den Charakteren selbst erwächst, und zwischen lebendig
detaillirtcn Situationen, welche die volle dramatische Handlang nicht hemmen,
sondern fördern, aber den Anhauch epischer Fülle nud Ruhe haben. Die letztern
ohne weitres als solche zu bezeichnen, welche aus der Continuität der Handlung
herausfallen und das dramatische Interesse abschwächen, hat seine großen Be¬
denken und ist gleichwohl (und nicht nur in unserm Falle) ziemlich üblich. Unter
den sämmtlichen Dramen Heyses sind es drei, welche der eine wie der andre Vorwarf
hauptsächlich getroffen hat: „Elisabeth Charlotte", Schauspiel (1859). „Maria
Moroni". Trauerspiel (1863) und „Die Göttin der Vernunft", Trauerspiel (1869).
drei Dramen übrigens, welche nacheinander genannt, die außerordentliche Verschieden¬
heit der Anlage und Ausführung, die für den Dichter möglich ist, entscheidend
vergegenwärtigen. „Elisabeth Charlotte" gehört zu denjenigen Werken Heyses,
die ans der Bühne den stärksten Erfolg gehabt haben, es ist mindestens über
eine Reihe von Theatern gegangen und hat überall interessirt, wo eine leidliche
Darstellerin der Lieselotte, der pfälzischen Herzogin von Orleans, vorhanden war.
Das Stück spielt unmittelbar vor dem Frieden von Ryswick und stellt den tiefen
Gegensatz zwischen der deutschen Heldin und dem französischen Hofe Ludwigs XIV.


Grrnzbvtc» II. 1881. 61
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[0485] Paul Heyse, bis auf einen gewissen Punkt zu Protestiren. Uns dünkt, in den Dramen „Col- berg" (1865) und „Hans Lange" (1864) fehlt es nicht an Action, wenn auch höchst charakteristisch für Heyse die Hauptträger derselben alte gereifte Männer, in „Colberg" der alte Nettelbeck. in „Hans Lange" der wackre pommersche Bauer, der Titelheld, sind. Und die Abwesenheit des Pathos im engern Sinne ist hier so vortrefflich aus der ganzen Anlage der Charaktere heraus motivirt, daß sich klar zeigt, der Dichter habe, mindestens wo ihm aus dem Stoff eine günstige, seiner eigensten Natur entsprechende Handhabe entgegenspringt, die Fähigkeit, eine männliche Action mit Energie und Schwung vor- und durchzuführen. Als Haupteiuwaud gegen Heyses Dramen ist zumeist das in ihnen vor- hcmdne Uebergewicht novellistischer Elemente betont worden. Wir rühren da¬ mit an einen der empfindlichsten Punkte unsrer modernen Aesthetik. Ganz ge¬ wiß darf unsrer Literatur die kostbare Errungenschaft der classischen Tage, das Gefühl für den Stilunterschied der einzelnen poetischen Gattungen nicht verloren gehen. Allein man hat sich wohl zu hüten, diesen Stilunterschied in so abstracter Weise aufzufassen, daß beispielsweise dem dramatischen Dichter damit die Ver¬ pflichtung auferlegt würde, allen Detailreiz aus dem Drama zu bannen, weil er möglicherweise für novellistisch gehalten werden könnte. Bei den fortwährenden Anschuldigungen gegen moderne Dramen, ein mehr novellistisches als dramatisches Interesse zu bieten, hat man denn doch zu unterscheiden zwischen der Dramatisirling eines rein novellistischen Vorgangs, der an sich höchst spannend und interessant sein kaun, aber nicht aus den Charakteren selbst erwächst, und zwischen lebendig detaillirtcn Situationen, welche die volle dramatische Handlang nicht hemmen, sondern fördern, aber den Anhauch epischer Fülle nud Ruhe haben. Die letztern ohne weitres als solche zu bezeichnen, welche aus der Continuität der Handlung herausfallen und das dramatische Interesse abschwächen, hat seine großen Be¬ denken und ist gleichwohl (und nicht nur in unserm Falle) ziemlich üblich. Unter den sämmtlichen Dramen Heyses sind es drei, welche der eine wie der andre Vorwarf hauptsächlich getroffen hat: „Elisabeth Charlotte", Schauspiel (1859). „Maria Moroni". Trauerspiel (1863) und „Die Göttin der Vernunft", Trauerspiel (1869). drei Dramen übrigens, welche nacheinander genannt, die außerordentliche Verschieden¬ heit der Anlage und Ausführung, die für den Dichter möglich ist, entscheidend vergegenwärtigen. „Elisabeth Charlotte" gehört zu denjenigen Werken Heyses, die ans der Bühne den stärksten Erfolg gehabt haben, es ist mindestens über eine Reihe von Theatern gegangen und hat überall interessirt, wo eine leidliche Darstellerin der Lieselotte, der pfälzischen Herzogin von Orleans, vorhanden war. Das Stück spielt unmittelbar vor dem Frieden von Ryswick und stellt den tiefen Gegensatz zwischen der deutschen Heldin und dem französischen Hofe Ludwigs XIV. Grrnzbvtc» II. 1881. 61

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/485>, abgerufen am 23.07.2024.