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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Paul Heys?,

hingen hindurchgeht, daß in dem gleichen Jahre ein Trauerspiel idealen Gepräges,
in strenger Form, nicht ohne weitres der Antike nachgebildet, aber von einem Geiste
Plastischer Anschaulichkeit und reinster Einfachheit durchhnucht, und daneben ein
Drama entsteht, in welchen: der Gestaltenreichthum, die bunte Mannichfaltigkeit und
alle genrehaftcn Wirkungen des modernen Dramas zu ihrem Rechte kommen. Sieht
man näher zu, so läßt sich in beiden grundvcrschicdnen Anläufen, wie in allen
spätern, reifern dramatischen Arbeiten das Moment der poetischen Handlung,
wenn man will des "Problems", obschon dies Wort nicht mit Unrecht neuerlich
verrufen ist, auffinden, welches die vielfach gegensätzlichen Aufgaben, die in diesen
Dramen ergriffen sind, mit der Natur und Grundanschauung unsers Dichters
verbindet. Der reine Panegyrikcr könnte sonach mit dem Satze, daß sich der
Dichter seine künstlerische BeHandlungsweise jederzeit vom Stoffe habe dictiren
lassen, die ganze Frage erledigen. Uns scheint die Sache nicht völlig so zu
liegen und das dramatische Schaffen Heyses in seiner Vielseitigkeit und mit seinen
Stilverschiedenheiteu nicht ohne weitres mit dem Schaffen andrer vielseitiger
Dramatiker zu vergleichen, deren Grundton in letzter Instanz denn doch gleich¬
mäßiger ist. Wir glauben vielmehr, daß der Dichter hier einem doppelten, bald
einem innern, bald nur einem äußern Antriebe gefolgt sei. Der Zug seines
Talents zur Vertiefung in gewisse mächtige Conflicte und Lebcnsräthsel, zu
Handlungen, die in einem einfachen, großgegliedertcn Verlauf das Wesen bedeu¬
tender Menschennaturen darlegen, die daraus entspringende innere Nöthigung,
sich wegen verwandter Aufgaben der Compvsitiousweise unsrer großen Drama¬
tiker seinerseits anzuschließen, verwehrten es Hesse etwa als ein moderner Lope
de Vega "die Regeln mit sechs Schlüsseln zu verschließen, Terenz und Plautus
aus dem Studirzimmer zu werfen und so wie diejenigen zu schreiben, denen es
um den Beifall des Volks zu thun war." Aber daß bei Schauspielen und Trauer¬
spielen wie "Die Pfälzer in Irland", "Elisabeth Charlotte", "Colberg", "Hans
Lange", "Die Göttin der Vernunft" der entschiedne Wunsch, das Theater zu ge¬
winnen und sich der Anschuldigung zu entziehen, ein Bnchdrmnatikcr zu sein, so
viel, ja theilweise mehr mitgewirkt hat, als die poetische Freude an dem Kern
dieser Stoffe, wird sich schwerlich in Abrede stellen lassen. Und gewiß ist das
kein schwerer Vorwurf. Wenn wir glücklich (?) dahin gelangt sein werden, wohin
wir unzweifelhaft treiben: zum gänzlichen Bruch zwischen Bühne und Literatur,
(der wahrlich nicht dadurch vermieden werden wird, daß man zwischen dem mo¬
dernsten Bühnenbettel Shakespeares Historien oder den Faust als Trilogie auf¬
führt), so wird man ohne Zweifel Heyses dankbar als eines der letzten ge¬
denken, die sich ihrerseits redlich und mit mir mäßigem Erfolg bemüht haben,
den Bruch abzuwenden. Die Reflexion, daß mit dein Theater dein Dichter eine


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hingen hindurchgeht, daß in dem gleichen Jahre ein Trauerspiel idealen Gepräges,
in strenger Form, nicht ohne weitres der Antike nachgebildet, aber von einem Geiste
Plastischer Anschaulichkeit und reinster Einfachheit durchhnucht, und daneben ein
Drama entsteht, in welchen: der Gestaltenreichthum, die bunte Mannichfaltigkeit und
alle genrehaftcn Wirkungen des modernen Dramas zu ihrem Rechte kommen. Sieht
man näher zu, so läßt sich in beiden grundvcrschicdnen Anläufen, wie in allen
spätern, reifern dramatischen Arbeiten das Moment der poetischen Handlung,
wenn man will des „Problems", obschon dies Wort nicht mit Unrecht neuerlich
verrufen ist, auffinden, welches die vielfach gegensätzlichen Aufgaben, die in diesen
Dramen ergriffen sind, mit der Natur und Grundanschauung unsers Dichters
verbindet. Der reine Panegyrikcr könnte sonach mit dem Satze, daß sich der
Dichter seine künstlerische BeHandlungsweise jederzeit vom Stoffe habe dictiren
lassen, die ganze Frage erledigen. Uns scheint die Sache nicht völlig so zu
liegen und das dramatische Schaffen Heyses in seiner Vielseitigkeit und mit seinen
Stilverschiedenheiteu nicht ohne weitres mit dem Schaffen andrer vielseitiger
Dramatiker zu vergleichen, deren Grundton in letzter Instanz denn doch gleich¬
mäßiger ist. Wir glauben vielmehr, daß der Dichter hier einem doppelten, bald
einem innern, bald nur einem äußern Antriebe gefolgt sei. Der Zug seines
Talents zur Vertiefung in gewisse mächtige Conflicte und Lebcnsräthsel, zu
Handlungen, die in einem einfachen, großgegliedertcn Verlauf das Wesen bedeu¬
tender Menschennaturen darlegen, die daraus entspringende innere Nöthigung,
sich wegen verwandter Aufgaben der Compvsitiousweise unsrer großen Drama¬
tiker seinerseits anzuschließen, verwehrten es Hesse etwa als ein moderner Lope
de Vega „die Regeln mit sechs Schlüsseln zu verschließen, Terenz und Plautus
aus dem Studirzimmer zu werfen und so wie diejenigen zu schreiben, denen es
um den Beifall des Volks zu thun war." Aber daß bei Schauspielen und Trauer¬
spielen wie „Die Pfälzer in Irland", „Elisabeth Charlotte", „Colberg", „Hans
Lange", „Die Göttin der Vernunft" der entschiedne Wunsch, das Theater zu ge¬
winnen und sich der Anschuldigung zu entziehen, ein Bnchdrmnatikcr zu sein, so
viel, ja theilweise mehr mitgewirkt hat, als die poetische Freude an dem Kern
dieser Stoffe, wird sich schwerlich in Abrede stellen lassen. Und gewiß ist das
kein schwerer Vorwurf. Wenn wir glücklich (?) dahin gelangt sein werden, wohin
wir unzweifelhaft treiben: zum gänzlichen Bruch zwischen Bühne und Literatur,
(der wahrlich nicht dadurch vermieden werden wird, daß man zwischen dem mo¬
dernsten Bühnenbettel Shakespeares Historien oder den Faust als Trilogie auf¬
führt), so wird man ohne Zweifel Heyses dankbar als eines der letzten ge¬
denken, die sich ihrerseits redlich und mit mir mäßigem Erfolg bemüht haben,
den Bruch abzuwenden. Die Reflexion, daß mit dein Theater dein Dichter eine


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[0483] Paul Heys?, hingen hindurchgeht, daß in dem gleichen Jahre ein Trauerspiel idealen Gepräges, in strenger Form, nicht ohne weitres der Antike nachgebildet, aber von einem Geiste Plastischer Anschaulichkeit und reinster Einfachheit durchhnucht, und daneben ein Drama entsteht, in welchen: der Gestaltenreichthum, die bunte Mannichfaltigkeit und alle genrehaftcn Wirkungen des modernen Dramas zu ihrem Rechte kommen. Sieht man näher zu, so läßt sich in beiden grundvcrschicdnen Anläufen, wie in allen spätern, reifern dramatischen Arbeiten das Moment der poetischen Handlung, wenn man will des „Problems", obschon dies Wort nicht mit Unrecht neuerlich verrufen ist, auffinden, welches die vielfach gegensätzlichen Aufgaben, die in diesen Dramen ergriffen sind, mit der Natur und Grundanschauung unsers Dichters verbindet. Der reine Panegyrikcr könnte sonach mit dem Satze, daß sich der Dichter seine künstlerische BeHandlungsweise jederzeit vom Stoffe habe dictiren lassen, die ganze Frage erledigen. Uns scheint die Sache nicht völlig so zu liegen und das dramatische Schaffen Heyses in seiner Vielseitigkeit und mit seinen Stilverschiedenheiteu nicht ohne weitres mit dem Schaffen andrer vielseitiger Dramatiker zu vergleichen, deren Grundton in letzter Instanz denn doch gleich¬ mäßiger ist. Wir glauben vielmehr, daß der Dichter hier einem doppelten, bald einem innern, bald nur einem äußern Antriebe gefolgt sei. Der Zug seines Talents zur Vertiefung in gewisse mächtige Conflicte und Lebcnsräthsel, zu Handlungen, die in einem einfachen, großgegliedertcn Verlauf das Wesen bedeu¬ tender Menschennaturen darlegen, die daraus entspringende innere Nöthigung, sich wegen verwandter Aufgaben der Compvsitiousweise unsrer großen Drama¬ tiker seinerseits anzuschließen, verwehrten es Hesse etwa als ein moderner Lope de Vega „die Regeln mit sechs Schlüsseln zu verschließen, Terenz und Plautus aus dem Studirzimmer zu werfen und so wie diejenigen zu schreiben, denen es um den Beifall des Volks zu thun war." Aber daß bei Schauspielen und Trauer¬ spielen wie „Die Pfälzer in Irland", „Elisabeth Charlotte", „Colberg", „Hans Lange", „Die Göttin der Vernunft" der entschiedne Wunsch, das Theater zu ge¬ winnen und sich der Anschuldigung zu entziehen, ein Bnchdrmnatikcr zu sein, so viel, ja theilweise mehr mitgewirkt hat, als die poetische Freude an dem Kern dieser Stoffe, wird sich schwerlich in Abrede stellen lassen. Und gewiß ist das kein schwerer Vorwurf. Wenn wir glücklich (?) dahin gelangt sein werden, wohin wir unzweifelhaft treiben: zum gänzlichen Bruch zwischen Bühne und Literatur, (der wahrlich nicht dadurch vermieden werden wird, daß man zwischen dem mo¬ dernsten Bühnenbettel Shakespeares Historien oder den Faust als Trilogie auf¬ führt), so wird man ohne Zweifel Heyses dankbar als eines der letzten ge¬ denken, die sich ihrerseits redlich und mit mir mäßigem Erfolg bemüht haben, den Bruch abzuwenden. Die Reflexion, daß mit dein Theater dein Dichter eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/483>, abgerufen am 03.07.2024.