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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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?er größte religiöse volksrcdner Englands.

berdenspiel begleitet, daß sie alles übertraf, was ich je bei irgend einem andern
Prediger sah oder hörte." Gern schilderte Whitefield die Verleugnung deS Herrn
durch Petrus, und wenn er an die Stelle kam, wo der Apostel hinausgeht und
bitterlich weint, so hatte er immer in seinem Rocke eine Falte bereit, um sein
Gesicht darin zu bergen. Zuweilen besuchte er die Gerichtshöfe und brachte dann
die Scene der Urtheilsfällung auf die Kanzel, Die Augen voll Thränen und
mit einer vor Mitleid bebenden Stimme begann er nach einer kurzen Pause:
"Ich werde min die schwarze Kappe nnfsetzen. Sünder, ich muß es thun. Ich
muß den Spruch über dich fällen." Darauf wechselte er den Ton und donnerte
über die eingeschrecktc Zuhörerschaft die Worte hin: "Gehet hin von mir, ihr
Verfluchten, in das ewige Feuer!"

Von der heftigen Weise, in der er predigte, kann sich nur der einen Be¬
griff machen, welcher die methodistischen Reisepredigcr bei den Campmeetings im
amerikanischen Hinterwalde gesehen und gehört hat. "Gott braucht," Pflegte er
zu sagen, "für ein großes Wert immer starke Leidenschaften," und so war er
bemüht, solche Leidenschaften dnrch seine Beredsamkeit ans den höchsten Grad zu
stacheln. Hume war ein feiner Kritiker und ein kühler Skeptiker, und doch er¬
klärte er Whitefield für den genialsten Prediger, den er kenne, und versicherte,
es verlohne sich, um ihn zu hören, einen Weg von zwanzig Meilen zu machen.
Sehr charakteristisch ist, wie Whitefields Beredsamkeit einst ans Franklin wirkte.
Derselbe mißbilligte Whitefields Vorhaben, in Georgien ein Waisenhaus zu gründen.
"Nicht lange nachher," so erzählt er selbst, "wohnte ich einer von seinen Predigten
bei, und da ich bald merkte, daß er mit einer Aufforderung zu einer Collecte
schließen würde, nahm ich mir vor, ihm nichts zu geben. Ich hatte in meiner
Tasche eine Hand voll Knpfergeld, drei oder vier Silberdollars und fünf Pistolen
in Gold. Im Verlaufe der Predigt wurde ich weicher und beschloß, das Kupfer
beizusteuern. Ein neuer Anlauf seiner Beredsamkeit aber machte, daß ich mich
dieses Vorsatzes schämte, und der Schluß seines Vortrags war so hinreißend, daß
ich meine Tasche gänzlich in den Teller des sammelnden leerte, Gold und alles."

Als Whitefield einst die gefährliche Lage der Siinder erläutern wollte, schilderte
er einen alten blinden von seinem Hunde verlassnen Mann, der unsicher über die
Haide wankte, vergeblich mit seinem Stäbe nach dein Wege tastete und allmäh¬
lich dem Rande eines Abgrundes immer näher kam, mit so wunderbarer Ge¬
walt, daß, als die Katastrophe heranrückte, kein geringerer als Lord Chesterfield
seine Fassung verlor und vernehmlich ausrief: "Guter Gott, er ist verloren!"
Bei einer andern Gelegenheit schlug er in Newyork, wo er vor Seeleuten predigte,
einen seemännischen Ton an. "Wohlan, Kinder," begann er, "wir haben klaren
Himmel und kommen ein hübsches Stück weiter auf glatter See, nnter einer


?er größte religiöse volksrcdner Englands.

berdenspiel begleitet, daß sie alles übertraf, was ich je bei irgend einem andern
Prediger sah oder hörte." Gern schilderte Whitefield die Verleugnung deS Herrn
durch Petrus, und wenn er an die Stelle kam, wo der Apostel hinausgeht und
bitterlich weint, so hatte er immer in seinem Rocke eine Falte bereit, um sein
Gesicht darin zu bergen. Zuweilen besuchte er die Gerichtshöfe und brachte dann
die Scene der Urtheilsfällung auf die Kanzel, Die Augen voll Thränen und
mit einer vor Mitleid bebenden Stimme begann er nach einer kurzen Pause:
„Ich werde min die schwarze Kappe nnfsetzen. Sünder, ich muß es thun. Ich
muß den Spruch über dich fällen." Darauf wechselte er den Ton und donnerte
über die eingeschrecktc Zuhörerschaft die Worte hin: „Gehet hin von mir, ihr
Verfluchten, in das ewige Feuer!"

Von der heftigen Weise, in der er predigte, kann sich nur der einen Be¬
griff machen, welcher die methodistischen Reisepredigcr bei den Campmeetings im
amerikanischen Hinterwalde gesehen und gehört hat. „Gott braucht," Pflegte er
zu sagen, „für ein großes Wert immer starke Leidenschaften," und so war er
bemüht, solche Leidenschaften dnrch seine Beredsamkeit ans den höchsten Grad zu
stacheln. Hume war ein feiner Kritiker und ein kühler Skeptiker, und doch er¬
klärte er Whitefield für den genialsten Prediger, den er kenne, und versicherte,
es verlohne sich, um ihn zu hören, einen Weg von zwanzig Meilen zu machen.
Sehr charakteristisch ist, wie Whitefields Beredsamkeit einst ans Franklin wirkte.
Derselbe mißbilligte Whitefields Vorhaben, in Georgien ein Waisenhaus zu gründen.
„Nicht lange nachher," so erzählt er selbst, „wohnte ich einer von seinen Predigten
bei, und da ich bald merkte, daß er mit einer Aufforderung zu einer Collecte
schließen würde, nahm ich mir vor, ihm nichts zu geben. Ich hatte in meiner
Tasche eine Hand voll Knpfergeld, drei oder vier Silberdollars und fünf Pistolen
in Gold. Im Verlaufe der Predigt wurde ich weicher und beschloß, das Kupfer
beizusteuern. Ein neuer Anlauf seiner Beredsamkeit aber machte, daß ich mich
dieses Vorsatzes schämte, und der Schluß seines Vortrags war so hinreißend, daß
ich meine Tasche gänzlich in den Teller des sammelnden leerte, Gold und alles."

Als Whitefield einst die gefährliche Lage der Siinder erläutern wollte, schilderte
er einen alten blinden von seinem Hunde verlassnen Mann, der unsicher über die
Haide wankte, vergeblich mit seinem Stäbe nach dein Wege tastete und allmäh¬
lich dem Rande eines Abgrundes immer näher kam, mit so wunderbarer Ge¬
walt, daß, als die Katastrophe heranrückte, kein geringerer als Lord Chesterfield
seine Fassung verlor und vernehmlich ausrief: „Guter Gott, er ist verloren!"
Bei einer andern Gelegenheit schlug er in Newyork, wo er vor Seeleuten predigte,
einen seemännischen Ton an. „Wohlan, Kinder," begann er, „wir haben klaren
Himmel und kommen ein hübsches Stück weiter auf glatter See, nnter einer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/48>, abgerufen am 01.10.2024.