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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Der größte religiöse Volk-rcdner Englands,

dreizehnmal fuhr er über den Atlantischen Ocean. Wenige Männer, welche durch
die Umstände ein die Spitze einer großen religiösen Vewegnug gestellt wurden,
sind durch die von ihnen erlebten Triumphe so wenig zu Stolz und Einbildung
verführt oder durch die ihnen widerfahrnen Schmähungen und Verfolgungen
so wenig erbittert worden wie er. Seine Fehler schrieben sich von überreizten
Nerven und mangelhaftem Geschmacke her. Seine theologischen Ansichten führten
ihn zur Beschränktheit im Urtheil, und seine erregbare Gemüthsart ließ ihn un-
besonnen und mit Uebertreibung sprechen. Seine Briefe sind in empfindsamen,
schwülstigen und ekstatischen Stile geschrieben, welcher mit Stoßseufzern, Frage¬
sätzen "ut Bibelsprüchen überfüllt ist, in welchem die einfachsten Dinge in pathe¬
tischer Sprache behandelt werden, mit den innerlichsten Empfindungen Parade
gemacht wird und die heiligsten Gegenstände und Namen mit plumper Vertrau¬
lichkeit behandelt siud. Wie profan seine Bilder werden konnten, zeigt die Stelle,
wo er von Christus sagt, er sei "gleichsam im Zorne des Vaters gebraten, wes¬
halb er mit Recht das Lamm Gottes genannt werde." Er liebte es sehr, der
Welt von den Schwankungen seines Gefühls zu berichtein Heute schreibt er:
"Ich habe einen Garten ganz nahe, wohin ich absonderlich gehe, um mit meinem
Gotte zusammen zu sein und zu reden in der Kühle deS Tages. Ich bin voll
von der Fülle Gottes, ich bin häufig auf Golgatha nud auf dein Berge Tabor.
Mein Himmel hat wirklich begonnen, und ich weide mich am gemästeten Kalbe."
Morgen wieder schildert er sich als einen "Wurm," einen "todten Hund," einen
"Auswurf des Volkes." Alle diese Uebertreibungen sowie seine außerordentliche
Geneigtheit zum Vergießen von Thränen riefen viel Spott hervor und ließen
seine Aufrichtigkeit -- freilich mit Unrecht -- bezweifeln.

Bei alledem war er der größte Volksredner, den die englische Nation je
gehabt hat. Seine Beredsamkeit hatte nichts von der keuschen Schönheit der
Kcinzelredeu Bossuets, nichts von der dialektische" Kraft und der Origiualilcit,
die Chalmcrs auszeichneten. Gleichwohl übte er mit ihr uicht nur auf die Un¬
wissenden und Lasterhaften eine unerhörte Gewalt aus, sondern bezauberte anch
Hochgebildete, wie er sich denn die Bewunderung von Kritikern wie Hume und
Franklin und von Rednern wie Bölingbrvkc und Chesterfield erzwang. Keiner
hat je auf wundervollere Weise die Macht bethätigt, welche Gluth der Ueber¬
zeugung und großes theatralisches Talent über die Gemüther aller Klassen haben,
indem sie Worte, die in Wahrheit leerer Bombast siud, in die brennenden Farben
majestätischer Beredsamkeit kleide" und apodiktischen Behauptungen wenigstens für
den Angenblick mehr Gewicht verleihen als klarster Beweisführung. Dabei unter-
stützte ihn eine imposante Gestalt, ein glanzvolles Ange und eine gewaltige und
doch zugleich melodische Stimme, die er mit ebensoviel Kunst verwendete wie das


Der größte religiöse Volk-rcdner Englands,

dreizehnmal fuhr er über den Atlantischen Ocean. Wenige Männer, welche durch
die Umstände ein die Spitze einer großen religiösen Vewegnug gestellt wurden,
sind durch die von ihnen erlebten Triumphe so wenig zu Stolz und Einbildung
verführt oder durch die ihnen widerfahrnen Schmähungen und Verfolgungen
so wenig erbittert worden wie er. Seine Fehler schrieben sich von überreizten
Nerven und mangelhaftem Geschmacke her. Seine theologischen Ansichten führten
ihn zur Beschränktheit im Urtheil, und seine erregbare Gemüthsart ließ ihn un-
besonnen und mit Uebertreibung sprechen. Seine Briefe sind in empfindsamen,
schwülstigen und ekstatischen Stile geschrieben, welcher mit Stoßseufzern, Frage¬
sätzen »ut Bibelsprüchen überfüllt ist, in welchem die einfachsten Dinge in pathe¬
tischer Sprache behandelt werden, mit den innerlichsten Empfindungen Parade
gemacht wird und die heiligsten Gegenstände und Namen mit plumper Vertrau¬
lichkeit behandelt siud. Wie profan seine Bilder werden konnten, zeigt die Stelle,
wo er von Christus sagt, er sei „gleichsam im Zorne des Vaters gebraten, wes¬
halb er mit Recht das Lamm Gottes genannt werde." Er liebte es sehr, der
Welt von den Schwankungen seines Gefühls zu berichtein Heute schreibt er:
„Ich habe einen Garten ganz nahe, wohin ich absonderlich gehe, um mit meinem
Gotte zusammen zu sein und zu reden in der Kühle deS Tages. Ich bin voll
von der Fülle Gottes, ich bin häufig auf Golgatha nud auf dein Berge Tabor.
Mein Himmel hat wirklich begonnen, und ich weide mich am gemästeten Kalbe."
Morgen wieder schildert er sich als einen „Wurm," einen „todten Hund," einen
„Auswurf des Volkes." Alle diese Uebertreibungen sowie seine außerordentliche
Geneigtheit zum Vergießen von Thränen riefen viel Spott hervor und ließen
seine Aufrichtigkeit — freilich mit Unrecht — bezweifeln.

Bei alledem war er der größte Volksredner, den die englische Nation je
gehabt hat. Seine Beredsamkeit hatte nichts von der keuschen Schönheit der
Kcinzelredeu Bossuets, nichts von der dialektische» Kraft und der Origiualilcit,
die Chalmcrs auszeichneten. Gleichwohl übte er mit ihr uicht nur auf die Un¬
wissenden und Lasterhaften eine unerhörte Gewalt aus, sondern bezauberte anch
Hochgebildete, wie er sich denn die Bewunderung von Kritikern wie Hume und
Franklin und von Rednern wie Bölingbrvkc und Chesterfield erzwang. Keiner
hat je auf wundervollere Weise die Macht bethätigt, welche Gluth der Ueber¬
zeugung und großes theatralisches Talent über die Gemüther aller Klassen haben,
indem sie Worte, die in Wahrheit leerer Bombast siud, in die brennenden Farben
majestätischer Beredsamkeit kleide» und apodiktischen Behauptungen wenigstens für
den Angenblick mehr Gewicht verleihen als klarster Beweisführung. Dabei unter-
stützte ihn eine imposante Gestalt, ein glanzvolles Ange und eine gewaltige und
doch zugleich melodische Stimme, die er mit ebensoviel Kunst verwendete wie das


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[0046] Der größte religiöse Volk-rcdner Englands, dreizehnmal fuhr er über den Atlantischen Ocean. Wenige Männer, welche durch die Umstände ein die Spitze einer großen religiösen Vewegnug gestellt wurden, sind durch die von ihnen erlebten Triumphe so wenig zu Stolz und Einbildung verführt oder durch die ihnen widerfahrnen Schmähungen und Verfolgungen so wenig erbittert worden wie er. Seine Fehler schrieben sich von überreizten Nerven und mangelhaftem Geschmacke her. Seine theologischen Ansichten führten ihn zur Beschränktheit im Urtheil, und seine erregbare Gemüthsart ließ ihn un- besonnen und mit Uebertreibung sprechen. Seine Briefe sind in empfindsamen, schwülstigen und ekstatischen Stile geschrieben, welcher mit Stoßseufzern, Frage¬ sätzen »ut Bibelsprüchen überfüllt ist, in welchem die einfachsten Dinge in pathe¬ tischer Sprache behandelt werden, mit den innerlichsten Empfindungen Parade gemacht wird und die heiligsten Gegenstände und Namen mit plumper Vertrau¬ lichkeit behandelt siud. Wie profan seine Bilder werden konnten, zeigt die Stelle, wo er von Christus sagt, er sei „gleichsam im Zorne des Vaters gebraten, wes¬ halb er mit Recht das Lamm Gottes genannt werde." Er liebte es sehr, der Welt von den Schwankungen seines Gefühls zu berichtein Heute schreibt er: „Ich habe einen Garten ganz nahe, wohin ich absonderlich gehe, um mit meinem Gotte zusammen zu sein und zu reden in der Kühle deS Tages. Ich bin voll von der Fülle Gottes, ich bin häufig auf Golgatha nud auf dein Berge Tabor. Mein Himmel hat wirklich begonnen, und ich weide mich am gemästeten Kalbe." Morgen wieder schildert er sich als einen „Wurm," einen „todten Hund," einen „Auswurf des Volkes." Alle diese Uebertreibungen sowie seine außerordentliche Geneigtheit zum Vergießen von Thränen riefen viel Spott hervor und ließen seine Aufrichtigkeit — freilich mit Unrecht — bezweifeln. Bei alledem war er der größte Volksredner, den die englische Nation je gehabt hat. Seine Beredsamkeit hatte nichts von der keuschen Schönheit der Kcinzelredeu Bossuets, nichts von der dialektische» Kraft und der Origiualilcit, die Chalmcrs auszeichneten. Gleichwohl übte er mit ihr uicht nur auf die Un¬ wissenden und Lasterhaften eine unerhörte Gewalt aus, sondern bezauberte anch Hochgebildete, wie er sich denn die Bewunderung von Kritikern wie Hume und Franklin und von Rednern wie Bölingbrvkc und Chesterfield erzwang. Keiner hat je auf wundervollere Weise die Macht bethätigt, welche Gluth der Ueber¬ zeugung und großes theatralisches Talent über die Gemüther aller Klassen haben, indem sie Worte, die in Wahrheit leerer Bombast siud, in die brennenden Farben majestätischer Beredsamkeit kleide» und apodiktischen Behauptungen wenigstens für den Angenblick mehr Gewicht verleihen als klarster Beweisführung. Dabei unter- stützte ihn eine imposante Gestalt, ein glanzvolles Ange und eine gewaltige und doch zugleich melodische Stimme, die er mit ebensoviel Kunst verwendete wie das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/46>, abgerufen am 26.08.2024.