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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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mit Verhöhnung Trotz zu bieten. Whitefield hatte jedoch Vertrauen auf seine
Sache und seine Kraft, Er trat auf den Abhang eines Hügels und redete mit
gewohntem Jener zu eiiiein staunenden Hause" von etwa 200 Bergleuten über
die ersten Sätze der Bergpredigt, Der Ruf seiner Beredsamkeit verbreitete sich,
und in der Folge waren fünf-, zehn-, ja zwanzigtausend Menschen bei seinen
Ansprachen zugegen. Es war im Februar, aber die Wintersonne schien in voller
Klarheit, Die Feldwege waren mit den Equipagen wohlhabender Bürger von
Bristol bedeckt, welche die Neugier hergeführt hatte. Bäume und Hüttendächer
trugen Zuhörer geringern Standes, die weite Ebne war schwarz von dicht an¬
einander gedrängten Menschen, Die gewaltige Stimme des Predigers droben
drang mit ergreifenden Klänge bis an die äußersten Säume des Gedränges.
Die Neuheit des Anlasses und der Scene, das Contagiöse, was die innere Be¬
wegung einer große" Menge hat, ein tiefes Gefühl für den Zustand seiner Zu¬
hörer und das Bewußtsein der entscheidenden Bedeutung seines Schrittes steigerten
seine Beredsamkeit, Die Masse war wie elcktrisirt. Eine Zeit lang lauschte
sie regungslos seine" Worten, dann sah man Thränen über ihre vom Kohlen-
staube geschwärzten Wange" fließen, zuletzt verkündete lautes Schluchze"? nud
Stöhre", daß die harten Herzen schmolzen. Ein Feuer wurde unter ihnen ent¬
zündet, welches weiter und immer weiter loderte, und sich in wenige" Jahre"
über das ganze Land verbreitete,

Nur rin Mühe gewann Whitefield die Wesleys für diese neue Missions¬
thätigkeit, die gegen das Herkommen und das Decorum verstieß, und erst als
sie über Ja und Nein geloost, gingen sie nach Kingswovd, um Whitefield ab¬
zulösen, der nun erst eine mehrwöchentliche Rundreise durch das Land antrat
und dann ungeheuren Massen des Londoner Pöbels zu Mvvrfields und auf
Kensington Common predigte. Ungleich John Wesleh, der seinen Eifer zu be¬
herrschen wußte und immer große Vorliebe für logisches Verfahren zeigte, war
Whitefield vorwiegend das Geschöpf innerer Bewegung, Er besaß wenig dialektische
Fertigkeit, nur mäßige Kenntnisse, nicht viel Selbstbeherrschung und kein Organi-
sationstalent. Aber el" eifrigerer, uueigcnuützigerer und liebenswürdigerer Geist
als er ist schwer zu denken. Er lebte stets im Ausblick auf die Ewigkeit, und
die einzige Leidenschaft seines Lebens war der Wunsch, Seelen zu retten. In
den vierunddreißig Jahren seiner Wirksamkeit als Prediger hat er ca. 18 000 Mal,
also durchschnittlich zehnmal wöchentlich, öffentlich gesprochen, stets mit äußerster
Lebendigkeit in Stimme und Geberde, oft im Freien ""d vor viele" Tausenden.
Es gab Zeiten, wo er vierzig, ja sechzig Stunden die Woche predigte. Im Ver¬
laufe seiner Missiousarbeit bereiste er fast jeden wichtigen Bezirk in England
und Wales, zwölfmal durchzog er Schottland, dreimal besuchte er Irland, und


GrenzLowi II. 1881. (i

mit Verhöhnung Trotz zu bieten. Whitefield hatte jedoch Vertrauen auf seine
Sache und seine Kraft, Er trat auf den Abhang eines Hügels und redete mit
gewohntem Jener zu eiiiein staunenden Hause» von etwa 200 Bergleuten über
die ersten Sätze der Bergpredigt, Der Ruf seiner Beredsamkeit verbreitete sich,
und in der Folge waren fünf-, zehn-, ja zwanzigtausend Menschen bei seinen
Ansprachen zugegen. Es war im Februar, aber die Wintersonne schien in voller
Klarheit, Die Feldwege waren mit den Equipagen wohlhabender Bürger von
Bristol bedeckt, welche die Neugier hergeführt hatte. Bäume und Hüttendächer
trugen Zuhörer geringern Standes, die weite Ebne war schwarz von dicht an¬
einander gedrängten Menschen, Die gewaltige Stimme des Predigers droben
drang mit ergreifenden Klänge bis an die äußersten Säume des Gedränges.
Die Neuheit des Anlasses und der Scene, das Contagiöse, was die innere Be¬
wegung einer große» Menge hat, ein tiefes Gefühl für den Zustand seiner Zu¬
hörer und das Bewußtsein der entscheidenden Bedeutung seines Schrittes steigerten
seine Beredsamkeit, Die Masse war wie elcktrisirt. Eine Zeit lang lauschte
sie regungslos seine» Worten, dann sah man Thränen über ihre vom Kohlen-
staube geschwärzten Wange» fließen, zuletzt verkündete lautes Schluchze«? nud
Stöhre», daß die harten Herzen schmolzen. Ein Feuer wurde unter ihnen ent¬
zündet, welches weiter und immer weiter loderte, und sich in wenige» Jahre»
über das ganze Land verbreitete,

Nur rin Mühe gewann Whitefield die Wesleys für diese neue Missions¬
thätigkeit, die gegen das Herkommen und das Decorum verstieß, und erst als
sie über Ja und Nein geloost, gingen sie nach Kingswovd, um Whitefield ab¬
zulösen, der nun erst eine mehrwöchentliche Rundreise durch das Land antrat
und dann ungeheuren Massen des Londoner Pöbels zu Mvvrfields und auf
Kensington Common predigte. Ungleich John Wesleh, der seinen Eifer zu be¬
herrschen wußte und immer große Vorliebe für logisches Verfahren zeigte, war
Whitefield vorwiegend das Geschöpf innerer Bewegung, Er besaß wenig dialektische
Fertigkeit, nur mäßige Kenntnisse, nicht viel Selbstbeherrschung und kein Organi-
sationstalent. Aber el» eifrigerer, uueigcnuützigerer und liebenswürdigerer Geist
als er ist schwer zu denken. Er lebte stets im Ausblick auf die Ewigkeit, und
die einzige Leidenschaft seines Lebens war der Wunsch, Seelen zu retten. In
den vierunddreißig Jahren seiner Wirksamkeit als Prediger hat er ca. 18 000 Mal,
also durchschnittlich zehnmal wöchentlich, öffentlich gesprochen, stets mit äußerster
Lebendigkeit in Stimme und Geberde, oft im Freien »»d vor viele» Tausenden.
Es gab Zeiten, wo er vierzig, ja sechzig Stunden die Woche predigte. Im Ver¬
laufe seiner Missiousarbeit bereiste er fast jeden wichtigen Bezirk in England
und Wales, zwölfmal durchzog er Schottland, dreimal besuchte er Irland, und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/45>, abgerufen am 26.08.2024.