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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Staat nach dem andern für seine Interessen ausbeuten zu können; sür Preußen
würde dabei etwa nur jene Gunst des Polhphem, zuletzt verspeist zu werden,
herauskommen. Sein Erfolg war es, daß Friedrich aufrichtig und eifrig die
Vermittlung Englands in Wien anrief und seine Forderung ansdrücklich auf
Niederschlesien mit Breslau herabminderte, alles in der Zeit, wo Georg II. noch
jenes schwarze Complot gegen ihn zu Stande zu bringen suchte. Als ihm dann
Kunde davon ward, wandte er ernstlich seine Gedanken ans ein Bündniß mit
Frankreich. "Man wird mit Frankreich aufs schleunigste abschließen müssen, und
nicht ich, sondern England und Rußland werden die Schuld tragen, wenn in
Europa alles drüber und drunter geht." Schon ertheilt er Podewils Befehl, mit
dem französischen Gesandten Valori einen Vertrag in möglichst klarer und be¬
stimmter Fassung zu verhandeln; doch zieht dieser die Sache so lange hin, bis
die englische Schwenkung eben aus Furcht vor der Alternative dieses französisch¬
preußischen Bündnisses erfolgt ist. Aber die Hartnäckigkeit des Wiener Hofes,
der unter allen Umstanden England infolge seiner Verpflichtung für die prag¬
matische Sanction zur Hilfeleistung gegen Preußen zwinge" zu können glaubte,
ließ die durch Lord Hyndford geführten englischen Unterhandlungen scheitern und
trieb Friedrich doch dem französischen Bündniß in die Arme. Am 4, Juni
schloß Podewils mit Valori ab, Frankreich garantirte dem König Niederschlesien
mit Breslau und dieser die Wahl des Kurfürsten von Baiern zum Kaiser. Acht
Wochen später überschritte"! zwei französische Armeecorps den Rhein, von denen
eins mit den bairischen Truppen vereinigt in Böhmen eindringen sollte. Wenn
Maria Theresia und ihre Minister gerade Preußen gegenüber ihre Pflicht be¬
tonten, die durch die pragmatische Sanction stipulirte Einheit der österreichischen
Monarchie wahren zu müssen, so bekommt dies durch ihr Verhalten gegen Baiern
und Frankreich doch eine eigenthümliche Beleuchtung. Wie gering erscheint gegen¬
über dem, was sie zur Befriedigung dieser beiden Mächte in Aussicht stellen ließ,
das was sie dem König von Preußen so hartnäckig verweigerte! Die sämmt¬
lichen habsburgischen Besitzungen in Italien, die Niederlande, Vvrderösterreich
mit dem Breisgau und der Königstitel an Baiern, Luxemburg an Frankreich!
Aber es waren das freilich Außenländer, die die österreichische Macht nicht in
ihrem Kern schwachem und ihren Feinden, wenigstens Baier", trotz der Ver¬
größerung des Besitzes, doch keine wirkliche Machtstürke verliehen. Wie ganz
anders lag die Sache in Schlesien! Hier war jede Verlorne Quadratmeile ein
doppelter Verlust, weil er die Macht des gefährlichen Gegners um eben so viel
verstärkte. Außerdem hat nachweislich bei Maria Theresia und dem einflußreichen
Bartenstcin die religiöse Antipathie mitgewirkt. Es fiel ihnen ganz besonders
schwer, gerade die Provinz einem Ketzer zu überantworten, in der das Hans


Staat nach dem andern für seine Interessen ausbeuten zu können; sür Preußen
würde dabei etwa nur jene Gunst des Polhphem, zuletzt verspeist zu werden,
herauskommen. Sein Erfolg war es, daß Friedrich aufrichtig und eifrig die
Vermittlung Englands in Wien anrief und seine Forderung ansdrücklich auf
Niederschlesien mit Breslau herabminderte, alles in der Zeit, wo Georg II. noch
jenes schwarze Complot gegen ihn zu Stande zu bringen suchte. Als ihm dann
Kunde davon ward, wandte er ernstlich seine Gedanken ans ein Bündniß mit
Frankreich. „Man wird mit Frankreich aufs schleunigste abschließen müssen, und
nicht ich, sondern England und Rußland werden die Schuld tragen, wenn in
Europa alles drüber und drunter geht." Schon ertheilt er Podewils Befehl, mit
dem französischen Gesandten Valori einen Vertrag in möglichst klarer und be¬
stimmter Fassung zu verhandeln; doch zieht dieser die Sache so lange hin, bis
die englische Schwenkung eben aus Furcht vor der Alternative dieses französisch¬
preußischen Bündnisses erfolgt ist. Aber die Hartnäckigkeit des Wiener Hofes,
der unter allen Umstanden England infolge seiner Verpflichtung für die prag¬
matische Sanction zur Hilfeleistung gegen Preußen zwinge» zu können glaubte,
ließ die durch Lord Hyndford geführten englischen Unterhandlungen scheitern und
trieb Friedrich doch dem französischen Bündniß in die Arme. Am 4, Juni
schloß Podewils mit Valori ab, Frankreich garantirte dem König Niederschlesien
mit Breslau und dieser die Wahl des Kurfürsten von Baiern zum Kaiser. Acht
Wochen später überschritte»! zwei französische Armeecorps den Rhein, von denen
eins mit den bairischen Truppen vereinigt in Böhmen eindringen sollte. Wenn
Maria Theresia und ihre Minister gerade Preußen gegenüber ihre Pflicht be¬
tonten, die durch die pragmatische Sanction stipulirte Einheit der österreichischen
Monarchie wahren zu müssen, so bekommt dies durch ihr Verhalten gegen Baiern
und Frankreich doch eine eigenthümliche Beleuchtung. Wie gering erscheint gegen¬
über dem, was sie zur Befriedigung dieser beiden Mächte in Aussicht stellen ließ,
das was sie dem König von Preußen so hartnäckig verweigerte! Die sämmt¬
lichen habsburgischen Besitzungen in Italien, die Niederlande, Vvrderösterreich
mit dem Breisgau und der Königstitel an Baiern, Luxemburg an Frankreich!
Aber es waren das freilich Außenländer, die die österreichische Macht nicht in
ihrem Kern schwachem und ihren Feinden, wenigstens Baier», trotz der Ver¬
größerung des Besitzes, doch keine wirkliche Machtstürke verliehen. Wie ganz
anders lag die Sache in Schlesien! Hier war jede Verlorne Quadratmeile ein
doppelter Verlust, weil er die Macht des gefährlichen Gegners um eben so viel
verstärkte. Außerdem hat nachweislich bei Maria Theresia und dem einflußreichen
Bartenstcin die religiöse Antipathie mitgewirkt. Es fiel ihnen ganz besonders
schwer, gerade die Provinz einem Ketzer zu überantworten, in der das Hans


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/444>, abgerufen am 23.07.2024.