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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Paul Heyse.

auch bei fröhlicher Fahrt aus dein Leben entgegenspringen, daß er hochgemut!)
an den Sieg der wärmern, reinern und höhern Natur über die Gemeinheit des
Alltags und die Tücke des Lebens glaubt. In der zweiten Periode mischen
sich seinem Schaffen neue Elemente des Schmerzes und der Resignation bei --
die Morgensonne des ersten Frohgefühls hat sich in ein Tagesgestirn gewan¬
delt, das durch wilde Wetter verdunkelt wird und dann wieder siegreich durch
schwere Wolken und Dünste hindurchbricht, die Täuschung schmerzlosen Behagens
ist zerstoben, aber der Dichter steht tapfer aufrecht, er wirkt in sich aus "die
echte Milde, die rein von Kälte bleibt, wie von Begier," er besitzt nach allem
mehr als je:


Du hast ein Herz, das frei und innig schlägt,
Hast deine Sinne, voll dich zu erquicken,
Ein Flügelpaar, das dich zum Lichte trägt,
Und Muth, dem Tod ins Angesicht zu blicken.

Aber wie zutreffend diese Charakteristik auch im allgemeinen sei, so wird ein
halbwegs gewissenhafter Kritiker doch Bedenken tragen, die Ganzheit unsers
Dichters und seiner Werke in zwei Hälften scharf zu trennen. Es bleibt ein
Gefühl, als ob man etwa ein Bild in zwei Hälften zerschneiden sollte. Den"
wie sich bei Hesse mitten in den ersten frohen Anfängen, in allem Muth und
Uebermuth der Jugend zu Zeiten eine plötzliche Offenbarung auf der dunkeln
Seite des Lebens und der Menschennatur aufthut, wie tiefe und ergreifende Klänge
seiner zweiten Symphonie gleichsam in den ersten voranftvnen, so überkommt ihn
unverhofft in der zweiten Periode oft die ganze Lebens- und Schaffenslust, die
volle Glückseligkeit und der ungebrochne Schönheitsglaube der ersten. Und so
kehrt man schließlich zur Gruppirung nach den verschiednen Kunstformen zurück,
in denen der Dichter sich dargelegt und hinter deren knnstgcmüßer Objectivität
doch immer Herz und Blut einer höchst subjectiven Natur zu erkennen ist.

Daß Heyse "kein Lyriker" sei, pfeifen die kritischen Spatzen von den Dächern.
Man mag dazu je nachdem Ja und Amen und ein entschiednes Nein sagen.
Wenn der Begriff des lyrischen Dichters und der lyrischen Dichtung darauf ein¬
geschränkt ist, daß der glückliche Sänger, indem er seinen eigensten Freuden und
Schmerzen Ausdruck leiht, den Ton trifft, den tausende und abertausende dann
für den ihren halten, so ist Heyse kein Lyriker. Kaum ein und das andre Lied
in diesem Sinne ist in der Sammlung seiner Gedichte zu finden, ja in den
"Jngcndliedern" und "Reiseblättern" ist sogar ein gekünstelter spröder Ton, als
ob es dem jungen Poeten vor allem darum zu thun gewesen sei, nicht mit dem
Troß der Herzens- und Schmerzensreimer verwechselt zu werden. Aber wenn
die Lyrik die ganze Fähigkeit eines Dichters begreift, das höchste Glück und


Grenzboten II. 1881. 54
Paul Heyse.

auch bei fröhlicher Fahrt aus dein Leben entgegenspringen, daß er hochgemut!)
an den Sieg der wärmern, reinern und höhern Natur über die Gemeinheit des
Alltags und die Tücke des Lebens glaubt. In der zweiten Periode mischen
sich seinem Schaffen neue Elemente des Schmerzes und der Resignation bei —
die Morgensonne des ersten Frohgefühls hat sich in ein Tagesgestirn gewan¬
delt, das durch wilde Wetter verdunkelt wird und dann wieder siegreich durch
schwere Wolken und Dünste hindurchbricht, die Täuschung schmerzlosen Behagens
ist zerstoben, aber der Dichter steht tapfer aufrecht, er wirkt in sich aus „die
echte Milde, die rein von Kälte bleibt, wie von Begier," er besitzt nach allem
mehr als je:


Du hast ein Herz, das frei und innig schlägt,
Hast deine Sinne, voll dich zu erquicken,
Ein Flügelpaar, das dich zum Lichte trägt,
Und Muth, dem Tod ins Angesicht zu blicken.

Aber wie zutreffend diese Charakteristik auch im allgemeinen sei, so wird ein
halbwegs gewissenhafter Kritiker doch Bedenken tragen, die Ganzheit unsers
Dichters und seiner Werke in zwei Hälften scharf zu trennen. Es bleibt ein
Gefühl, als ob man etwa ein Bild in zwei Hälften zerschneiden sollte. Den»
wie sich bei Hesse mitten in den ersten frohen Anfängen, in allem Muth und
Uebermuth der Jugend zu Zeiten eine plötzliche Offenbarung auf der dunkeln
Seite des Lebens und der Menschennatur aufthut, wie tiefe und ergreifende Klänge
seiner zweiten Symphonie gleichsam in den ersten voranftvnen, so überkommt ihn
unverhofft in der zweiten Periode oft die ganze Lebens- und Schaffenslust, die
volle Glückseligkeit und der ungebrochne Schönheitsglaube der ersten. Und so
kehrt man schließlich zur Gruppirung nach den verschiednen Kunstformen zurück,
in denen der Dichter sich dargelegt und hinter deren knnstgcmüßer Objectivität
doch immer Herz und Blut einer höchst subjectiven Natur zu erkennen ist.

Daß Heyse „kein Lyriker" sei, pfeifen die kritischen Spatzen von den Dächern.
Man mag dazu je nachdem Ja und Amen und ein entschiednes Nein sagen.
Wenn der Begriff des lyrischen Dichters und der lyrischen Dichtung darauf ein¬
geschränkt ist, daß der glückliche Sänger, indem er seinen eigensten Freuden und
Schmerzen Ausdruck leiht, den Ton trifft, den tausende und abertausende dann
für den ihren halten, so ist Heyse kein Lyriker. Kaum ein und das andre Lied
in diesem Sinne ist in der Sammlung seiner Gedichte zu finden, ja in den
„Jngcndliedern" und „Reiseblättern" ist sogar ein gekünstelter spröder Ton, als
ob es dem jungen Poeten vor allem darum zu thun gewesen sei, nicht mit dem
Troß der Herzens- und Schmerzensreimer verwechselt zu werden. Aber wenn
die Lyrik die ganze Fähigkeit eines Dichters begreift, das höchste Glück und


Grenzboten II. 1881. 54
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[0429] Paul Heyse. auch bei fröhlicher Fahrt aus dein Leben entgegenspringen, daß er hochgemut!) an den Sieg der wärmern, reinern und höhern Natur über die Gemeinheit des Alltags und die Tücke des Lebens glaubt. In der zweiten Periode mischen sich seinem Schaffen neue Elemente des Schmerzes und der Resignation bei — die Morgensonne des ersten Frohgefühls hat sich in ein Tagesgestirn gewan¬ delt, das durch wilde Wetter verdunkelt wird und dann wieder siegreich durch schwere Wolken und Dünste hindurchbricht, die Täuschung schmerzlosen Behagens ist zerstoben, aber der Dichter steht tapfer aufrecht, er wirkt in sich aus „die echte Milde, die rein von Kälte bleibt, wie von Begier," er besitzt nach allem mehr als je: Du hast ein Herz, das frei und innig schlägt, Hast deine Sinne, voll dich zu erquicken, Ein Flügelpaar, das dich zum Lichte trägt, Und Muth, dem Tod ins Angesicht zu blicken. Aber wie zutreffend diese Charakteristik auch im allgemeinen sei, so wird ein halbwegs gewissenhafter Kritiker doch Bedenken tragen, die Ganzheit unsers Dichters und seiner Werke in zwei Hälften scharf zu trennen. Es bleibt ein Gefühl, als ob man etwa ein Bild in zwei Hälften zerschneiden sollte. Den» wie sich bei Hesse mitten in den ersten frohen Anfängen, in allem Muth und Uebermuth der Jugend zu Zeiten eine plötzliche Offenbarung auf der dunkeln Seite des Lebens und der Menschennatur aufthut, wie tiefe und ergreifende Klänge seiner zweiten Symphonie gleichsam in den ersten voranftvnen, so überkommt ihn unverhofft in der zweiten Periode oft die ganze Lebens- und Schaffenslust, die volle Glückseligkeit und der ungebrochne Schönheitsglaube der ersten. Und so kehrt man schließlich zur Gruppirung nach den verschiednen Kunstformen zurück, in denen der Dichter sich dargelegt und hinter deren knnstgcmüßer Objectivität doch immer Herz und Blut einer höchst subjectiven Natur zu erkennen ist. Daß Heyse „kein Lyriker" sei, pfeifen die kritischen Spatzen von den Dächern. Man mag dazu je nachdem Ja und Amen und ein entschiednes Nein sagen. Wenn der Begriff des lyrischen Dichters und der lyrischen Dichtung darauf ein¬ geschränkt ist, daß der glückliche Sänger, indem er seinen eigensten Freuden und Schmerzen Ausdruck leiht, den Ton trifft, den tausende und abertausende dann für den ihren halten, so ist Heyse kein Lyriker. Kaum ein und das andre Lied in diesem Sinne ist in der Sammlung seiner Gedichte zu finden, ja in den „Jngcndliedern" und „Reiseblättern" ist sogar ein gekünstelter spröder Ton, als ob es dem jungen Poeten vor allem darum zu thun gewesen sei, nicht mit dem Troß der Herzens- und Schmerzensreimer verwechselt zu werden. Aber wenn die Lyrik die ganze Fähigkeit eines Dichters begreift, das höchste Glück und Grenzboten II. 1881. 54

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/429>, abgerufen am 23.07.2024.