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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Paul heyse,

ander vergleicht, der muß zu den: Eindruck kommen, daß hier alles nur halb
gesagt und sehr wichtiges einstweilen bei Seite gestellt worden sei. So mag
es nicht schlechthin unmöglich erscheine", was Brandes in seiner schou erwähnten
Studie über Heyse annimmt, daß das Verhältniß des frischen jungen Antinous
zu Kaiser Hadrian in der Tragödie "Hadrian" unsres Dichters persönliche Er¬
lebnisse und Empfindungen verkörpere, aber immerhin müßten dies vorüber¬
gehende Eindrücke gewesen sein. Denn wie wenig der Dichter die Freiheit künst¬
lerischen Athmens und ungehemmten Schaffens damals vermißt Hot, davon legt
sein poetischer Nachruf an König Maximilian Zeugniß ab, in dem er dem Könige
vor allein nachrühmt, daß er ihm, dem Dichter, die volle und ganze Entwick-
lung gegönnt habe:


Du gönntest ihm von allen seltnen Gaben
Die seltenste, die je ein Fürst verlieh" l
Freiheit, nach eignem Trieb sich Bahn zu graben,
Und wie er sich Dir gab, so nahmst Du ihn,
Dn ivvlltcst nicht den Ruhm des Kenners haben,
Den Schaffenden nach Deinem Wink erziehn;
Du ehrtest stets und ließest frei gewähren
Den graben Wuchs in eignen Charakteren!

Und für die unbedingte Wahrheit dieses Zeugnisses spricht denn allerdings der
Gesammtüberblick über das Schaffen unsers Dichters, soweit es dem Jahrzehnt
zwischen 1854 und 1864 angehört. Dennoch lenkte weniger die eigenthümliche
Gestaltung der äußern Verhältnisse als der Allgemeingeist, der damals in den
Kreisen der Münchener Dichter vorherrschte, Heyses Schaffen ein- und das andre¬
mal in andre Richtungen, als die, welche dem vollen innern Leben seines Talents
gemäß waren und ihm freie Bahn versprachen. Man empfand die Erlösung
vom Druck der specifischen Tendcnzliteratur, die Rückkehr zur eigentlichen poetischen
Kunst naturgemäß mit höchster Freudigkeit und selbst mit einem gewissen Ueber-
muthe, man traute sich zu, die moderne Welt für Stoffe und Stimmungen
wiedergewinnen zu können, welche für todt und wirkungslos erachtet waren, man
hoffte das Publicum unsrer Tage aufs neue an den Reiz der Form (natürlich
der "Form" im höchsten Sinne, die mehr und ein andres ist als Vers und
Stil) zu gewöhnen. Und weil man dies hoffte, lag es nahe genug, auch eine
und die andre Probe mit Handlungen und Gestalten zu mache", die allerdings
nur zu einem Scheinleben erweckt werden konnten. Nur Gartenlnubenästhetikcr
meinten im Ernst, daß Hehses epische Dichtung "Thekla" (1858; jetzt den "No¬
vellen in Versen" eingereiht) eine Concession an die katholische Umgebung ge¬
wesen sei oder daß Heyse bei dieser Gelegenheit nichts erstrebt habe als lediglich
die Correctheit, den Schwung und wohllautenden Fluß seiner Hexameter zu zeigen.


Paul heyse,

ander vergleicht, der muß zu den: Eindruck kommen, daß hier alles nur halb
gesagt und sehr wichtiges einstweilen bei Seite gestellt worden sei. So mag
es nicht schlechthin unmöglich erscheine», was Brandes in seiner schou erwähnten
Studie über Heyse annimmt, daß das Verhältniß des frischen jungen Antinous
zu Kaiser Hadrian in der Tragödie „Hadrian" unsres Dichters persönliche Er¬
lebnisse und Empfindungen verkörpere, aber immerhin müßten dies vorüber¬
gehende Eindrücke gewesen sein. Denn wie wenig der Dichter die Freiheit künst¬
lerischen Athmens und ungehemmten Schaffens damals vermißt Hot, davon legt
sein poetischer Nachruf an König Maximilian Zeugniß ab, in dem er dem Könige
vor allein nachrühmt, daß er ihm, dem Dichter, die volle und ganze Entwick-
lung gegönnt habe:


Du gönntest ihm von allen seltnen Gaben
Die seltenste, die je ein Fürst verlieh» l
Freiheit, nach eignem Trieb sich Bahn zu graben,
Und wie er sich Dir gab, so nahmst Du ihn,
Dn ivvlltcst nicht den Ruhm des Kenners haben,
Den Schaffenden nach Deinem Wink erziehn;
Du ehrtest stets und ließest frei gewähren
Den graben Wuchs in eignen Charakteren!

Und für die unbedingte Wahrheit dieses Zeugnisses spricht denn allerdings der
Gesammtüberblick über das Schaffen unsers Dichters, soweit es dem Jahrzehnt
zwischen 1854 und 1864 angehört. Dennoch lenkte weniger die eigenthümliche
Gestaltung der äußern Verhältnisse als der Allgemeingeist, der damals in den
Kreisen der Münchener Dichter vorherrschte, Heyses Schaffen ein- und das andre¬
mal in andre Richtungen, als die, welche dem vollen innern Leben seines Talents
gemäß waren und ihm freie Bahn versprachen. Man empfand die Erlösung
vom Druck der specifischen Tendcnzliteratur, die Rückkehr zur eigentlichen poetischen
Kunst naturgemäß mit höchster Freudigkeit und selbst mit einem gewissen Ueber-
muthe, man traute sich zu, die moderne Welt für Stoffe und Stimmungen
wiedergewinnen zu können, welche für todt und wirkungslos erachtet waren, man
hoffte das Publicum unsrer Tage aufs neue an den Reiz der Form (natürlich
der „Form" im höchsten Sinne, die mehr und ein andres ist als Vers und
Stil) zu gewöhnen. Und weil man dies hoffte, lag es nahe genug, auch eine
und die andre Probe mit Handlungen und Gestalten zu mache», die allerdings
nur zu einem Scheinleben erweckt werden konnten. Nur Gartenlnubenästhetikcr
meinten im Ernst, daß Hehses epische Dichtung „Thekla" (1858; jetzt den „No¬
vellen in Versen" eingereiht) eine Concession an die katholische Umgebung ge¬
wesen sei oder daß Heyse bei dieser Gelegenheit nichts erstrebt habe als lediglich
die Correctheit, den Schwung und wohllautenden Fluß seiner Hexameter zu zeigen.


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[0425] Paul heyse, ander vergleicht, der muß zu den: Eindruck kommen, daß hier alles nur halb gesagt und sehr wichtiges einstweilen bei Seite gestellt worden sei. So mag es nicht schlechthin unmöglich erscheine», was Brandes in seiner schou erwähnten Studie über Heyse annimmt, daß das Verhältniß des frischen jungen Antinous zu Kaiser Hadrian in der Tragödie „Hadrian" unsres Dichters persönliche Er¬ lebnisse und Empfindungen verkörpere, aber immerhin müßten dies vorüber¬ gehende Eindrücke gewesen sein. Denn wie wenig der Dichter die Freiheit künst¬ lerischen Athmens und ungehemmten Schaffens damals vermißt Hot, davon legt sein poetischer Nachruf an König Maximilian Zeugniß ab, in dem er dem Könige vor allein nachrühmt, daß er ihm, dem Dichter, die volle und ganze Entwick- lung gegönnt habe: Du gönntest ihm von allen seltnen Gaben Die seltenste, die je ein Fürst verlieh» l Freiheit, nach eignem Trieb sich Bahn zu graben, Und wie er sich Dir gab, so nahmst Du ihn, Dn ivvlltcst nicht den Ruhm des Kenners haben, Den Schaffenden nach Deinem Wink erziehn; Du ehrtest stets und ließest frei gewähren Den graben Wuchs in eignen Charakteren! Und für die unbedingte Wahrheit dieses Zeugnisses spricht denn allerdings der Gesammtüberblick über das Schaffen unsers Dichters, soweit es dem Jahrzehnt zwischen 1854 und 1864 angehört. Dennoch lenkte weniger die eigenthümliche Gestaltung der äußern Verhältnisse als der Allgemeingeist, der damals in den Kreisen der Münchener Dichter vorherrschte, Heyses Schaffen ein- und das andre¬ mal in andre Richtungen, als die, welche dem vollen innern Leben seines Talents gemäß waren und ihm freie Bahn versprachen. Man empfand die Erlösung vom Druck der specifischen Tendcnzliteratur, die Rückkehr zur eigentlichen poetischen Kunst naturgemäß mit höchster Freudigkeit und selbst mit einem gewissen Ueber- muthe, man traute sich zu, die moderne Welt für Stoffe und Stimmungen wiedergewinnen zu können, welche für todt und wirkungslos erachtet waren, man hoffte das Publicum unsrer Tage aufs neue an den Reiz der Form (natürlich der „Form" im höchsten Sinne, die mehr und ein andres ist als Vers und Stil) zu gewöhnen. Und weil man dies hoffte, lag es nahe genug, auch eine und die andre Probe mit Handlungen und Gestalten zu mache», die allerdings nur zu einem Scheinleben erweckt werden konnten. Nur Gartenlnubenästhetikcr meinten im Ernst, daß Hehses epische Dichtung „Thekla" (1858; jetzt den „No¬ vellen in Versen" eingereiht) eine Concession an die katholische Umgebung ge¬ wesen sei oder daß Heyse bei dieser Gelegenheit nichts erstrebt habe als lediglich die Correctheit, den Schwung und wohllautenden Fluß seiner Hexameter zu zeigen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/425>, abgerufen am 23.07.2024.