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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Paul Heyse.
2,

le Eigenart unsres Dichter-? war tief begründet, nicht voll ent¬
wickelt, als er in den interessanten literarischen Kreis eintrat, den
König Max II, von Baiern um sich sammelte. Und es lag in
dieser Eigenart, daß Heyse in der neuen Heimat rascher und besser
Wurzel faßte als eine größre Zahl seiner Genossen. Daß er
einen Hellem Blick für die Fülle und das Behagen des süddeutschen Lebens,
eine größre Unbefangenheit und Freude den neuen Umgebungen und Menschen,
namentlich den Menschen aus dem Volke gegenüber, dazu im ersten und zweiten
Lustrum des Münchner Aufenthalts eine stärkre Abwendung von allem Tenden¬
ziösen mitbrachte, durch welches der Gegensatz des Norddeutschen zum bairischen
Volksthum stärker hervorgetreten wäre, ergiebt sich bei Betrachtung der spätrer
Dichtungen Heyses auf den ersten Blick. Die betonte Freude an den Ge¬
stalten aus dem frischen und charakteristischen Volksleben der Alpen widerspricht
keineswegs der früher gedachten Eigenthümlichkeit Heyses. Derselbe Dichter, den
sein reizbares Schönheitsgefühl und seine Anschauung von der Ganzheit poetisch
interessanten Lebens die Menschen ans den obern Schichten der Gesellschaft und
der Bildung wenn nicht ausschließlich, doch vorzugsweise in die Unabhängigkeit
und deu Comfort der Wohlhabenheit hineinstellen ließ, besaß einen scharfen Blick
für den Adel bedürfnißlvser und mit ihrer Arbeit gleichsam an die Natur selbst
gebundner Menschen; seine Fischer, Jäger, Wald- und Weinhüter sind meist
prächtige Figuren, und er fand auf dem neuen Boden seines Lebens, wie die
ganze Reihe der spätern Dichtungen erweist, für diesen Zug seines Wesens
Nahrung vollauf. Die Hauptsache blieb die ganz ungestörte, innerlich wie äußer-
lich vollkommen freie Entwicklung, die ihm gegönnt war. Die Zeit für eine
völlig allsreichende und erschöpfende Charakteristik der eigenthümlichen Voraus¬
setzungen und Zustände des Münchner Musenhofes von 1850 --1864 scheint
noch nicht gekommen. Zwar haben drei "Berufne" und einige von den Nicht¬
berufnen, das heißt in diesem Falle von den bairischen Nativisten (oder "Pa¬
trioten", wie sie sich heutzutage nennen würden), sich öffentlich über die Be¬
strebungen jener Zeit und die besondre Stellung des literaturfreundlicheu Königs
geäußert. Aber wer auch nur die Darstellungen H. W. Richts (in einer Skizze
des "Historischen Taschenbuches"), Franz Dingelstedts (in seinen "Münchner
Bilderbogen") und-Friedrich Bodenstcdts (in "Eines Königs Reise") mit ein-


Paul Heyse.
2,

le Eigenart unsres Dichter-? war tief begründet, nicht voll ent¬
wickelt, als er in den interessanten literarischen Kreis eintrat, den
König Max II, von Baiern um sich sammelte. Und es lag in
dieser Eigenart, daß Heyse in der neuen Heimat rascher und besser
Wurzel faßte als eine größre Zahl seiner Genossen. Daß er
einen Hellem Blick für die Fülle und das Behagen des süddeutschen Lebens,
eine größre Unbefangenheit und Freude den neuen Umgebungen und Menschen,
namentlich den Menschen aus dem Volke gegenüber, dazu im ersten und zweiten
Lustrum des Münchner Aufenthalts eine stärkre Abwendung von allem Tenden¬
ziösen mitbrachte, durch welches der Gegensatz des Norddeutschen zum bairischen
Volksthum stärker hervorgetreten wäre, ergiebt sich bei Betrachtung der spätrer
Dichtungen Heyses auf den ersten Blick. Die betonte Freude an den Ge¬
stalten aus dem frischen und charakteristischen Volksleben der Alpen widerspricht
keineswegs der früher gedachten Eigenthümlichkeit Heyses. Derselbe Dichter, den
sein reizbares Schönheitsgefühl und seine Anschauung von der Ganzheit poetisch
interessanten Lebens die Menschen ans den obern Schichten der Gesellschaft und
der Bildung wenn nicht ausschließlich, doch vorzugsweise in die Unabhängigkeit
und deu Comfort der Wohlhabenheit hineinstellen ließ, besaß einen scharfen Blick
für den Adel bedürfnißlvser und mit ihrer Arbeit gleichsam an die Natur selbst
gebundner Menschen; seine Fischer, Jäger, Wald- und Weinhüter sind meist
prächtige Figuren, und er fand auf dem neuen Boden seines Lebens, wie die
ganze Reihe der spätern Dichtungen erweist, für diesen Zug seines Wesens
Nahrung vollauf. Die Hauptsache blieb die ganz ungestörte, innerlich wie äußer-
lich vollkommen freie Entwicklung, die ihm gegönnt war. Die Zeit für eine
völlig allsreichende und erschöpfende Charakteristik der eigenthümlichen Voraus¬
setzungen und Zustände des Münchner Musenhofes von 1850 —1864 scheint
noch nicht gekommen. Zwar haben drei „Berufne" und einige von den Nicht¬
berufnen, das heißt in diesem Falle von den bairischen Nativisten (oder „Pa¬
trioten", wie sie sich heutzutage nennen würden), sich öffentlich über die Be¬
strebungen jener Zeit und die besondre Stellung des literaturfreundlicheu Königs
geäußert. Aber wer auch nur die Darstellungen H. W. Richts (in einer Skizze
des „Historischen Taschenbuches"), Franz Dingelstedts (in seinen „Münchner
Bilderbogen") und-Friedrich Bodenstcdts (in „Eines Königs Reise") mit ein-


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[0424] Paul Heyse. 2, le Eigenart unsres Dichter-? war tief begründet, nicht voll ent¬ wickelt, als er in den interessanten literarischen Kreis eintrat, den König Max II, von Baiern um sich sammelte. Und es lag in dieser Eigenart, daß Heyse in der neuen Heimat rascher und besser Wurzel faßte als eine größre Zahl seiner Genossen. Daß er einen Hellem Blick für die Fülle und das Behagen des süddeutschen Lebens, eine größre Unbefangenheit und Freude den neuen Umgebungen und Menschen, namentlich den Menschen aus dem Volke gegenüber, dazu im ersten und zweiten Lustrum des Münchner Aufenthalts eine stärkre Abwendung von allem Tenden¬ ziösen mitbrachte, durch welches der Gegensatz des Norddeutschen zum bairischen Volksthum stärker hervorgetreten wäre, ergiebt sich bei Betrachtung der spätrer Dichtungen Heyses auf den ersten Blick. Die betonte Freude an den Ge¬ stalten aus dem frischen und charakteristischen Volksleben der Alpen widerspricht keineswegs der früher gedachten Eigenthümlichkeit Heyses. Derselbe Dichter, den sein reizbares Schönheitsgefühl und seine Anschauung von der Ganzheit poetisch interessanten Lebens die Menschen ans den obern Schichten der Gesellschaft und der Bildung wenn nicht ausschließlich, doch vorzugsweise in die Unabhängigkeit und deu Comfort der Wohlhabenheit hineinstellen ließ, besaß einen scharfen Blick für den Adel bedürfnißlvser und mit ihrer Arbeit gleichsam an die Natur selbst gebundner Menschen; seine Fischer, Jäger, Wald- und Weinhüter sind meist prächtige Figuren, und er fand auf dem neuen Boden seines Lebens, wie die ganze Reihe der spätern Dichtungen erweist, für diesen Zug seines Wesens Nahrung vollauf. Die Hauptsache blieb die ganz ungestörte, innerlich wie äußer- lich vollkommen freie Entwicklung, die ihm gegönnt war. Die Zeit für eine völlig allsreichende und erschöpfende Charakteristik der eigenthümlichen Voraus¬ setzungen und Zustände des Münchner Musenhofes von 1850 —1864 scheint noch nicht gekommen. Zwar haben drei „Berufne" und einige von den Nicht¬ berufnen, das heißt in diesem Falle von den bairischen Nativisten (oder „Pa¬ trioten", wie sie sich heutzutage nennen würden), sich öffentlich über die Be¬ strebungen jener Zeit und die besondre Stellung des literaturfreundlicheu Königs geäußert. Aber wer auch nur die Darstellungen H. W. Richts (in einer Skizze des „Historischen Taschenbuches"), Franz Dingelstedts (in seinen „Münchner Bilderbogen") und-Friedrich Bodenstcdts (in „Eines Königs Reise") mit ein-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/424>, abgerufen am 23.07.2024.