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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Der größte religiöse volksrcdnrr Englands.

schlechtes^ Nahrung, fastete zweimal wöchentlich, trug geflickte Kleider und war
Parvxhsmeu krankhafter Andacht unterworfen. Stundenlang lag er mitten in
der Nacht auf dein Erdboden im Christ Church Park ausgestreckt, bis seine Hände
vor Kälte dium wurden. Einmal trieb er in den Fasten die Enthaltsamkeit so
weit, daß er, als die Passionswoche herankam, kaum. Kraft genug behalten hatte,
sich die Treppe hinaufzuschleppen, und daß sein Gedächtniß gelitten hatte.

1753 zerstreute sich die Gesellschaft in Oxford, und bald darauf gingen die
Weslehs nach der neuen Colonie Georgien, wo John als Geistlicher der An¬
siedler von Savannah thätig war. Ans dem Wege dahin hatte er die Bekannt¬
schaft von mährischen Brüdern gemacht, was auf ihn tiefen Einfluß übte. Im
übrigen ist aus dieser Zeit nicht viel zu sagen. Er war ein Mau", dem die Religion
einziger Lebenszweck war, der um ihretwillen jede Gefahr und jedes Ungemach
über sich zu ergehen gewillt war, und der ihr alle Energie seines Willens und
alle Kraft seines Verstandes widmete. Seine Aufrichtigkeit, seine tiefe, glühende
Frömmigkeit und seine grenzenlose Thätigkeit lassen sich nicht in Abrede stellen.
Dennoch war er mit diesen Eigenschaften kein liebenswürdiger Mann. Er war
hart, peinlich, herrisch und in gewissem Sinne auch selbstsüchtig. Er war ferner
ein Hvchkircheumcmu, voll von überspannten Begriffen über Kirchenzucht, erpicht
darauf, veraltete Vorschriften wieder geltend zu mache", und entschlossen, unge¬
bildeten Colonisten die strengsten rituälistischen Bräuche aufzudrängen. Die Folge
war, daß er sehr unbeliebt wurde und uach etwa zwei Jahren nach England
zurückkehren mußte. Er fühlte sich kränklich und war in sehr gedrückter Stimmung.
Umsonst verdoppelte er seine Kasteiungen und seinen Lehreifer, er blieb von
Zweifeln gequält, ob er auf dem rechten Wege sei.

Ju dieser Gemüthsverfassung machte er die Bekanntschaft Peter Böhlers,
eines Lehrers der mährischen Brüdergemeinde, der großen Einfluß ans ihn gewann,
indem er ihn zuerst mit der Gestalt der Lehre von der Rechtfertigung durch deu
Glauben vertraut machte, die Wesleh später als Fundamentalsatz des Christen¬
thums betrachtete. Durch Vöhler lernte er zuerst glauben, daß jeder, gleichviel
wie moralisch, wie fromm, wie orthodox er sei, sich im Zustande der Verdammnis;
befinde, bis ihm durch einen überuatttrlicheu und sich plötzlich vollziehenden Proceß
die Ueberzeugung aufgehe, daß das Opfer Christi auch seine Sünden gesühnt
habe, und daß dieser "rettende Glaube" mit vollständiger Herrschaft über die
Sünde untrennbar verbunden sei. Die Früchte dieser Ueberzeugung oder Er-
leuchtung seien "beständiger Friede, nicht ein unruhiger Gedanke, Freiheit von
Sünde, nicht ein unheiliges Verlangen." Enthaltung vom Bösen und Uebung
des Guten tonnen diesem Glauben vorangehen, aber gute Werke im theologischen
Sinne des Ausdrucks haben ihn zur Voraussetzung und Quelle. Böhler wies


Der größte religiöse volksrcdnrr Englands.

schlechtes^ Nahrung, fastete zweimal wöchentlich, trug geflickte Kleider und war
Parvxhsmeu krankhafter Andacht unterworfen. Stundenlang lag er mitten in
der Nacht auf dein Erdboden im Christ Church Park ausgestreckt, bis seine Hände
vor Kälte dium wurden. Einmal trieb er in den Fasten die Enthaltsamkeit so
weit, daß er, als die Passionswoche herankam, kaum. Kraft genug behalten hatte,
sich die Treppe hinaufzuschleppen, und daß sein Gedächtniß gelitten hatte.

1753 zerstreute sich die Gesellschaft in Oxford, und bald darauf gingen die
Weslehs nach der neuen Colonie Georgien, wo John als Geistlicher der An¬
siedler von Savannah thätig war. Ans dem Wege dahin hatte er die Bekannt¬
schaft von mährischen Brüdern gemacht, was auf ihn tiefen Einfluß übte. Im
übrigen ist aus dieser Zeit nicht viel zu sagen. Er war ein Mau», dem die Religion
einziger Lebenszweck war, der um ihretwillen jede Gefahr und jedes Ungemach
über sich zu ergehen gewillt war, und der ihr alle Energie seines Willens und
alle Kraft seines Verstandes widmete. Seine Aufrichtigkeit, seine tiefe, glühende
Frömmigkeit und seine grenzenlose Thätigkeit lassen sich nicht in Abrede stellen.
Dennoch war er mit diesen Eigenschaften kein liebenswürdiger Mann. Er war
hart, peinlich, herrisch und in gewissem Sinne auch selbstsüchtig. Er war ferner
ein Hvchkircheumcmu, voll von überspannten Begriffen über Kirchenzucht, erpicht
darauf, veraltete Vorschriften wieder geltend zu mache», und entschlossen, unge¬
bildeten Colonisten die strengsten rituälistischen Bräuche aufzudrängen. Die Folge
war, daß er sehr unbeliebt wurde und uach etwa zwei Jahren nach England
zurückkehren mußte. Er fühlte sich kränklich und war in sehr gedrückter Stimmung.
Umsonst verdoppelte er seine Kasteiungen und seinen Lehreifer, er blieb von
Zweifeln gequält, ob er auf dem rechten Wege sei.

Ju dieser Gemüthsverfassung machte er die Bekanntschaft Peter Böhlers,
eines Lehrers der mährischen Brüdergemeinde, der großen Einfluß ans ihn gewann,
indem er ihn zuerst mit der Gestalt der Lehre von der Rechtfertigung durch deu
Glauben vertraut machte, die Wesleh später als Fundamentalsatz des Christen¬
thums betrachtete. Durch Vöhler lernte er zuerst glauben, daß jeder, gleichviel
wie moralisch, wie fromm, wie orthodox er sei, sich im Zustande der Verdammnis;
befinde, bis ihm durch einen überuatttrlicheu und sich plötzlich vollziehenden Proceß
die Ueberzeugung aufgehe, daß das Opfer Christi auch seine Sünden gesühnt
habe, und daß dieser „rettende Glaube" mit vollständiger Herrschaft über die
Sünde untrennbar verbunden sei. Die Früchte dieser Ueberzeugung oder Er-
leuchtung seien „beständiger Friede, nicht ein unruhiger Gedanke, Freiheit von
Sünde, nicht ein unheiliges Verlangen." Enthaltung vom Bösen und Uebung
des Guten tonnen diesem Glauben vorangehen, aber gute Werke im theologischen
Sinne des Ausdrucks haben ihn zur Voraussetzung und Quelle. Böhler wies


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[0042] Der größte religiöse volksrcdnrr Englands. schlechtes^ Nahrung, fastete zweimal wöchentlich, trug geflickte Kleider und war Parvxhsmeu krankhafter Andacht unterworfen. Stundenlang lag er mitten in der Nacht auf dein Erdboden im Christ Church Park ausgestreckt, bis seine Hände vor Kälte dium wurden. Einmal trieb er in den Fasten die Enthaltsamkeit so weit, daß er, als die Passionswoche herankam, kaum. Kraft genug behalten hatte, sich die Treppe hinaufzuschleppen, und daß sein Gedächtniß gelitten hatte. 1753 zerstreute sich die Gesellschaft in Oxford, und bald darauf gingen die Weslehs nach der neuen Colonie Georgien, wo John als Geistlicher der An¬ siedler von Savannah thätig war. Ans dem Wege dahin hatte er die Bekannt¬ schaft von mährischen Brüdern gemacht, was auf ihn tiefen Einfluß übte. Im übrigen ist aus dieser Zeit nicht viel zu sagen. Er war ein Mau», dem die Religion einziger Lebenszweck war, der um ihretwillen jede Gefahr und jedes Ungemach über sich zu ergehen gewillt war, und der ihr alle Energie seines Willens und alle Kraft seines Verstandes widmete. Seine Aufrichtigkeit, seine tiefe, glühende Frömmigkeit und seine grenzenlose Thätigkeit lassen sich nicht in Abrede stellen. Dennoch war er mit diesen Eigenschaften kein liebenswürdiger Mann. Er war hart, peinlich, herrisch und in gewissem Sinne auch selbstsüchtig. Er war ferner ein Hvchkircheumcmu, voll von überspannten Begriffen über Kirchenzucht, erpicht darauf, veraltete Vorschriften wieder geltend zu mache», und entschlossen, unge¬ bildeten Colonisten die strengsten rituälistischen Bräuche aufzudrängen. Die Folge war, daß er sehr unbeliebt wurde und uach etwa zwei Jahren nach England zurückkehren mußte. Er fühlte sich kränklich und war in sehr gedrückter Stimmung. Umsonst verdoppelte er seine Kasteiungen und seinen Lehreifer, er blieb von Zweifeln gequält, ob er auf dem rechten Wege sei. Ju dieser Gemüthsverfassung machte er die Bekanntschaft Peter Böhlers, eines Lehrers der mährischen Brüdergemeinde, der großen Einfluß ans ihn gewann, indem er ihn zuerst mit der Gestalt der Lehre von der Rechtfertigung durch deu Glauben vertraut machte, die Wesleh später als Fundamentalsatz des Christen¬ thums betrachtete. Durch Vöhler lernte er zuerst glauben, daß jeder, gleichviel wie moralisch, wie fromm, wie orthodox er sei, sich im Zustande der Verdammnis; befinde, bis ihm durch einen überuatttrlicheu und sich plötzlich vollziehenden Proceß die Ueberzeugung aufgehe, daß das Opfer Christi auch seine Sünden gesühnt habe, und daß dieser „rettende Glaube" mit vollständiger Herrschaft über die Sünde untrennbar verbunden sei. Die Früchte dieser Ueberzeugung oder Er- leuchtung seien „beständiger Friede, nicht ein unruhiger Gedanke, Freiheit von Sünde, nicht ein unheiliges Verlangen." Enthaltung vom Bösen und Uebung des Guten tonnen diesem Glauben vorangehen, aber gute Werke im theologischen Sinne des Ausdrucks haben ihn zur Voraussetzung und Quelle. Böhler wies

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/42>, abgerufen am 25.08.2024.