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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Die Bildnisse Goethes,

heit, sie schwiegen also, und es kehrte sich auch niemand sonderlich an sie, außer
daß Goethe zuweilen seine Angen hinüberwülzte; er saß gegen Stilling über,
und er hatte die Regierung am Tische, ohne daß er sie suchte," Drei Jahre
später, 1774, berichtet Heinse von Düsseldorf aus an Gleim: "Goethe war bei
uns, ein schöner Junge von 25 Jahren, der vom Wirbel bis zur Zehe Genie
und Kraft und Stärke ist. Ein Herz voll Gefühl, ein Geist voll Feuer mit
Adlerflügeln. Ich kenne keinen Menschen in der ganzen gelehrten Geschichte, der
in solcher Jugend so rund und so voll vom eignen Genie gewesen wäre wie er,"
Wieland schreibt 1775, drei Tage nach Goethes Ankunft in Weimar, an Fritz
Jacobi: "O bester Bruder, was soll ich von Goethe sagen? Wie ganz der Mensch
beim ersten Anblick nach meinem Herzen war! Wie verliebt ich in ihn wurde,
da ich an der Seite des herrlichen Jünglings zu Tische saß! Alles, was ich
von der Sache sagen kann, ist dies: seit dem heutigen Morgen ist meine Seele
so voll von Goethe wie der Thautropfen von der Morgensonne.,, Und im Jahre
darauf, 1776, schildert er ihn in einem "An Psyche" überschriebnen (Frau von
BechtoldSheim in Stellen bei Erfurt gewidmeten) Gedichte:


Aas einmal stand in unserer Mitten
Ein Zaubrer! Aber denke nicht,
Er tum mit uuglückschwnngerem Gesicht
Auf einem Drachen angeritten.
Ein schöner Hexenmeister es war
Mit einem schwarzen Augenpaar,
Zaubernden Augen mit Götterblickcii,
Gleich mächtig zu tödten und zu entzücken.
So trat er unter uns, herrlich und hehr,
Ein echter Geisterköuig daher, , .,
So hat sich nie in Gottes Welt
Em Menschensohn uns dargestellt,
Der alle Gilde und alle Gewalt
Der Menschheit so in sich vereinigt,
So feines Gold, ganz innerer Gehalt,
Von fremden Schlacken ganz gereinigt
Der, uuzcrdrückt vou ihrer Last,
So mächtig alle Natur umfaßt,
So tief in jedes Wesen sich gräbt,
Und doch so innig im Ganzen lebt.

So manche Zeugnisse aus spätern Jahren sind wohl weniger dithyrambisch im
Ton, aber den gewinnenden oder überwältigenden Eindruck der Persönlichkeit des
Dichters heben auch sie hervor, Rosette sendet, die Tochter des Geheimraths
v, Willemer, schrieb 1814, als sie Goethe zum ersten Male gesehen: "Den Mann
gesehen, den ich mir als einen schroffen, unzugänglichen Tyrannen gedacht und


Die Bildnisse Goethes,

heit, sie schwiegen also, und es kehrte sich auch niemand sonderlich an sie, außer
daß Goethe zuweilen seine Angen hinüberwülzte; er saß gegen Stilling über,
und er hatte die Regierung am Tische, ohne daß er sie suchte," Drei Jahre
später, 1774, berichtet Heinse von Düsseldorf aus an Gleim: „Goethe war bei
uns, ein schöner Junge von 25 Jahren, der vom Wirbel bis zur Zehe Genie
und Kraft und Stärke ist. Ein Herz voll Gefühl, ein Geist voll Feuer mit
Adlerflügeln. Ich kenne keinen Menschen in der ganzen gelehrten Geschichte, der
in solcher Jugend so rund und so voll vom eignen Genie gewesen wäre wie er,"
Wieland schreibt 1775, drei Tage nach Goethes Ankunft in Weimar, an Fritz
Jacobi: „O bester Bruder, was soll ich von Goethe sagen? Wie ganz der Mensch
beim ersten Anblick nach meinem Herzen war! Wie verliebt ich in ihn wurde,
da ich an der Seite des herrlichen Jünglings zu Tische saß! Alles, was ich
von der Sache sagen kann, ist dies: seit dem heutigen Morgen ist meine Seele
so voll von Goethe wie der Thautropfen von der Morgensonne.,, Und im Jahre
darauf, 1776, schildert er ihn in einem „An Psyche" überschriebnen (Frau von
BechtoldSheim in Stellen bei Erfurt gewidmeten) Gedichte:


Aas einmal stand in unserer Mitten
Ein Zaubrer! Aber denke nicht,
Er tum mit uuglückschwnngerem Gesicht
Auf einem Drachen angeritten.
Ein schöner Hexenmeister es war
Mit einem schwarzen Augenpaar,
Zaubernden Augen mit Götterblickcii,
Gleich mächtig zu tödten und zu entzücken.
So trat er unter uns, herrlich und hehr,
Ein echter Geisterköuig daher, , .,
So hat sich nie in Gottes Welt
Em Menschensohn uns dargestellt,
Der alle Gilde und alle Gewalt
Der Menschheit so in sich vereinigt,
So feines Gold, ganz innerer Gehalt,
Von fremden Schlacken ganz gereinigt
Der, uuzcrdrückt vou ihrer Last,
So mächtig alle Natur umfaßt,
So tief in jedes Wesen sich gräbt,
Und doch so innig im Ganzen lebt.

So manche Zeugnisse aus spätern Jahren sind wohl weniger dithyrambisch im
Ton, aber den gewinnenden oder überwältigenden Eindruck der Persönlichkeit des
Dichters heben auch sie hervor, Rosette sendet, die Tochter des Geheimraths
v, Willemer, schrieb 1814, als sie Goethe zum ersten Male gesehen: „Den Mann
gesehen, den ich mir als einen schroffen, unzugänglichen Tyrannen gedacht und


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[0412] Die Bildnisse Goethes, heit, sie schwiegen also, und es kehrte sich auch niemand sonderlich an sie, außer daß Goethe zuweilen seine Angen hinüberwülzte; er saß gegen Stilling über, und er hatte die Regierung am Tische, ohne daß er sie suchte," Drei Jahre später, 1774, berichtet Heinse von Düsseldorf aus an Gleim: „Goethe war bei uns, ein schöner Junge von 25 Jahren, der vom Wirbel bis zur Zehe Genie und Kraft und Stärke ist. Ein Herz voll Gefühl, ein Geist voll Feuer mit Adlerflügeln. Ich kenne keinen Menschen in der ganzen gelehrten Geschichte, der in solcher Jugend so rund und so voll vom eignen Genie gewesen wäre wie er," Wieland schreibt 1775, drei Tage nach Goethes Ankunft in Weimar, an Fritz Jacobi: „O bester Bruder, was soll ich von Goethe sagen? Wie ganz der Mensch beim ersten Anblick nach meinem Herzen war! Wie verliebt ich in ihn wurde, da ich an der Seite des herrlichen Jünglings zu Tische saß! Alles, was ich von der Sache sagen kann, ist dies: seit dem heutigen Morgen ist meine Seele so voll von Goethe wie der Thautropfen von der Morgensonne.,, Und im Jahre darauf, 1776, schildert er ihn in einem „An Psyche" überschriebnen (Frau von BechtoldSheim in Stellen bei Erfurt gewidmeten) Gedichte: Aas einmal stand in unserer Mitten Ein Zaubrer! Aber denke nicht, Er tum mit uuglückschwnngerem Gesicht Auf einem Drachen angeritten. Ein schöner Hexenmeister es war Mit einem schwarzen Augenpaar, Zaubernden Augen mit Götterblickcii, Gleich mächtig zu tödten und zu entzücken. So trat er unter uns, herrlich und hehr, Ein echter Geisterköuig daher, , ., So hat sich nie in Gottes Welt Em Menschensohn uns dargestellt, Der alle Gilde und alle Gewalt Der Menschheit so in sich vereinigt, So feines Gold, ganz innerer Gehalt, Von fremden Schlacken ganz gereinigt Der, uuzcrdrückt vou ihrer Last, So mächtig alle Natur umfaßt, So tief in jedes Wesen sich gräbt, Und doch so innig im Ganzen lebt. So manche Zeugnisse aus spätern Jahren sind wohl weniger dithyrambisch im Ton, aber den gewinnenden oder überwältigenden Eindruck der Persönlichkeit des Dichters heben auch sie hervor, Rosette sendet, die Tochter des Geheimraths v, Willemer, schrieb 1814, als sie Goethe zum ersten Male gesehen: „Den Mann gesehen, den ich mir als einen schroffen, unzugänglichen Tyrannen gedacht und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/412>, abgerufen am 23.07.2024.