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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Die Bildnisse Goethes.

veröffentlichen. Wohl aber hat ein Schriftsteller in Baden bei Wien, ein ge¬
wisser oder, wie man dort sagt, ein "sicherer" Hermann Rottele, der ebenfalls
schon seit vielen Jahren Bildnisse Goethes sammelt, den Plan, die wichtigsten
derselben, von einem eingehenden Commentar begleitet, in einem Prachtwerke zu
veröffentlichen. Die Vorbereitungen dazu sind schon getroffen, und man wird
wohl nächstens etwas davon zu sehen bekommen.

Wenn das wahr ist, sagten die ersten wieder, so hat Zarnckc seinen Ge¬
danken Rottele zu Liebe aufgegeben, denn gehabt hat er ihn gewiß. Inzwischen
glauben wirs noch nicht und wollen die Sache ruhig abwarten.

Das war im vorigen Sommer, wenn wir uns recht erinnern. Heute ist
die Frage: Zarncke oder Rottele? entschieden. Vor einem Vierteljahre etwa
schickte die Branmüllersche Buchhandlung in Wien einen splendid ausgestatteten
Prospect in die Welt, worin sie die Publication Rollctts ankündigte, und vor
wenigen Tagen ist denn auch die erste Lieferung des auf fünf Lieferungen be¬
rechneten Werkes ausgegeben worden.*)

Es bedarf keiner Silbe, um auf die große Wichtigkeit dieses Unternehmens
hinzuweisen. Mit Sachkenntniß, wissenschaftlichem Sinn und künstlerischen Tact
durchgeführt, müßte es einen der werthvollsten Beiträge zur Goetheliteratnr bilden,
den wir seit langer Zeit erhalten haben. Ruhte doch auf Goethes äußerer Er¬
scheinung von seinen Kncibenjnhren an bis in sein höchstes Greisenalter hinein,
wie .durch zahlreiche Zeugnisse von Zeitgenossen erwiesen ist, ein so hinreißender
Zauber, daß keiner, der tiefer in seine Werke und in sein Leben einzudringen
sich bemüht, das Verlangen unterdrücken kann, auch eine möglichst richtige und
lebendige Vorstellung von der Persönlichkeit des Dichters sich zu verschaffen.
Jung Stilling berichtet von dem ersten Eindruck, deu er und sein Freund Troost
1771 als Straßburger Studenten an dem Mittagstische der Jungfern Lauts
von Goethe gehabt: "Besonders kam einer mit großen hellen Augen, pracht¬
voller Stirn und schönem Wuchs muthig ins Zimmer. Dieser zog Herrn Troosts
und Stillings Augen auf sich. Ersterer sagte gegen Letzteren: Das muß ein vor¬
trefflicher Mann sein; Stilling bejahte das, doch glaubte er, daß sie beide viel
Verdruß von ihm haben würden, weil er ihn für einen wilden Kameraden ansah.
Dieses schloß er aus dem freien Wesen, das sich der Student herausnahm; allein
Stilling irrte sehr. Sie wurden indessen gewahr, daß man diesen ausgezeichneten
Menschen Herr Goethe nannte. ... Herr Troost sagte leise zu Stilling: Hier
ists am besten, daß man vierzehn Tage schweigt. Letzterer erkannte diese Wahr-



Die Goethe-Bildnisse, biographisch > kunstgeschichtlich dargestellt von Dr. Her¬
rn a INI Rottet". 1. Lieferung. Mit 2 Radirungen und 18 Holzschnitten. Wie", 1881.
W. Branmnllcr.
Die Bildnisse Goethes.

veröffentlichen. Wohl aber hat ein Schriftsteller in Baden bei Wien, ein ge¬
wisser oder, wie man dort sagt, ein „sicherer" Hermann Rottele, der ebenfalls
schon seit vielen Jahren Bildnisse Goethes sammelt, den Plan, die wichtigsten
derselben, von einem eingehenden Commentar begleitet, in einem Prachtwerke zu
veröffentlichen. Die Vorbereitungen dazu sind schon getroffen, und man wird
wohl nächstens etwas davon zu sehen bekommen.

Wenn das wahr ist, sagten die ersten wieder, so hat Zarnckc seinen Ge¬
danken Rottele zu Liebe aufgegeben, denn gehabt hat er ihn gewiß. Inzwischen
glauben wirs noch nicht und wollen die Sache ruhig abwarten.

Das war im vorigen Sommer, wenn wir uns recht erinnern. Heute ist
die Frage: Zarncke oder Rottele? entschieden. Vor einem Vierteljahre etwa
schickte die Branmüllersche Buchhandlung in Wien einen splendid ausgestatteten
Prospect in die Welt, worin sie die Publication Rollctts ankündigte, und vor
wenigen Tagen ist denn auch die erste Lieferung des auf fünf Lieferungen be¬
rechneten Werkes ausgegeben worden.*)

Es bedarf keiner Silbe, um auf die große Wichtigkeit dieses Unternehmens
hinzuweisen. Mit Sachkenntniß, wissenschaftlichem Sinn und künstlerischen Tact
durchgeführt, müßte es einen der werthvollsten Beiträge zur Goetheliteratnr bilden,
den wir seit langer Zeit erhalten haben. Ruhte doch auf Goethes äußerer Er¬
scheinung von seinen Kncibenjnhren an bis in sein höchstes Greisenalter hinein,
wie .durch zahlreiche Zeugnisse von Zeitgenossen erwiesen ist, ein so hinreißender
Zauber, daß keiner, der tiefer in seine Werke und in sein Leben einzudringen
sich bemüht, das Verlangen unterdrücken kann, auch eine möglichst richtige und
lebendige Vorstellung von der Persönlichkeit des Dichters sich zu verschaffen.
Jung Stilling berichtet von dem ersten Eindruck, deu er und sein Freund Troost
1771 als Straßburger Studenten an dem Mittagstische der Jungfern Lauts
von Goethe gehabt: „Besonders kam einer mit großen hellen Augen, pracht¬
voller Stirn und schönem Wuchs muthig ins Zimmer. Dieser zog Herrn Troosts
und Stillings Augen auf sich. Ersterer sagte gegen Letzteren: Das muß ein vor¬
trefflicher Mann sein; Stilling bejahte das, doch glaubte er, daß sie beide viel
Verdruß von ihm haben würden, weil er ihn für einen wilden Kameraden ansah.
Dieses schloß er aus dem freien Wesen, das sich der Student herausnahm; allein
Stilling irrte sehr. Sie wurden indessen gewahr, daß man diesen ausgezeichneten
Menschen Herr Goethe nannte. ... Herr Troost sagte leise zu Stilling: Hier
ists am besten, daß man vierzehn Tage schweigt. Letzterer erkannte diese Wahr-



Die Goethe-Bildnisse, biographisch > kunstgeschichtlich dargestellt von Dr. Her¬
rn a INI Rottet«. 1. Lieferung. Mit 2 Radirungen und 18 Holzschnitten. Wie», 1881.
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[0411] Die Bildnisse Goethes. veröffentlichen. Wohl aber hat ein Schriftsteller in Baden bei Wien, ein ge¬ wisser oder, wie man dort sagt, ein „sicherer" Hermann Rottele, der ebenfalls schon seit vielen Jahren Bildnisse Goethes sammelt, den Plan, die wichtigsten derselben, von einem eingehenden Commentar begleitet, in einem Prachtwerke zu veröffentlichen. Die Vorbereitungen dazu sind schon getroffen, und man wird wohl nächstens etwas davon zu sehen bekommen. Wenn das wahr ist, sagten die ersten wieder, so hat Zarnckc seinen Ge¬ danken Rottele zu Liebe aufgegeben, denn gehabt hat er ihn gewiß. Inzwischen glauben wirs noch nicht und wollen die Sache ruhig abwarten. Das war im vorigen Sommer, wenn wir uns recht erinnern. Heute ist die Frage: Zarncke oder Rottele? entschieden. Vor einem Vierteljahre etwa schickte die Branmüllersche Buchhandlung in Wien einen splendid ausgestatteten Prospect in die Welt, worin sie die Publication Rollctts ankündigte, und vor wenigen Tagen ist denn auch die erste Lieferung des auf fünf Lieferungen be¬ rechneten Werkes ausgegeben worden.*) Es bedarf keiner Silbe, um auf die große Wichtigkeit dieses Unternehmens hinzuweisen. Mit Sachkenntniß, wissenschaftlichem Sinn und künstlerischen Tact durchgeführt, müßte es einen der werthvollsten Beiträge zur Goetheliteratnr bilden, den wir seit langer Zeit erhalten haben. Ruhte doch auf Goethes äußerer Er¬ scheinung von seinen Kncibenjnhren an bis in sein höchstes Greisenalter hinein, wie .durch zahlreiche Zeugnisse von Zeitgenossen erwiesen ist, ein so hinreißender Zauber, daß keiner, der tiefer in seine Werke und in sein Leben einzudringen sich bemüht, das Verlangen unterdrücken kann, auch eine möglichst richtige und lebendige Vorstellung von der Persönlichkeit des Dichters sich zu verschaffen. Jung Stilling berichtet von dem ersten Eindruck, deu er und sein Freund Troost 1771 als Straßburger Studenten an dem Mittagstische der Jungfern Lauts von Goethe gehabt: „Besonders kam einer mit großen hellen Augen, pracht¬ voller Stirn und schönem Wuchs muthig ins Zimmer. Dieser zog Herrn Troosts und Stillings Augen auf sich. Ersterer sagte gegen Letzteren: Das muß ein vor¬ trefflicher Mann sein; Stilling bejahte das, doch glaubte er, daß sie beide viel Verdruß von ihm haben würden, weil er ihn für einen wilden Kameraden ansah. Dieses schloß er aus dem freien Wesen, das sich der Student herausnahm; allein Stilling irrte sehr. Sie wurden indessen gewahr, daß man diesen ausgezeichneten Menschen Herr Goethe nannte. ... Herr Troost sagte leise zu Stilling: Hier ists am besten, daß man vierzehn Tage schweigt. Letzterer erkannte diese Wahr- Die Goethe-Bildnisse, biographisch > kunstgeschichtlich dargestellt von Dr. Her¬ rn a INI Rottet«. 1. Lieferung. Mit 2 Radirungen und 18 Holzschnitten. Wie», 1881. W. Branmnllcr.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/411>, abgerufen am 23.07.2024.