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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Die Bildnisse Goethes.

Einheit des deutschen Vaterlandes ist ihr Geschrei, ihr Glaube, ihre bis zum Fa¬
natismus erhitzte Religion, und dieser Fanatismus hat selbst einige der gegenwärtig
regierenden Fürsten ergriffen. Diese Einheit aber, von der Frankreich nichts zu
fürchten hätte, wenn es das linke Rheinufer und Belgien besäße, würde jetzt die
bedenklichsten Folgen für uus haben. Wer kaun überdies die Folgen der Erschütte¬
rung einer Masse wie Deutschland borhersehcn, wenn die bisher getrennten Ele¬
mente in Bewegung kämen und sich verschmelzen? Wer weiß, wo der einmal ge¬
gebene Anstoß inne hält?

So hat durch seinen überwiegenden Einfluß Frankreich einen erheblichen An¬
theil an der Gestaltung der deutschen Gebietsverhältnisse gewonnen, und dadurch,
daß es sich zum Vertreter der Interessen der ehemaligen Rheinbundstaaten machte,
auch mittelbar die deutsche Bundesverfassung, welche die Schwäche der Nation
für lange Zeit besiegeln sollte, beherrscht. Mit begreiflicher Sorge hat die fran¬
zösische Politik später über der Ohnmacht Deutschlands gewacht, und wenn sich
einstmals ein freundlicheres Verhältniß zu dem mächtig aufstrebenden Preußen
anzubahnen schien, so genügte doch ein einziger Sieg, der Sieg von Sadowa,
um die alte Eifersucht wieder wach zu rufen. Zu hellen Flammen brach sie
aus in jenem frevelhaft heraufbeschwornen Kriege, in welchem ein deutsches Reich
erstand und unabänderlich der Sturz jener französischen Ideen sich vollzog, in
deren Namen Talleyrand auf dem Wiener Kongreß sprach und handelte.




Die Bildnisse Goethes.

rofessor Zarncke in Leipzig besitzt eine der reichsten Sammlungen
von Bildnissen Goethes, ist unausgesetzt bemüht, sie zu vervoll¬
ständigen, läßt von den hervorragendsten Originalen, ohne sich bei
den bisherigen Nachbildungen derselben zu beruhigen, auf eigne
Kosten und oft mit nicht geringen Mühen und Opfern Photo¬
graphien herstellen, veröffentlicht dann und wann eine Probe seiner Studien über
die Geschichte der Gvethebildnisse in Zeitschriften und wird wahrscheinlich über
kurz oder lang die Goethefreunde mit einer umfassenden, erschöpfenden und ab¬
schließenden Monographie über diesen Gegenstand erfreuen.

So sagten die einen.

Nein, sagten die andern. Mit der Sammlung und den Studien Zarnckes
hat es zwar seine Richtigkeit, aber er denkt nicht daran, ein Werk darüber zu


Die Bildnisse Goethes.

Einheit des deutschen Vaterlandes ist ihr Geschrei, ihr Glaube, ihre bis zum Fa¬
natismus erhitzte Religion, und dieser Fanatismus hat selbst einige der gegenwärtig
regierenden Fürsten ergriffen. Diese Einheit aber, von der Frankreich nichts zu
fürchten hätte, wenn es das linke Rheinufer und Belgien besäße, würde jetzt die
bedenklichsten Folgen für uus haben. Wer kaun überdies die Folgen der Erschütte¬
rung einer Masse wie Deutschland borhersehcn, wenn die bisher getrennten Ele¬
mente in Bewegung kämen und sich verschmelzen? Wer weiß, wo der einmal ge¬
gebene Anstoß inne hält?

So hat durch seinen überwiegenden Einfluß Frankreich einen erheblichen An¬
theil an der Gestaltung der deutschen Gebietsverhältnisse gewonnen, und dadurch,
daß es sich zum Vertreter der Interessen der ehemaligen Rheinbundstaaten machte,
auch mittelbar die deutsche Bundesverfassung, welche die Schwäche der Nation
für lange Zeit besiegeln sollte, beherrscht. Mit begreiflicher Sorge hat die fran¬
zösische Politik später über der Ohnmacht Deutschlands gewacht, und wenn sich
einstmals ein freundlicheres Verhältniß zu dem mächtig aufstrebenden Preußen
anzubahnen schien, so genügte doch ein einziger Sieg, der Sieg von Sadowa,
um die alte Eifersucht wieder wach zu rufen. Zu hellen Flammen brach sie
aus in jenem frevelhaft heraufbeschwornen Kriege, in welchem ein deutsches Reich
erstand und unabänderlich der Sturz jener französischen Ideen sich vollzog, in
deren Namen Talleyrand auf dem Wiener Kongreß sprach und handelte.




Die Bildnisse Goethes.

rofessor Zarncke in Leipzig besitzt eine der reichsten Sammlungen
von Bildnissen Goethes, ist unausgesetzt bemüht, sie zu vervoll¬
ständigen, läßt von den hervorragendsten Originalen, ohne sich bei
den bisherigen Nachbildungen derselben zu beruhigen, auf eigne
Kosten und oft mit nicht geringen Mühen und Opfern Photo¬
graphien herstellen, veröffentlicht dann und wann eine Probe seiner Studien über
die Geschichte der Gvethebildnisse in Zeitschriften und wird wahrscheinlich über
kurz oder lang die Goethefreunde mit einer umfassenden, erschöpfenden und ab¬
schließenden Monographie über diesen Gegenstand erfreuen.

So sagten die einen.

Nein, sagten die andern. Mit der Sammlung und den Studien Zarnckes
hat es zwar seine Richtigkeit, aber er denkt nicht daran, ein Werk darüber zu


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[0410] Die Bildnisse Goethes. Einheit des deutschen Vaterlandes ist ihr Geschrei, ihr Glaube, ihre bis zum Fa¬ natismus erhitzte Religion, und dieser Fanatismus hat selbst einige der gegenwärtig regierenden Fürsten ergriffen. Diese Einheit aber, von der Frankreich nichts zu fürchten hätte, wenn es das linke Rheinufer und Belgien besäße, würde jetzt die bedenklichsten Folgen für uus haben. Wer kaun überdies die Folgen der Erschütte¬ rung einer Masse wie Deutschland borhersehcn, wenn die bisher getrennten Ele¬ mente in Bewegung kämen und sich verschmelzen? Wer weiß, wo der einmal ge¬ gebene Anstoß inne hält? So hat durch seinen überwiegenden Einfluß Frankreich einen erheblichen An¬ theil an der Gestaltung der deutschen Gebietsverhältnisse gewonnen, und dadurch, daß es sich zum Vertreter der Interessen der ehemaligen Rheinbundstaaten machte, auch mittelbar die deutsche Bundesverfassung, welche die Schwäche der Nation für lange Zeit besiegeln sollte, beherrscht. Mit begreiflicher Sorge hat die fran¬ zösische Politik später über der Ohnmacht Deutschlands gewacht, und wenn sich einstmals ein freundlicheres Verhältniß zu dem mächtig aufstrebenden Preußen anzubahnen schien, so genügte doch ein einziger Sieg, der Sieg von Sadowa, um die alte Eifersucht wieder wach zu rufen. Zu hellen Flammen brach sie aus in jenem frevelhaft heraufbeschwornen Kriege, in welchem ein deutsches Reich erstand und unabänderlich der Sturz jener französischen Ideen sich vollzog, in deren Namen Talleyrand auf dem Wiener Kongreß sprach und handelte. Die Bildnisse Goethes. rofessor Zarncke in Leipzig besitzt eine der reichsten Sammlungen von Bildnissen Goethes, ist unausgesetzt bemüht, sie zu vervoll¬ ständigen, läßt von den hervorragendsten Originalen, ohne sich bei den bisherigen Nachbildungen derselben zu beruhigen, auf eigne Kosten und oft mit nicht geringen Mühen und Opfern Photo¬ graphien herstellen, veröffentlicht dann und wann eine Probe seiner Studien über die Geschichte der Gvethebildnisse in Zeitschriften und wird wahrscheinlich über kurz oder lang die Goethefreunde mit einer umfassenden, erschöpfenden und ab¬ schließenden Monographie über diesen Gegenstand erfreuen. So sagten die einen. Nein, sagten die andern. Mit der Sammlung und den Studien Zarnckes hat es zwar seine Richtigkeit, aber er denkt nicht daran, ein Werk darüber zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/410>, abgerufen am 23.07.2024.