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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Talleyrand auf dem wiener Longreß.

folge war aber auch thatsächlich die Coalition der ehemaligen Gegner Napoleons
gesprengt. Auf der einen Seite standen Rußland und Preußen, auf der andern
Oesterreich und England, Soll man, schreibt Talleyrand an seinen Monarchen,
um des Friedens willen Rußland und Preußen nachgeben? "Weder die Sicher¬
heit Europas noch die Ehre gestatten das." Soll man Gewalt gegen Gewalt
setzen?

Dafür müßte Oesterreich, welches, glaube ich, den Wunsch dazu hat, auch den
Willen haben. Es hat gewaltige Streitkräfte auf den Beinen; aber es fürchtet
Erhebungen in Italien und wagt nicht, allein sich mit Rußland und Preußen ein¬
zulassen. Es kann auf Baiern zählen, welches sich sehr freimüthig ausgesprochen
und ihm 50 000 Mann zur Vertheidigung Sachsens angeboten hat; Würtemberg
würde 10 000 Mann stellen. Andre deutsche Staaten würden sich anschließen; aber
das beruhigt Oesterreich noch nicht; es möchte ans unsre Mitwirkung rechnen dürfen,
und glaubt nicht darauf rechnen zu können. . , , Ew, Majestät werden mir ohne
Schwierigkeit glauben, daß ich den Krieg ebenso wenig liebe und wünsche als Sie
selbst; aber nach meiner Ansicht würde es genügen, ihn in der Ferne zu zeigen,
ohne daß man ihn zu führen braucht; nach meiner Ansicht dürfte ferner auch die
Furcht vor einem Kriege nicht die Furcht vor einem größern Uebel überwiegen,
dein nur der Krieg vorbeugen kann.

König Ludwig antwortete auf die ausgesprochne Bitte Talleyrands, die
Gegner Rußlands und Preußens der französischen Hilfe versichern zu dürfen,
zustimmend: "Ich hoffe," schreibt er, "daß die Schritte, die Sie infolge dessen
thun werden, genügen; aber wie ich Ihnen schon schrieb, wir müssen zeigen, daß
etwas dahinter ist, und ich werde Befehl geben, daß die Armee mobil gemacht
werde," "Gott ist mein Zeuge," setzt er salbungsvoll hinzu, "daß ich, weit
entfernt, Krieg zu wollen, nichts mehr wünsche als einige Jahre Ruhe, um die
Wunden des Staates heilen zu können; aber vor allem will ich die Ehre Frank¬
reichs unverletzt erhalten, und verhindern, daß Principien und eine Ordnung der
Dinge Geltung gewinnen, die aller Sittlichkeit ebenso sehr widersprechen, als sie
dem Frieden schädlich sind."

Aber Tallehrands Pläne gingen noch weiter. Es galt, Castlereagh zu ge¬
winnen, und ihn von Preußen abzuziehen. Talleyrand versuchte ihn zunächst
mit einem Eingehen auf die polnische Frage zu ködern. Ueber die Unterredung,
die er in dieser Hinsicht mit dem englischen Botschafter hatte, schreibt er am
28. December folgendes an Ludwig XVIII. Er habe mit Castlereagh von einer
Convention oder Allianz zwischen Frankreich und England gesprochen. Dieser
habe geantwortet:

"Aber eine Allianz setzt den Krieg voraus oder kann doch dazu führen, und
wir müssen alles thun, um den Krieg zu vermeiden." "Ich denke ganz wie Sie;
man muß alles thun, nur nicht die Ehre, die Gerechtigkeit und die Zukunft Europas
opfern." "Ju meiner Heimat," entgegnete er, "würde man den Krieg nur ungern


Talleyrand auf dem wiener Longreß.

folge war aber auch thatsächlich die Coalition der ehemaligen Gegner Napoleons
gesprengt. Auf der einen Seite standen Rußland und Preußen, auf der andern
Oesterreich und England, Soll man, schreibt Talleyrand an seinen Monarchen,
um des Friedens willen Rußland und Preußen nachgeben? „Weder die Sicher¬
heit Europas noch die Ehre gestatten das." Soll man Gewalt gegen Gewalt
setzen?

Dafür müßte Oesterreich, welches, glaube ich, den Wunsch dazu hat, auch den
Willen haben. Es hat gewaltige Streitkräfte auf den Beinen; aber es fürchtet
Erhebungen in Italien und wagt nicht, allein sich mit Rußland und Preußen ein¬
zulassen. Es kann auf Baiern zählen, welches sich sehr freimüthig ausgesprochen
und ihm 50 000 Mann zur Vertheidigung Sachsens angeboten hat; Würtemberg
würde 10 000 Mann stellen. Andre deutsche Staaten würden sich anschließen; aber
das beruhigt Oesterreich noch nicht; es möchte ans unsre Mitwirkung rechnen dürfen,
und glaubt nicht darauf rechnen zu können. . , , Ew, Majestät werden mir ohne
Schwierigkeit glauben, daß ich den Krieg ebenso wenig liebe und wünsche als Sie
selbst; aber nach meiner Ansicht würde es genügen, ihn in der Ferne zu zeigen,
ohne daß man ihn zu führen braucht; nach meiner Ansicht dürfte ferner auch die
Furcht vor einem Kriege nicht die Furcht vor einem größern Uebel überwiegen,
dein nur der Krieg vorbeugen kann.

König Ludwig antwortete auf die ausgesprochne Bitte Talleyrands, die
Gegner Rußlands und Preußens der französischen Hilfe versichern zu dürfen,
zustimmend: „Ich hoffe," schreibt er, „daß die Schritte, die Sie infolge dessen
thun werden, genügen; aber wie ich Ihnen schon schrieb, wir müssen zeigen, daß
etwas dahinter ist, und ich werde Befehl geben, daß die Armee mobil gemacht
werde," „Gott ist mein Zeuge," setzt er salbungsvoll hinzu, „daß ich, weit
entfernt, Krieg zu wollen, nichts mehr wünsche als einige Jahre Ruhe, um die
Wunden des Staates heilen zu können; aber vor allem will ich die Ehre Frank¬
reichs unverletzt erhalten, und verhindern, daß Principien und eine Ordnung der
Dinge Geltung gewinnen, die aller Sittlichkeit ebenso sehr widersprechen, als sie
dem Frieden schädlich sind."

Aber Tallehrands Pläne gingen noch weiter. Es galt, Castlereagh zu ge¬
winnen, und ihn von Preußen abzuziehen. Talleyrand versuchte ihn zunächst
mit einem Eingehen auf die polnische Frage zu ködern. Ueber die Unterredung,
die er in dieser Hinsicht mit dem englischen Botschafter hatte, schreibt er am
28. December folgendes an Ludwig XVIII. Er habe mit Castlereagh von einer
Convention oder Allianz zwischen Frankreich und England gesprochen. Dieser
habe geantwortet:

„Aber eine Allianz setzt den Krieg voraus oder kann doch dazu führen, und
wir müssen alles thun, um den Krieg zu vermeiden." „Ich denke ganz wie Sie;
man muß alles thun, nur nicht die Ehre, die Gerechtigkeit und die Zukunft Europas
opfern." „Ju meiner Heimat," entgegnete er, „würde man den Krieg nur ungern


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[0407] Talleyrand auf dem wiener Longreß. folge war aber auch thatsächlich die Coalition der ehemaligen Gegner Napoleons gesprengt. Auf der einen Seite standen Rußland und Preußen, auf der andern Oesterreich und England, Soll man, schreibt Talleyrand an seinen Monarchen, um des Friedens willen Rußland und Preußen nachgeben? „Weder die Sicher¬ heit Europas noch die Ehre gestatten das." Soll man Gewalt gegen Gewalt setzen? Dafür müßte Oesterreich, welches, glaube ich, den Wunsch dazu hat, auch den Willen haben. Es hat gewaltige Streitkräfte auf den Beinen; aber es fürchtet Erhebungen in Italien und wagt nicht, allein sich mit Rußland und Preußen ein¬ zulassen. Es kann auf Baiern zählen, welches sich sehr freimüthig ausgesprochen und ihm 50 000 Mann zur Vertheidigung Sachsens angeboten hat; Würtemberg würde 10 000 Mann stellen. Andre deutsche Staaten würden sich anschließen; aber das beruhigt Oesterreich noch nicht; es möchte ans unsre Mitwirkung rechnen dürfen, und glaubt nicht darauf rechnen zu können. . , , Ew, Majestät werden mir ohne Schwierigkeit glauben, daß ich den Krieg ebenso wenig liebe und wünsche als Sie selbst; aber nach meiner Ansicht würde es genügen, ihn in der Ferne zu zeigen, ohne daß man ihn zu führen braucht; nach meiner Ansicht dürfte ferner auch die Furcht vor einem Kriege nicht die Furcht vor einem größern Uebel überwiegen, dein nur der Krieg vorbeugen kann. König Ludwig antwortete auf die ausgesprochne Bitte Talleyrands, die Gegner Rußlands und Preußens der französischen Hilfe versichern zu dürfen, zustimmend: „Ich hoffe," schreibt er, „daß die Schritte, die Sie infolge dessen thun werden, genügen; aber wie ich Ihnen schon schrieb, wir müssen zeigen, daß etwas dahinter ist, und ich werde Befehl geben, daß die Armee mobil gemacht werde," „Gott ist mein Zeuge," setzt er salbungsvoll hinzu, „daß ich, weit entfernt, Krieg zu wollen, nichts mehr wünsche als einige Jahre Ruhe, um die Wunden des Staates heilen zu können; aber vor allem will ich die Ehre Frank¬ reichs unverletzt erhalten, und verhindern, daß Principien und eine Ordnung der Dinge Geltung gewinnen, die aller Sittlichkeit ebenso sehr widersprechen, als sie dem Frieden schädlich sind." Aber Tallehrands Pläne gingen noch weiter. Es galt, Castlereagh zu ge¬ winnen, und ihn von Preußen abzuziehen. Talleyrand versuchte ihn zunächst mit einem Eingehen auf die polnische Frage zu ködern. Ueber die Unterredung, die er in dieser Hinsicht mit dem englischen Botschafter hatte, schreibt er am 28. December folgendes an Ludwig XVIII. Er habe mit Castlereagh von einer Convention oder Allianz zwischen Frankreich und England gesprochen. Dieser habe geantwortet: „Aber eine Allianz setzt den Krieg voraus oder kann doch dazu führen, und wir müssen alles thun, um den Krieg zu vermeiden." „Ich denke ganz wie Sie; man muß alles thun, nur nicht die Ehre, die Gerechtigkeit und die Zukunft Europas opfern." „Ju meiner Heimat," entgegnete er, „würde man den Krieg nur ungern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/407>, abgerufen am 23.07.2024.