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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Talleyrand ans dem wiener Kongreß,

Für die Kenntniß des Zeitraums um, der zwischen der Instructiv" Tallehrands
und jenem triumphirenden Berichte La Vesnardmres liegt, haben wir soeben eine
Quelle von unschätzbarer Bedeutung erhalten in den Briefen, die Talleyrand von
Wien an König Ludwig richtete^). Erst aus dieser Korrespondenz werden wir
über die ungemeine Gewandtheit unterrichtet, mit der Talleyrand es verstand,
den Widerstreit der Interessen unter den Verbündeten auszunutzen. In eben so
anziehender wie ausführlicher Weise geben die Briefe uns darüber Aufschluß,
wie es ihm gegen den Widerspruch der vier Großmächte gelang, in den Be¬
rathungen sich eine Stimme zu sichern, wie er unter dem Deckmantel der Legi¬
timität die alten Ueberlieferungen der bourbonischen Politik gegenüber Oesterreich
und Preußen anfrecht erhielt und namentlich in der sächsisch-polnischen Frage
Uneinigkeit unter den Mächten herbeiführte und dadurch deu Sieg errang.

Es sei uns gestattet, ans diejenigen Briefe, welche von besondrer Bedeutung
für die wichtigsten Angelegenheiten des Kongresses sind, etwas näher einzugehen.

Von hohem Interesse ist es, zu sehen, wie sich Tallehrand sofort die ent¬
scheidende Stimme errang. Er schreibt darüber am 4. October folgendes:

Am 30. September zwischen 9 und 10 Uhr morgens erhielt ich von Fürst
Metternich einen vom Tage vorher datirten Brief von fünf Zeilen, in welchem er
mir in seinem Namen allein den Vorschlag macht, um 2 Uhr einer vorläufigen
Conferenz beizuwohnen, zu der ich die Vertreter Rußlands, Englands und Preußens
bei ihm vereinigt finden würde. Er fügte hinzu, daß er dieselbe Einladung an
Herrn von Labrador, den Vertreter Spaniens, richte. Die Ausdrücke beiwohnen
und vereinig: waren offenbar absichtlich gebraucht. Ich erwiderte, daß ich mich
sehr gern mit den Vertretern Rußlands, Englands, Spaniens und Preußens bei
ihm einfinden würde.

Dem Gesandten Spaniens, Labrador, gab Talleyrand den Rath, eine ähn¬
liche Antwort, wie er sie abgefaßt hatte, an Mettcrmch zu senden, in welcher
Frankreich mit und vor den andern Mächten genannt wäre. Dann fährt er fort:

So vermischten wir, Herr von Labrador und ich, absichtlich, was die andern trennen
zu "vollen schienen, und wir theilten, was die andern durch ein besondres Band
vereinigen zu wollen schienen. Ich war vor 2 Uhr bei Herrn von Metternich,
aber schon waren die Vertreter der vier Höfe um eine lange Tafel vereinigt; Lord
Castlereagh, an dem einen Ende, schien den Borsitz zu führen; an dem andern Ende
saß ein Mann, den Metternich mir als den Protokollführer bei ihren Conferenzen
vorstellte; es war Gentz. Zwischen Castlereagh und Metternich war ein Sitz frei¬
gelassen, den ich einnahm.



*) Talleyrands Briefwechsel mit König Ludwig XVIII, während des Wiener
Congresses, Nach deu im Archiv des Ministeriums des Auswärtigen zu Paris aufbewahrten
Handschriften herausgegeben ve>" G, PnUcnn. Auwrisirte deutsche Ausgabe besorgt von
Paul Banken. Leipzig, F. A. Brockhaus. Paris, E. Plan " Comp.. 1881.
Talleyrand ans dem wiener Kongreß,

Für die Kenntniß des Zeitraums um, der zwischen der Instructiv» Tallehrands
und jenem triumphirenden Berichte La Vesnardmres liegt, haben wir soeben eine
Quelle von unschätzbarer Bedeutung erhalten in den Briefen, die Talleyrand von
Wien an König Ludwig richtete^). Erst aus dieser Korrespondenz werden wir
über die ungemeine Gewandtheit unterrichtet, mit der Talleyrand es verstand,
den Widerstreit der Interessen unter den Verbündeten auszunutzen. In eben so
anziehender wie ausführlicher Weise geben die Briefe uns darüber Aufschluß,
wie es ihm gegen den Widerspruch der vier Großmächte gelang, in den Be¬
rathungen sich eine Stimme zu sichern, wie er unter dem Deckmantel der Legi¬
timität die alten Ueberlieferungen der bourbonischen Politik gegenüber Oesterreich
und Preußen anfrecht erhielt und namentlich in der sächsisch-polnischen Frage
Uneinigkeit unter den Mächten herbeiführte und dadurch deu Sieg errang.

Es sei uns gestattet, ans diejenigen Briefe, welche von besondrer Bedeutung
für die wichtigsten Angelegenheiten des Kongresses sind, etwas näher einzugehen.

Von hohem Interesse ist es, zu sehen, wie sich Tallehrand sofort die ent¬
scheidende Stimme errang. Er schreibt darüber am 4. October folgendes:

Am 30. September zwischen 9 und 10 Uhr morgens erhielt ich von Fürst
Metternich einen vom Tage vorher datirten Brief von fünf Zeilen, in welchem er
mir in seinem Namen allein den Vorschlag macht, um 2 Uhr einer vorläufigen
Conferenz beizuwohnen, zu der ich die Vertreter Rußlands, Englands und Preußens
bei ihm vereinigt finden würde. Er fügte hinzu, daß er dieselbe Einladung an
Herrn von Labrador, den Vertreter Spaniens, richte. Die Ausdrücke beiwohnen
und vereinig: waren offenbar absichtlich gebraucht. Ich erwiderte, daß ich mich
sehr gern mit den Vertretern Rußlands, Englands, Spaniens und Preußens bei
ihm einfinden würde.

Dem Gesandten Spaniens, Labrador, gab Talleyrand den Rath, eine ähn¬
liche Antwort, wie er sie abgefaßt hatte, an Mettcrmch zu senden, in welcher
Frankreich mit und vor den andern Mächten genannt wäre. Dann fährt er fort:

So vermischten wir, Herr von Labrador und ich, absichtlich, was die andern trennen
zu »vollen schienen, und wir theilten, was die andern durch ein besondres Band
vereinigen zu wollen schienen. Ich war vor 2 Uhr bei Herrn von Metternich,
aber schon waren die Vertreter der vier Höfe um eine lange Tafel vereinigt; Lord
Castlereagh, an dem einen Ende, schien den Borsitz zu führen; an dem andern Ende
saß ein Mann, den Metternich mir als den Protokollführer bei ihren Conferenzen
vorstellte; es war Gentz. Zwischen Castlereagh und Metternich war ein Sitz frei¬
gelassen, den ich einnahm.



*) Talleyrands Briefwechsel mit König Ludwig XVIII, während des Wiener
Congresses, Nach deu im Archiv des Ministeriums des Auswärtigen zu Paris aufbewahrten
Handschriften herausgegeben ve>» G, PnUcnn. Auwrisirte deutsche Ausgabe besorgt von
Paul Banken. Leipzig, F. A. Brockhaus. Paris, E. Plan » Comp.. 1881.
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[0403] Talleyrand ans dem wiener Kongreß, Für die Kenntniß des Zeitraums um, der zwischen der Instructiv» Tallehrands und jenem triumphirenden Berichte La Vesnardmres liegt, haben wir soeben eine Quelle von unschätzbarer Bedeutung erhalten in den Briefen, die Talleyrand von Wien an König Ludwig richtete^). Erst aus dieser Korrespondenz werden wir über die ungemeine Gewandtheit unterrichtet, mit der Talleyrand es verstand, den Widerstreit der Interessen unter den Verbündeten auszunutzen. In eben so anziehender wie ausführlicher Weise geben die Briefe uns darüber Aufschluß, wie es ihm gegen den Widerspruch der vier Großmächte gelang, in den Be¬ rathungen sich eine Stimme zu sichern, wie er unter dem Deckmantel der Legi¬ timität die alten Ueberlieferungen der bourbonischen Politik gegenüber Oesterreich und Preußen anfrecht erhielt und namentlich in der sächsisch-polnischen Frage Uneinigkeit unter den Mächten herbeiführte und dadurch deu Sieg errang. Es sei uns gestattet, ans diejenigen Briefe, welche von besondrer Bedeutung für die wichtigsten Angelegenheiten des Kongresses sind, etwas näher einzugehen. Von hohem Interesse ist es, zu sehen, wie sich Tallehrand sofort die ent¬ scheidende Stimme errang. Er schreibt darüber am 4. October folgendes: Am 30. September zwischen 9 und 10 Uhr morgens erhielt ich von Fürst Metternich einen vom Tage vorher datirten Brief von fünf Zeilen, in welchem er mir in seinem Namen allein den Vorschlag macht, um 2 Uhr einer vorläufigen Conferenz beizuwohnen, zu der ich die Vertreter Rußlands, Englands und Preußens bei ihm vereinigt finden würde. Er fügte hinzu, daß er dieselbe Einladung an Herrn von Labrador, den Vertreter Spaniens, richte. Die Ausdrücke beiwohnen und vereinig: waren offenbar absichtlich gebraucht. Ich erwiderte, daß ich mich sehr gern mit den Vertretern Rußlands, Englands, Spaniens und Preußens bei ihm einfinden würde. Dem Gesandten Spaniens, Labrador, gab Talleyrand den Rath, eine ähn¬ liche Antwort, wie er sie abgefaßt hatte, an Mettcrmch zu senden, in welcher Frankreich mit und vor den andern Mächten genannt wäre. Dann fährt er fort: So vermischten wir, Herr von Labrador und ich, absichtlich, was die andern trennen zu »vollen schienen, und wir theilten, was die andern durch ein besondres Band vereinigen zu wollen schienen. Ich war vor 2 Uhr bei Herrn von Metternich, aber schon waren die Vertreter der vier Höfe um eine lange Tafel vereinigt; Lord Castlereagh, an dem einen Ende, schien den Borsitz zu führen; an dem andern Ende saß ein Mann, den Metternich mir als den Protokollführer bei ihren Conferenzen vorstellte; es war Gentz. Zwischen Castlereagh und Metternich war ein Sitz frei¬ gelassen, den ich einnahm. *) Talleyrands Briefwechsel mit König Ludwig XVIII, während des Wiener Congresses, Nach deu im Archiv des Ministeriums des Auswärtigen zu Paris aufbewahrten Handschriften herausgegeben ve>» G, PnUcnn. Auwrisirte deutsche Ausgabe besorgt von Paul Banken. Leipzig, F. A. Brockhaus. Paris, E. Plan » Comp.. 1881.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/403>, abgerufen am 23.07.2024.