Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Ausgang des türkisch-griechischen Grenzstreits.

Flusse, dem Arachthos der alten Zeit, und auf der Stätte des antiken Ambrakia,
11 Kilometer Von der Mündung des Artaflusses in den Golf von Aren, einen Busen
des Ionischen Meeres. Es but über 6000 Einwohner, die der Mehrzahl nach Griechen
sind und Handel mit den Producten der wohlbestellten Felder in seiner Umgebung,
Wein und Orangen treiben.

Nach den neuesten Nachrichten nehmen die Verhandlungen zwischen den Bot¬
schaftern und der Pforte wegen Abschlusses der Convention einen günstigen Verlauf,
sodaß mau einen baldigen Abschluß erwarten darf. Dieser Vertrag wird nicht nur
Bestimmungen über die Modalitäten der Räumung des abgetrctncn Gebiets, sondern
anch solche enthalten, die sich auf den Schutz der Muhammedaner, auf die Wakufs
oder geistlichen Güter und die von Griechenland zu übernehmende Quote der türkischen
Staatsschulden beziehen. Die Bemühungen der hellenischen Diplomatie, noch in
letzter Stunde allerlei Zugeständnisse für Epirus und namentlich für Janina zu er¬
langen, haben wenig Aussicht auf Erfolg, da selbst die englische Botschaft die Weisung
erhalten hat, solchen unzulässigen Ansprüchen entgegenzutreten.

Das Hauptverdienst, eine glückliche Lösung der Frage herbeigeführt zu haben,
wird, wenn das letzte Stadium derselben abgelaufen und alles geordnet ist, allem
Anscheine nach dem deutschen Reichskanzler und in zweiter Linie dem deutscheu
Botschafter in Konstantinopel, dem Grafen Hatzfeld, der die Befehle seines Chefs
geschickt ausführte, zugeschrieben werden müssen. Nach der obenerwähnten Erklärung
Dilkes wäre Frankreich Anfangs mehr als England für die Griechen eingetreten.
Nach der Weigerung der Türkei, den Beschluß der Berliner Conferenz anzuerkennen,
habe die französische Regierung im August des letztverflossnen Jahres erklärt, jener
Beschluß sei unwiderruflich. Später verständigte man sich, wie Dilke weiter be¬
hauptete, über die Flottendcmonstration in der Frage wegen Dulcignos, und Frank¬
reich wollte diese Demonstration anch auf den griechischen Streitfall ausgedehnt wissen.
Dann aber machte die französische Diplomatie eine Schwenkung, die der Türkei günstiger
war, und infolge dieser Schwenkung konnte, wenn wir Herrn Dilkes Angaben Glauben
schenken dürfen, Gladstone das europäische Einvernehmen nicht auflösen.

Wie es scheint, steht Deutschland jetzt und schon seit einiger Zeit bei der Pforte
in besonderm Ansehen und erfreut sich bei dieser großen Einflusses. Es kaun auf
den ersten Blick auffallen, daß diejenige Großmacht, welche jede directe Beziehung
ihrer Interessen zu den Fragen, die den Orient betreffen, in Abrede gestellt hat
und in der That hier nur die Erhaltung des Weltfriedens im Auge haben kann,
augenblicklich einen solchen Einfluß ausübt. Allein näher besehen, entspricht der¬
selbe nnr den thatsächlichen Verhältnissen, nud seine Ursachen sind unschwer heraus¬
zufinden. Bei der geographischen Lage des deutschen Reiches mußten die türkischen
Politiker einsehen, daß die deutsche Diplomatie wirklich keinerlei directes Interesse
um der griechisch-türkischen Frage verfolgen und nur von Grundsätzen der Billig¬
keit und dem Wunsche nach Frieden geleitet sein konnte. Keine andre Macht war
so erhaben über deu Verdacht irgendwelcher selbstsüchtigen Absichten. Greift man


Der Ausgang des türkisch-griechischen Grenzstreits.

Flusse, dem Arachthos der alten Zeit, und auf der Stätte des antiken Ambrakia,
11 Kilometer Von der Mündung des Artaflusses in den Golf von Aren, einen Busen
des Ionischen Meeres. Es but über 6000 Einwohner, die der Mehrzahl nach Griechen
sind und Handel mit den Producten der wohlbestellten Felder in seiner Umgebung,
Wein und Orangen treiben.

Nach den neuesten Nachrichten nehmen die Verhandlungen zwischen den Bot¬
schaftern und der Pforte wegen Abschlusses der Convention einen günstigen Verlauf,
sodaß mau einen baldigen Abschluß erwarten darf. Dieser Vertrag wird nicht nur
Bestimmungen über die Modalitäten der Räumung des abgetrctncn Gebiets, sondern
anch solche enthalten, die sich auf den Schutz der Muhammedaner, auf die Wakufs
oder geistlichen Güter und die von Griechenland zu übernehmende Quote der türkischen
Staatsschulden beziehen. Die Bemühungen der hellenischen Diplomatie, noch in
letzter Stunde allerlei Zugeständnisse für Epirus und namentlich für Janina zu er¬
langen, haben wenig Aussicht auf Erfolg, da selbst die englische Botschaft die Weisung
erhalten hat, solchen unzulässigen Ansprüchen entgegenzutreten.

Das Hauptverdienst, eine glückliche Lösung der Frage herbeigeführt zu haben,
wird, wenn das letzte Stadium derselben abgelaufen und alles geordnet ist, allem
Anscheine nach dem deutschen Reichskanzler und in zweiter Linie dem deutscheu
Botschafter in Konstantinopel, dem Grafen Hatzfeld, der die Befehle seines Chefs
geschickt ausführte, zugeschrieben werden müssen. Nach der obenerwähnten Erklärung
Dilkes wäre Frankreich Anfangs mehr als England für die Griechen eingetreten.
Nach der Weigerung der Türkei, den Beschluß der Berliner Conferenz anzuerkennen,
habe die französische Regierung im August des letztverflossnen Jahres erklärt, jener
Beschluß sei unwiderruflich. Später verständigte man sich, wie Dilke weiter be¬
hauptete, über die Flottendcmonstration in der Frage wegen Dulcignos, und Frank¬
reich wollte diese Demonstration anch auf den griechischen Streitfall ausgedehnt wissen.
Dann aber machte die französische Diplomatie eine Schwenkung, die der Türkei günstiger
war, und infolge dieser Schwenkung konnte, wenn wir Herrn Dilkes Angaben Glauben
schenken dürfen, Gladstone das europäische Einvernehmen nicht auflösen.

Wie es scheint, steht Deutschland jetzt und schon seit einiger Zeit bei der Pforte
in besonderm Ansehen und erfreut sich bei dieser großen Einflusses. Es kaun auf
den ersten Blick auffallen, daß diejenige Großmacht, welche jede directe Beziehung
ihrer Interessen zu den Fragen, die den Orient betreffen, in Abrede gestellt hat
und in der That hier nur die Erhaltung des Weltfriedens im Auge haben kann,
augenblicklich einen solchen Einfluß ausübt. Allein näher besehen, entspricht der¬
selbe nnr den thatsächlichen Verhältnissen, nud seine Ursachen sind unschwer heraus¬
zufinden. Bei der geographischen Lage des deutschen Reiches mußten die türkischen
Politiker einsehen, daß die deutsche Diplomatie wirklich keinerlei directes Interesse
um der griechisch-türkischen Frage verfolgen und nur von Grundsätzen der Billig¬
keit und dem Wunsche nach Frieden geleitet sein konnte. Keine andre Macht war
so erhaben über deu Verdacht irgendwelcher selbstsüchtigen Absichten. Greift man


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0359" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/149931"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Ausgang des türkisch-griechischen Grenzstreits.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1211" prev="#ID_1210"> Flusse, dem Arachthos der alten Zeit, und auf der Stätte des antiken Ambrakia,<lb/>
11 Kilometer Von der Mündung des Artaflusses in den Golf von Aren, einen Busen<lb/>
des Ionischen Meeres. Es but über 6000 Einwohner, die der Mehrzahl nach Griechen<lb/>
sind und Handel mit den Producten der wohlbestellten Felder in seiner Umgebung,<lb/>
Wein und Orangen treiben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1212"> Nach den neuesten Nachrichten nehmen die Verhandlungen zwischen den Bot¬<lb/>
schaftern und der Pforte wegen Abschlusses der Convention einen günstigen Verlauf,<lb/>
sodaß mau einen baldigen Abschluß erwarten darf. Dieser Vertrag wird nicht nur<lb/>
Bestimmungen über die Modalitäten der Räumung des abgetrctncn Gebiets, sondern<lb/>
anch solche enthalten, die sich auf den Schutz der Muhammedaner, auf die Wakufs<lb/>
oder geistlichen Güter und die von Griechenland zu übernehmende Quote der türkischen<lb/>
Staatsschulden beziehen. Die Bemühungen der hellenischen Diplomatie, noch in<lb/>
letzter Stunde allerlei Zugeständnisse für Epirus und namentlich für Janina zu er¬<lb/>
langen, haben wenig Aussicht auf Erfolg, da selbst die englische Botschaft die Weisung<lb/>
erhalten hat, solchen unzulässigen Ansprüchen entgegenzutreten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1213"> Das Hauptverdienst, eine glückliche Lösung der Frage herbeigeführt zu haben,<lb/>
wird, wenn das letzte Stadium derselben abgelaufen und alles geordnet ist, allem<lb/>
Anscheine nach dem deutschen Reichskanzler und in zweiter Linie dem deutscheu<lb/>
Botschafter in Konstantinopel, dem Grafen Hatzfeld, der die Befehle seines Chefs<lb/>
geschickt ausführte, zugeschrieben werden müssen. Nach der obenerwähnten Erklärung<lb/>
Dilkes wäre Frankreich Anfangs mehr als England für die Griechen eingetreten.<lb/>
Nach der Weigerung der Türkei, den Beschluß der Berliner Conferenz anzuerkennen,<lb/>
habe die französische Regierung im August des letztverflossnen Jahres erklärt, jener<lb/>
Beschluß sei unwiderruflich. Später verständigte man sich, wie Dilke weiter be¬<lb/>
hauptete, über die Flottendcmonstration in der Frage wegen Dulcignos, und Frank¬<lb/>
reich wollte diese Demonstration anch auf den griechischen Streitfall ausgedehnt wissen.<lb/>
Dann aber machte die französische Diplomatie eine Schwenkung, die der Türkei günstiger<lb/>
war, und infolge dieser Schwenkung konnte, wenn wir Herrn Dilkes Angaben Glauben<lb/>
schenken dürfen, Gladstone das europäische Einvernehmen nicht auflösen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1214" next="#ID_1215"> Wie es scheint, steht Deutschland jetzt und schon seit einiger Zeit bei der Pforte<lb/>
in besonderm Ansehen und erfreut sich bei dieser großen Einflusses. Es kaun auf<lb/>
den ersten Blick auffallen, daß diejenige Großmacht, welche jede directe Beziehung<lb/>
ihrer Interessen zu den Fragen, die den Orient betreffen, in Abrede gestellt hat<lb/>
und in der That hier nur die Erhaltung des Weltfriedens im Auge haben kann,<lb/>
augenblicklich einen solchen Einfluß ausübt. Allein näher besehen, entspricht der¬<lb/>
selbe nnr den thatsächlichen Verhältnissen, nud seine Ursachen sind unschwer heraus¬<lb/>
zufinden. Bei der geographischen Lage des deutschen Reiches mußten die türkischen<lb/>
Politiker einsehen, daß die deutsche Diplomatie wirklich keinerlei directes Interesse<lb/>
um der griechisch-türkischen Frage verfolgen und nur von Grundsätzen der Billig¬<lb/>
keit und dem Wunsche nach Frieden geleitet sein konnte. Keine andre Macht war<lb/>
so erhaben über deu Verdacht irgendwelcher selbstsüchtigen Absichten. Greift man</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0359] Der Ausgang des türkisch-griechischen Grenzstreits. Flusse, dem Arachthos der alten Zeit, und auf der Stätte des antiken Ambrakia, 11 Kilometer Von der Mündung des Artaflusses in den Golf von Aren, einen Busen des Ionischen Meeres. Es but über 6000 Einwohner, die der Mehrzahl nach Griechen sind und Handel mit den Producten der wohlbestellten Felder in seiner Umgebung, Wein und Orangen treiben. Nach den neuesten Nachrichten nehmen die Verhandlungen zwischen den Bot¬ schaftern und der Pforte wegen Abschlusses der Convention einen günstigen Verlauf, sodaß mau einen baldigen Abschluß erwarten darf. Dieser Vertrag wird nicht nur Bestimmungen über die Modalitäten der Räumung des abgetrctncn Gebiets, sondern anch solche enthalten, die sich auf den Schutz der Muhammedaner, auf die Wakufs oder geistlichen Güter und die von Griechenland zu übernehmende Quote der türkischen Staatsschulden beziehen. Die Bemühungen der hellenischen Diplomatie, noch in letzter Stunde allerlei Zugeständnisse für Epirus und namentlich für Janina zu er¬ langen, haben wenig Aussicht auf Erfolg, da selbst die englische Botschaft die Weisung erhalten hat, solchen unzulässigen Ansprüchen entgegenzutreten. Das Hauptverdienst, eine glückliche Lösung der Frage herbeigeführt zu haben, wird, wenn das letzte Stadium derselben abgelaufen und alles geordnet ist, allem Anscheine nach dem deutschen Reichskanzler und in zweiter Linie dem deutscheu Botschafter in Konstantinopel, dem Grafen Hatzfeld, der die Befehle seines Chefs geschickt ausführte, zugeschrieben werden müssen. Nach der obenerwähnten Erklärung Dilkes wäre Frankreich Anfangs mehr als England für die Griechen eingetreten. Nach der Weigerung der Türkei, den Beschluß der Berliner Conferenz anzuerkennen, habe die französische Regierung im August des letztverflossnen Jahres erklärt, jener Beschluß sei unwiderruflich. Später verständigte man sich, wie Dilke weiter be¬ hauptete, über die Flottendcmonstration in der Frage wegen Dulcignos, und Frank¬ reich wollte diese Demonstration anch auf den griechischen Streitfall ausgedehnt wissen. Dann aber machte die französische Diplomatie eine Schwenkung, die der Türkei günstiger war, und infolge dieser Schwenkung konnte, wenn wir Herrn Dilkes Angaben Glauben schenken dürfen, Gladstone das europäische Einvernehmen nicht auflösen. Wie es scheint, steht Deutschland jetzt und schon seit einiger Zeit bei der Pforte in besonderm Ansehen und erfreut sich bei dieser großen Einflusses. Es kaun auf den ersten Blick auffallen, daß diejenige Großmacht, welche jede directe Beziehung ihrer Interessen zu den Fragen, die den Orient betreffen, in Abrede gestellt hat und in der That hier nur die Erhaltung des Weltfriedens im Auge haben kann, augenblicklich einen solchen Einfluß ausübt. Allein näher besehen, entspricht der¬ selbe nnr den thatsächlichen Verhältnissen, nud seine Ursachen sind unschwer heraus¬ zufinden. Bei der geographischen Lage des deutschen Reiches mußten die türkischen Politiker einsehen, daß die deutsche Diplomatie wirklich keinerlei directes Interesse um der griechisch-türkischen Frage verfolgen und nur von Grundsätzen der Billig¬ keit und dem Wunsche nach Frieden geleitet sein konnte. Keine andre Macht war so erhaben über deu Verdacht irgendwelcher selbstsüchtigen Absichten. Greift man

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/359
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/359>, abgerufen am 23.07.2024.