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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Der Ausgang des türkisch-griechischen Grmzstreits.

ohne Folgen bleiben, ist seiner großen Mehrzahl nach vernünftig genug, zu be¬
greifen, daß ein Krieg des kleinen Königreichs, allein, ohne irgendwelche Unter¬
stützung gegen die Pforte mit ihren Veteranen unternommen, ganz bestimmt zu
einer verhängnißvollen Katastrophe führen, und daß mau durch Auflehnung gegen
die Negierung nur deren an sich schon schwierige Aufgabe erschweren und den Ruin
des Landes beschleunigen würde.

Die Heißsporne und Streber der Opposition hoffen jetzt das Cnbinct mit Hilfe
der Volksvertretung stürzen zu können. Deshalb verlangen sie sofortige Einberufung
der Abgeordneten zu einer außerordentlichen Session, in der dieselben das Ministerium
zur Rechenschaft ziehen sollen dafür, daß es gegen den ausdrücklichen Beschluß, den
die Kammer in ihrer letzten Sitzung mit 200 gegen 3 Stimmen faßte, daß näm¬
lich Griechenland eher Krieg führen, als sich auf Schmälerung der Grenzlinie der
Berliner Conferenz einlassen solle, eine neue Grenzlinie angenommen, die den
Griechen kaum drei Viertel von dem früher in Aussicht genommnen Laudzuwachse
bringe. Diesen Gefallen wird aber Kvmmunduros seinen Gegnern sicherlich nicht
thun. Er wird abwarten, wie die Frage sich weiter entwickelt. Giebt die Pforte
die betreffenden Landestheile ohne Widerstand und langen Verzug heraus -- was
sehr wahrscheinlich ist --, so kann er mit dieser Thatsache, sowie mit einer neuen
Anleihe von 200 Millionen, die nach der Versicherung des Finanzministers Soti-
ropulos auswärtige Capitnlistcn der Regierung gegen Anweisung auf die Zoll-
einnahmcn von Vvlo angeboten haben, und mit der man alle schwebenden Staats¬
schulden decken könnte, vor der Kammer erscheinen und wird dann ohne Zweifel
Indemnität finden.

Wunderbar würde es erscheinen, wenn dies nicht der Fall wäre. Griechenland
bekommt sieben Zehntel des von der Konferenz ins Auge gefaßten Territoriums,
fast lauter fruchtbaren Thonboden, der namentlich uns der weiten Ebne des Salmuvrin
äußerst ergiebig ist. Die Einwohnerzahl dieses Gebiets beträgt mindestens eine
halbe Million. Mehrere ziemlich große und wohlhabende Städte fallen mit ihm
an Griechenland. Zunächst Larissa, türkisch Jcnischehr genannt, die größte und
reichste thessalische Stadt, am Ufer des Salanwria, des Peneios der Alten, von
30 000 Menschen bewohnt, unter denen sich auch viele Türken befinden müssen, da
man hier 22 Moscheen zählt. Der Ort hat große Tabaksfabriken, Gerbereien und
Scidcuspinnercien, ist aber namentlich berühmt wegen seiner Färbereien, die das
schöne rothe türkische Garn liefern. Unter Ali Pascha bildete Larissa während des
griechischen Freiheitskrieges den Mittelpunkt der türkischen Operationen. Ferner
Trikala, am Trikalinos, einem Nebenflüsse des Salanwria, mit 11 000 Einwohnern,
die Gerberei, Färberei und Baumwolleubau betreiben, und die der Mehrzahl nach
Griechen sind. Drittens Fersala, das alte Pharsalos, südlich von Larissa gelegen,
mit etwa 6000 meist griechischen Einwohnern. Sodann Vvlo, das alte Jolkos,
an einem nach ihm benannten Meerbusen der Aegeischen See, mit 3000 Einwohnern,
die lebhaften Handel betreiben. Endlich Area oder Uarda, an dem gleichnamigen


Der Ausgang des türkisch-griechischen Grmzstreits.

ohne Folgen bleiben, ist seiner großen Mehrzahl nach vernünftig genug, zu be¬
greifen, daß ein Krieg des kleinen Königreichs, allein, ohne irgendwelche Unter¬
stützung gegen die Pforte mit ihren Veteranen unternommen, ganz bestimmt zu
einer verhängnißvollen Katastrophe führen, und daß mau durch Auflehnung gegen
die Negierung nur deren an sich schon schwierige Aufgabe erschweren und den Ruin
des Landes beschleunigen würde.

Die Heißsporne und Streber der Opposition hoffen jetzt das Cnbinct mit Hilfe
der Volksvertretung stürzen zu können. Deshalb verlangen sie sofortige Einberufung
der Abgeordneten zu einer außerordentlichen Session, in der dieselben das Ministerium
zur Rechenschaft ziehen sollen dafür, daß es gegen den ausdrücklichen Beschluß, den
die Kammer in ihrer letzten Sitzung mit 200 gegen 3 Stimmen faßte, daß näm¬
lich Griechenland eher Krieg führen, als sich auf Schmälerung der Grenzlinie der
Berliner Conferenz einlassen solle, eine neue Grenzlinie angenommen, die den
Griechen kaum drei Viertel von dem früher in Aussicht genommnen Laudzuwachse
bringe. Diesen Gefallen wird aber Kvmmunduros seinen Gegnern sicherlich nicht
thun. Er wird abwarten, wie die Frage sich weiter entwickelt. Giebt die Pforte
die betreffenden Landestheile ohne Widerstand und langen Verzug heraus — was
sehr wahrscheinlich ist —, so kann er mit dieser Thatsache, sowie mit einer neuen
Anleihe von 200 Millionen, die nach der Versicherung des Finanzministers Soti-
ropulos auswärtige Capitnlistcn der Regierung gegen Anweisung auf die Zoll-
einnahmcn von Vvlo angeboten haben, und mit der man alle schwebenden Staats¬
schulden decken könnte, vor der Kammer erscheinen und wird dann ohne Zweifel
Indemnität finden.

Wunderbar würde es erscheinen, wenn dies nicht der Fall wäre. Griechenland
bekommt sieben Zehntel des von der Konferenz ins Auge gefaßten Territoriums,
fast lauter fruchtbaren Thonboden, der namentlich uns der weiten Ebne des Salmuvrin
äußerst ergiebig ist. Die Einwohnerzahl dieses Gebiets beträgt mindestens eine
halbe Million. Mehrere ziemlich große und wohlhabende Städte fallen mit ihm
an Griechenland. Zunächst Larissa, türkisch Jcnischehr genannt, die größte und
reichste thessalische Stadt, am Ufer des Salanwria, des Peneios der Alten, von
30 000 Menschen bewohnt, unter denen sich auch viele Türken befinden müssen, da
man hier 22 Moscheen zählt. Der Ort hat große Tabaksfabriken, Gerbereien und
Scidcuspinnercien, ist aber namentlich berühmt wegen seiner Färbereien, die das
schöne rothe türkische Garn liefern. Unter Ali Pascha bildete Larissa während des
griechischen Freiheitskrieges den Mittelpunkt der türkischen Operationen. Ferner
Trikala, am Trikalinos, einem Nebenflüsse des Salanwria, mit 11 000 Einwohnern,
die Gerberei, Färberei und Baumwolleubau betreiben, und die der Mehrzahl nach
Griechen sind. Drittens Fersala, das alte Pharsalos, südlich von Larissa gelegen,
mit etwa 6000 meist griechischen Einwohnern. Sodann Vvlo, das alte Jolkos,
an einem nach ihm benannten Meerbusen der Aegeischen See, mit 3000 Einwohnern,
die lebhaften Handel betreiben. Endlich Area oder Uarda, an dem gleichnamigen


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[0358] Der Ausgang des türkisch-griechischen Grmzstreits. ohne Folgen bleiben, ist seiner großen Mehrzahl nach vernünftig genug, zu be¬ greifen, daß ein Krieg des kleinen Königreichs, allein, ohne irgendwelche Unter¬ stützung gegen die Pforte mit ihren Veteranen unternommen, ganz bestimmt zu einer verhängnißvollen Katastrophe führen, und daß mau durch Auflehnung gegen die Negierung nur deren an sich schon schwierige Aufgabe erschweren und den Ruin des Landes beschleunigen würde. Die Heißsporne und Streber der Opposition hoffen jetzt das Cnbinct mit Hilfe der Volksvertretung stürzen zu können. Deshalb verlangen sie sofortige Einberufung der Abgeordneten zu einer außerordentlichen Session, in der dieselben das Ministerium zur Rechenschaft ziehen sollen dafür, daß es gegen den ausdrücklichen Beschluß, den die Kammer in ihrer letzten Sitzung mit 200 gegen 3 Stimmen faßte, daß näm¬ lich Griechenland eher Krieg führen, als sich auf Schmälerung der Grenzlinie der Berliner Conferenz einlassen solle, eine neue Grenzlinie angenommen, die den Griechen kaum drei Viertel von dem früher in Aussicht genommnen Laudzuwachse bringe. Diesen Gefallen wird aber Kvmmunduros seinen Gegnern sicherlich nicht thun. Er wird abwarten, wie die Frage sich weiter entwickelt. Giebt die Pforte die betreffenden Landestheile ohne Widerstand und langen Verzug heraus — was sehr wahrscheinlich ist —, so kann er mit dieser Thatsache, sowie mit einer neuen Anleihe von 200 Millionen, die nach der Versicherung des Finanzministers Soti- ropulos auswärtige Capitnlistcn der Regierung gegen Anweisung auf die Zoll- einnahmcn von Vvlo angeboten haben, und mit der man alle schwebenden Staats¬ schulden decken könnte, vor der Kammer erscheinen und wird dann ohne Zweifel Indemnität finden. Wunderbar würde es erscheinen, wenn dies nicht der Fall wäre. Griechenland bekommt sieben Zehntel des von der Konferenz ins Auge gefaßten Territoriums, fast lauter fruchtbaren Thonboden, der namentlich uns der weiten Ebne des Salmuvrin äußerst ergiebig ist. Die Einwohnerzahl dieses Gebiets beträgt mindestens eine halbe Million. Mehrere ziemlich große und wohlhabende Städte fallen mit ihm an Griechenland. Zunächst Larissa, türkisch Jcnischehr genannt, die größte und reichste thessalische Stadt, am Ufer des Salanwria, des Peneios der Alten, von 30 000 Menschen bewohnt, unter denen sich auch viele Türken befinden müssen, da man hier 22 Moscheen zählt. Der Ort hat große Tabaksfabriken, Gerbereien und Scidcuspinnercien, ist aber namentlich berühmt wegen seiner Färbereien, die das schöne rothe türkische Garn liefern. Unter Ali Pascha bildete Larissa während des griechischen Freiheitskrieges den Mittelpunkt der türkischen Operationen. Ferner Trikala, am Trikalinos, einem Nebenflüsse des Salanwria, mit 11 000 Einwohnern, die Gerberei, Färberei und Baumwolleubau betreiben, und die der Mehrzahl nach Griechen sind. Drittens Fersala, das alte Pharsalos, südlich von Larissa gelegen, mit etwa 6000 meist griechischen Einwohnern. Sodann Vvlo, das alte Jolkos, an einem nach ihm benannten Meerbusen der Aegeischen See, mit 3000 Einwohnern, die lebhaften Handel betreiben. Endlich Area oder Uarda, an dem gleichnamigen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/358>, abgerufen am 23.07.2024.