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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Der Ausgang dos türkisch-griechischen Grenzstroits.

theile zu treten. Die Großmächte wissen (wohl ein Wink nach London hin) sicher¬
lich recht gut, daß es Griechenland nicht an Ermuthigungen nach dieser Richtung
gefehlt hat, die ihm dnrch die Macht der Thatsachen selbst vorgezeichnet war. Um
den Ereignissen gewachsen zu sein, hat die königliche Regierung zehn Altersklassen
zu gleicher Zeit zu den Fahnen gerufen -- ein Schritt, welchen viel reichere und
mächtigere Staaten als Griechenland bisher kaum gethan haben dürften. Sie hat
ferner das Volk mit Steuern belastet und mehr als 200 Millionen Schulden con-
trahirt, sie hat Verpflichtungen übernommen, die weit über ihre Kräfte hinausgehen,
und sich mit Ausgaben belastet, die viel höher sind als ihre Einnahmen. Das
griechische Volk hat sich allen diesen Opfern ohne Murren unterworfen, voll Ver¬
trauen auf die energische Thatkraft seiner Regierung, voll Glauben an die feier¬
lichen Versprechungen Europas. Heute bietet man ihm, um es für alle seine Opfer
zu entschädigen, nur einen Theil dessen, was man ihm versprochen, und was es
mit Recht erwarten konnte. Es ist glücklich, einen Theil seiner Brüder von dem
vierhundertjährigen Joche befreit zu sehen. Aber es kann diesen Ausgang nicht
als die eigentliche Lösung der Frage betrachten, die ihm soviele Anstrengungen und
Kosten verursacht hat. Gewährte es, daß seine Regierung diese Abschlagszahlung
als vollständige Lösung der Frage annähme, so würde es diese Regierung mit dem
besten Rechte der Unvorsichtigkeit und des Leichtsinns beschuldigen, es würde ihr
für die Zukunft mißtrauen und in ihr den einzigen Urheber eines abnormen und
gefahrvollen Zustands erblicken."

Auf die Note, in welcher die griechische Regierung den Mächten kundgab, daß
sie sich die Sache besser überlegt habe, als bei Abfassung dieser von Sentimentalität
und Uebertreibung strotzenden Denkschrift, antworteten die Botschafter in Konstan-
tinopel am 20. April mit einer zweiten Collectivnote, welche folgenden Wortlaut
hatte: "Die unterzeichneten außerordentlichen Gesandten und bevollmächtigten Mi¬
nister Dentschlands, Oesterreich-Ungarns, Großbritanniens, Frankreichs, Italiens und
Rußlands haben sich beeilt, ihren Regierungen die Note zu übermitteln, welche an
dieselben in Beantwortung der Mittheilung, welche die Mächte dem Athemlöcher
Cabinet zum Behufe der Lösung der türkisch-griechischen Grenzfrage gemacht hatten,
zu richten Se. Excellenz der Conseilspräsident und Minister der auswärtigen An¬
gelegenheiten Griechenlands ihnen die Ehre erwiesen hat. Die Unterzeichneten haben
soeben von ihren Regierungen die Weisung erhalten, dem Cabinet in Athen nach¬
stehende Mittheilung zu machen. Die vermittelnden Mächte bemerken mit Be¬
friedigung, daß die griechische Regierung, von dem Wunsche beseelt, zur Erhaltung
des Friedens beizutragen und dem Rathe Europas Folge zu leisten, sich bereit er¬
klärt, von dem in der Note vom 7. April bezeichneten Territorium Besitz zu nehmen
und den muselmännischen Bevölkerungen alle nothwendigen Bürgschaften sowohl in
betreff der Freiheit des Cultus als auch in bezug auf die Achtung vor dein Eigen¬
thum zu gewähren. Die vermittelnden Mächte stimmen mit der griechischen Re¬
gierung in dem Gedanken überein, daß ihre Entscheidung rasch und auf friedlichem


Der Ausgang dos türkisch-griechischen Grenzstroits.

theile zu treten. Die Großmächte wissen (wohl ein Wink nach London hin) sicher¬
lich recht gut, daß es Griechenland nicht an Ermuthigungen nach dieser Richtung
gefehlt hat, die ihm dnrch die Macht der Thatsachen selbst vorgezeichnet war. Um
den Ereignissen gewachsen zu sein, hat die königliche Regierung zehn Altersklassen
zu gleicher Zeit zu den Fahnen gerufen — ein Schritt, welchen viel reichere und
mächtigere Staaten als Griechenland bisher kaum gethan haben dürften. Sie hat
ferner das Volk mit Steuern belastet und mehr als 200 Millionen Schulden con-
trahirt, sie hat Verpflichtungen übernommen, die weit über ihre Kräfte hinausgehen,
und sich mit Ausgaben belastet, die viel höher sind als ihre Einnahmen. Das
griechische Volk hat sich allen diesen Opfern ohne Murren unterworfen, voll Ver¬
trauen auf die energische Thatkraft seiner Regierung, voll Glauben an die feier¬
lichen Versprechungen Europas. Heute bietet man ihm, um es für alle seine Opfer
zu entschädigen, nur einen Theil dessen, was man ihm versprochen, und was es
mit Recht erwarten konnte. Es ist glücklich, einen Theil seiner Brüder von dem
vierhundertjährigen Joche befreit zu sehen. Aber es kann diesen Ausgang nicht
als die eigentliche Lösung der Frage betrachten, die ihm soviele Anstrengungen und
Kosten verursacht hat. Gewährte es, daß seine Regierung diese Abschlagszahlung
als vollständige Lösung der Frage annähme, so würde es diese Regierung mit dem
besten Rechte der Unvorsichtigkeit und des Leichtsinns beschuldigen, es würde ihr
für die Zukunft mißtrauen und in ihr den einzigen Urheber eines abnormen und
gefahrvollen Zustands erblicken."

Auf die Note, in welcher die griechische Regierung den Mächten kundgab, daß
sie sich die Sache besser überlegt habe, als bei Abfassung dieser von Sentimentalität
und Uebertreibung strotzenden Denkschrift, antworteten die Botschafter in Konstan-
tinopel am 20. April mit einer zweiten Collectivnote, welche folgenden Wortlaut
hatte: „Die unterzeichneten außerordentlichen Gesandten und bevollmächtigten Mi¬
nister Dentschlands, Oesterreich-Ungarns, Großbritanniens, Frankreichs, Italiens und
Rußlands haben sich beeilt, ihren Regierungen die Note zu übermitteln, welche an
dieselben in Beantwortung der Mittheilung, welche die Mächte dem Athemlöcher
Cabinet zum Behufe der Lösung der türkisch-griechischen Grenzfrage gemacht hatten,
zu richten Se. Excellenz der Conseilspräsident und Minister der auswärtigen An¬
gelegenheiten Griechenlands ihnen die Ehre erwiesen hat. Die Unterzeichneten haben
soeben von ihren Regierungen die Weisung erhalten, dem Cabinet in Athen nach¬
stehende Mittheilung zu machen. Die vermittelnden Mächte bemerken mit Be¬
friedigung, daß die griechische Regierung, von dem Wunsche beseelt, zur Erhaltung
des Friedens beizutragen und dem Rathe Europas Folge zu leisten, sich bereit er¬
klärt, von dem in der Note vom 7. April bezeichneten Territorium Besitz zu nehmen
und den muselmännischen Bevölkerungen alle nothwendigen Bürgschaften sowohl in
betreff der Freiheit des Cultus als auch in bezug auf die Achtung vor dein Eigen¬
thum zu gewähren. Die vermittelnden Mächte stimmen mit der griechischen Re¬
gierung in dem Gedanken überein, daß ihre Entscheidung rasch und auf friedlichem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/355>, abgerufen am 23.07.2024.