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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Der Ausgang dos türkisch-griechischen GrenMoits,

zwischen Epirus und Thessalien beraubt. Was Epirus betrifft, so hat die türkische
Regierung in richtiger Erkenntniß, daß sie durch die Bestimmungen des Berliner
Vertrags genöthigt ist, auch hier eine Berichtigung der Grenzen vorzunehmen, genug
zu thun gemeint, wenn sie die Stadt Aren abträte. Aber ein einziger Blick auf
die Karte wird hinreichen, um erkennen zu lassen, daß die von der Pforte in Vor¬
schlag gebrachte Linie diese Stadt von ihrer Umgebung willkürlich trennt, und daß
selbst Zaubereien der Bewohner derselben, so zu sagen, als Pfand guten Verhaltens
bei der Türkei verbleiben. Indem die Türken aber Prcvesa behalten, beherrschen
sie den Ambrakischeu Golf, bedrohen sie die Küsten von Akarnanien und Wtos,
welche zum Königreiche Griechenland gehören, und bleiben sie absolute Herren des
Seehandels der benachbarten Provinzen, welche keinen andern Weg zum Meere
haben als eben den Golf von Ambrakia."

Das Promemoria behauptet dann, daß die Pforte die Gegend von Prevesa
nicht durch Eroberung, sondern durch einen am 21. März 1808 mit Rußland ab-
geschlossnen Vertrag besitze und jetzt eigentlich gar kein Recht ans diesen Besitz habe,
"weil sie sich niemals den Bestimmungen jenes Vertrags gemäß verhalten, seine
wichtigsten Verpflichtungen eigenmächtig verletzt und besonders den Artikel 8 des¬
selben unbeachtet gelassen habe, kraft dessen es auch für die Folge Muhammedanern
verboten sein sollte, hier Grundeigenthum zu erwerben." Dann ist von Kreta und
den dortigen Kundgebungen für eine Vereinigung dieser Insel die Rede, welche
die europäische Diplomatie unbeachtet gelassen, und der griechische Minister erklärt,
man habe in Athen jene Kundgebungen weder veranlaßt, noch unterstützt; aber
freilich werde Griechenland "nicht imstande sein, die Schwierigkeiten zu übersehen,
welche ihm durch die Zerstörungen der neuen Hoffnungen der Kreter leicht erwachsen
könnten, noch werde es auf die Dauer bei einem Kampfe gleichgiltig bleiben dürfen,
welchen die gegenwärtige Aufregung dieses Märtyrervolkes voraussichtlich zur Folge
haben werde."

Die Denkschrift des Herrn Kommundurvs schließt hierauf mit folgenden Er¬
klärungen: "Das Maximum, welches die Pforte anbietet, annehmen, heißt von
Griechenland eine Handlung verlangen, die über seine Kräfte hinausgeht, die im
Widersprüche mit seinen nationalen Interessen und den Gefühlen und Anschauungen
seiner Bewohner steht. In wenige Worte zusammengefaßt, ist folgendes die traurige
Sachlage, welche die Annahme der von der Pforte vorgeschlagnen Grenzlinie seitens
Griechenlands für dessen äußere Stellung herbeiführen würde: gänzliche Schwächung
des griechischen Elements auf der Balkanhalbinsel, Lösung des Bnndesbandes, welches
die freien Griechen mit den Griechen in der Türkei verknüpft, Vernichtung jeder
Hoffnung des Hcllenenthnms, unaufhörliche Kämpfe der enterbten Griechen und
fortdauernde Aufregung in der Bevölkerung des Königreichs . . . Nach Annahme
der Entscheidung der Berliner Conferenz glaubte das Königreich Hellas sich vor¬
bereiten zu müssen, im gegebnen Augenblicke imstande zu sein, jenen Beschluß zur
Ausführung zu bringen und in den Besitz der ihm von Europa zuerkannten Gebiets-


Der Ausgang dos türkisch-griechischen GrenMoits,

zwischen Epirus und Thessalien beraubt. Was Epirus betrifft, so hat die türkische
Regierung in richtiger Erkenntniß, daß sie durch die Bestimmungen des Berliner
Vertrags genöthigt ist, auch hier eine Berichtigung der Grenzen vorzunehmen, genug
zu thun gemeint, wenn sie die Stadt Aren abträte. Aber ein einziger Blick auf
die Karte wird hinreichen, um erkennen zu lassen, daß die von der Pforte in Vor¬
schlag gebrachte Linie diese Stadt von ihrer Umgebung willkürlich trennt, und daß
selbst Zaubereien der Bewohner derselben, so zu sagen, als Pfand guten Verhaltens
bei der Türkei verbleiben. Indem die Türken aber Prcvesa behalten, beherrschen
sie den Ambrakischeu Golf, bedrohen sie die Küsten von Akarnanien und Wtos,
welche zum Königreiche Griechenland gehören, und bleiben sie absolute Herren des
Seehandels der benachbarten Provinzen, welche keinen andern Weg zum Meere
haben als eben den Golf von Ambrakia."

Das Promemoria behauptet dann, daß die Pforte die Gegend von Prevesa
nicht durch Eroberung, sondern durch einen am 21. März 1808 mit Rußland ab-
geschlossnen Vertrag besitze und jetzt eigentlich gar kein Recht ans diesen Besitz habe,
„weil sie sich niemals den Bestimmungen jenes Vertrags gemäß verhalten, seine
wichtigsten Verpflichtungen eigenmächtig verletzt und besonders den Artikel 8 des¬
selben unbeachtet gelassen habe, kraft dessen es auch für die Folge Muhammedanern
verboten sein sollte, hier Grundeigenthum zu erwerben." Dann ist von Kreta und
den dortigen Kundgebungen für eine Vereinigung dieser Insel die Rede, welche
die europäische Diplomatie unbeachtet gelassen, und der griechische Minister erklärt,
man habe in Athen jene Kundgebungen weder veranlaßt, noch unterstützt; aber
freilich werde Griechenland „nicht imstande sein, die Schwierigkeiten zu übersehen,
welche ihm durch die Zerstörungen der neuen Hoffnungen der Kreter leicht erwachsen
könnten, noch werde es auf die Dauer bei einem Kampfe gleichgiltig bleiben dürfen,
welchen die gegenwärtige Aufregung dieses Märtyrervolkes voraussichtlich zur Folge
haben werde."

Die Denkschrift des Herrn Kommundurvs schließt hierauf mit folgenden Er¬
klärungen: „Das Maximum, welches die Pforte anbietet, annehmen, heißt von
Griechenland eine Handlung verlangen, die über seine Kräfte hinausgeht, die im
Widersprüche mit seinen nationalen Interessen und den Gefühlen und Anschauungen
seiner Bewohner steht. In wenige Worte zusammengefaßt, ist folgendes die traurige
Sachlage, welche die Annahme der von der Pforte vorgeschlagnen Grenzlinie seitens
Griechenlands für dessen äußere Stellung herbeiführen würde: gänzliche Schwächung
des griechischen Elements auf der Balkanhalbinsel, Lösung des Bnndesbandes, welches
die freien Griechen mit den Griechen in der Türkei verknüpft, Vernichtung jeder
Hoffnung des Hcllenenthnms, unaufhörliche Kämpfe der enterbten Griechen und
fortdauernde Aufregung in der Bevölkerung des Königreichs . . . Nach Annahme
der Entscheidung der Berliner Conferenz glaubte das Königreich Hellas sich vor¬
bereiten zu müssen, im gegebnen Augenblicke imstande zu sein, jenen Beschluß zur
Ausführung zu bringen und in den Besitz der ihm von Europa zuerkannten Gebiets-


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[0354] Der Ausgang dos türkisch-griechischen GrenMoits, zwischen Epirus und Thessalien beraubt. Was Epirus betrifft, so hat die türkische Regierung in richtiger Erkenntniß, daß sie durch die Bestimmungen des Berliner Vertrags genöthigt ist, auch hier eine Berichtigung der Grenzen vorzunehmen, genug zu thun gemeint, wenn sie die Stadt Aren abträte. Aber ein einziger Blick auf die Karte wird hinreichen, um erkennen zu lassen, daß die von der Pforte in Vor¬ schlag gebrachte Linie diese Stadt von ihrer Umgebung willkürlich trennt, und daß selbst Zaubereien der Bewohner derselben, so zu sagen, als Pfand guten Verhaltens bei der Türkei verbleiben. Indem die Türken aber Prcvesa behalten, beherrschen sie den Ambrakischeu Golf, bedrohen sie die Küsten von Akarnanien und Wtos, welche zum Königreiche Griechenland gehören, und bleiben sie absolute Herren des Seehandels der benachbarten Provinzen, welche keinen andern Weg zum Meere haben als eben den Golf von Ambrakia." Das Promemoria behauptet dann, daß die Pforte die Gegend von Prevesa nicht durch Eroberung, sondern durch einen am 21. März 1808 mit Rußland ab- geschlossnen Vertrag besitze und jetzt eigentlich gar kein Recht ans diesen Besitz habe, „weil sie sich niemals den Bestimmungen jenes Vertrags gemäß verhalten, seine wichtigsten Verpflichtungen eigenmächtig verletzt und besonders den Artikel 8 des¬ selben unbeachtet gelassen habe, kraft dessen es auch für die Folge Muhammedanern verboten sein sollte, hier Grundeigenthum zu erwerben." Dann ist von Kreta und den dortigen Kundgebungen für eine Vereinigung dieser Insel die Rede, welche die europäische Diplomatie unbeachtet gelassen, und der griechische Minister erklärt, man habe in Athen jene Kundgebungen weder veranlaßt, noch unterstützt; aber freilich werde Griechenland „nicht imstande sein, die Schwierigkeiten zu übersehen, welche ihm durch die Zerstörungen der neuen Hoffnungen der Kreter leicht erwachsen könnten, noch werde es auf die Dauer bei einem Kampfe gleichgiltig bleiben dürfen, welchen die gegenwärtige Aufregung dieses Märtyrervolkes voraussichtlich zur Folge haben werde." Die Denkschrift des Herrn Kommundurvs schließt hierauf mit folgenden Er¬ klärungen: „Das Maximum, welches die Pforte anbietet, annehmen, heißt von Griechenland eine Handlung verlangen, die über seine Kräfte hinausgeht, die im Widersprüche mit seinen nationalen Interessen und den Gefühlen und Anschauungen seiner Bewohner steht. In wenige Worte zusammengefaßt, ist folgendes die traurige Sachlage, welche die Annahme der von der Pforte vorgeschlagnen Grenzlinie seitens Griechenlands für dessen äußere Stellung herbeiführen würde: gänzliche Schwächung des griechischen Elements auf der Balkanhalbinsel, Lösung des Bnndesbandes, welches die freien Griechen mit den Griechen in der Türkei verknüpft, Vernichtung jeder Hoffnung des Hcllenenthnms, unaufhörliche Kämpfe der enterbten Griechen und fortdauernde Aufregung in der Bevölkerung des Königreichs . . . Nach Annahme der Entscheidung der Berliner Conferenz glaubte das Königreich Hellas sich vor¬ bereiten zu müssen, im gegebnen Augenblicke imstande zu sein, jenen Beschluß zur Ausführung zu bringen und in den Besitz der ihm von Europa zuerkannten Gebiets-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/354>, abgerufen am 23.07.2024.