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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Die Düsseldorfer Schule.

welcher die Bedeutung der Staffage für die Landschaft in einer völlig neuen
Weise auffaßte. Indem er aufhörte, die Figuren nach der Art der ältern Land¬
schaftsmaler flüchtig zu skizziren, setzte er sie in innige Beziehung zu ihrer land¬
schaftlichen Umgebung, so daß diese oft einen erläuternden Commentar zu dein
durch die Figuren versinnlichten Vorgange bildete. Wir erinnern nur an zwei
Beispiele: an die Landschaft mit dem getödteten Krieger (in Frankfurt a. M.)
und an das herrliche Bild mit dein brennenden Kloster und den abziehenden
Mönchen (in der Dresdener Galerie). Eine ähnlich bedeutsame Rolle spielen
die Figuren auf den Gemälden Andreas Achenbachs, ebenso wie seines Bruders
Oswald, der dieselben formalen Elemente von seinem Bruder und Lehrer über¬
nahm. Romantische Geheimnisse haben uns freilich die Figuren des energischen
Realisten nicht zu verrathen. Es sind Gestalten aus dem Leben herausgerissen,
nicht in dasselbe hincingediftelt: Küstenbewohner, die ihren harten Kampf init
dem Meere bestehen, Fischer, die bei herannahendem Sturme ihre Schaluppe und
ihre Netze bergen, Lootsen, die einem bedrängten Schiffe zu Hilfe kommen, wetter¬
erprobte Männer, die ihre Dämme vor dem Anprall der Wogen sichern, Leute,
die ein Fahrzeug ausladen u. tgi. in. Oft sind die Figuren zu einer hochdrama¬
tischen Action vereinigt, zu einem Kampfe um Leben und Tod, wie z. B. auf
der prachtvollen Schilderung des Sturms und der Ueberschwemmung am Nieder-
rhein im Jahre 1876. Ein andermal geben sie ihren episodischen Charakter
ganz auf, treten so stark in den Vordergrund und dehnen sich in solcher Zahl
über das ganze Bild aus, daß sich die Grenze zwischen Landschaft und Genre
verwischt. Ein Beispiel für diese letztere Gattung ist der "Fischmarkt in Ostende,"
ein Motiv also aus einer Oertlichkeit, die mit Scheveningen in den letzten Jahren
der Schauplatz von Achenbachs glorreichsten Thaten gewesen ist. Verweilen wir
einen Augenblick bei diesem letztem Bilde.

Die großen Fischerboote sind eben eingetroffen. Sie legen am Quai an,
und ihre Mannschaften machen sich daran, die Ladung ans Land zu schaffen,
wo sich bereits ein reges Leben entfaltet hat. Auf den Steinplatten liegen die
Meeresbewohner ausgebreitet, der Käufer harrend. Es ist noch früh, und der
eigentliche Verkauf hat noch nicht begonnen. Desto lebhafter discuriren die
Marktweiber, die Fischer und die Bootsleute mit einander. Alles ist eitel Be¬
wegung und Leben. Alle diese Figuren, dieses Menschengewoge, dieses Kommen
und Gehen trägt den Stempel treuester Naturbeobachtung, unübertrefflicher Wahr¬
heit an sich. Und nun denke man sich dazu die schäumenden Wellen, welche an
die Quadern klatschen, die Boote heben und gegen den Quai drängen, den blaß-
blauen Himmel, an dem sich unter der frischen Brise weiße Wolken jagen, den
bläulichen Rauch, der aus den Essen steigt und sich mit ausspritzenden Gischt


Die Düsseldorfer Schule.

welcher die Bedeutung der Staffage für die Landschaft in einer völlig neuen
Weise auffaßte. Indem er aufhörte, die Figuren nach der Art der ältern Land¬
schaftsmaler flüchtig zu skizziren, setzte er sie in innige Beziehung zu ihrer land¬
schaftlichen Umgebung, so daß diese oft einen erläuternden Commentar zu dein
durch die Figuren versinnlichten Vorgange bildete. Wir erinnern nur an zwei
Beispiele: an die Landschaft mit dem getödteten Krieger (in Frankfurt a. M.)
und an das herrliche Bild mit dein brennenden Kloster und den abziehenden
Mönchen (in der Dresdener Galerie). Eine ähnlich bedeutsame Rolle spielen
die Figuren auf den Gemälden Andreas Achenbachs, ebenso wie seines Bruders
Oswald, der dieselben formalen Elemente von seinem Bruder und Lehrer über¬
nahm. Romantische Geheimnisse haben uns freilich die Figuren des energischen
Realisten nicht zu verrathen. Es sind Gestalten aus dem Leben herausgerissen,
nicht in dasselbe hincingediftelt: Küstenbewohner, die ihren harten Kampf init
dem Meere bestehen, Fischer, die bei herannahendem Sturme ihre Schaluppe und
ihre Netze bergen, Lootsen, die einem bedrängten Schiffe zu Hilfe kommen, wetter¬
erprobte Männer, die ihre Dämme vor dem Anprall der Wogen sichern, Leute,
die ein Fahrzeug ausladen u. tgi. in. Oft sind die Figuren zu einer hochdrama¬
tischen Action vereinigt, zu einem Kampfe um Leben und Tod, wie z. B. auf
der prachtvollen Schilderung des Sturms und der Ueberschwemmung am Nieder-
rhein im Jahre 1876. Ein andermal geben sie ihren episodischen Charakter
ganz auf, treten so stark in den Vordergrund und dehnen sich in solcher Zahl
über das ganze Bild aus, daß sich die Grenze zwischen Landschaft und Genre
verwischt. Ein Beispiel für diese letztere Gattung ist der „Fischmarkt in Ostende,"
ein Motiv also aus einer Oertlichkeit, die mit Scheveningen in den letzten Jahren
der Schauplatz von Achenbachs glorreichsten Thaten gewesen ist. Verweilen wir
einen Augenblick bei diesem letztem Bilde.

Die großen Fischerboote sind eben eingetroffen. Sie legen am Quai an,
und ihre Mannschaften machen sich daran, die Ladung ans Land zu schaffen,
wo sich bereits ein reges Leben entfaltet hat. Auf den Steinplatten liegen die
Meeresbewohner ausgebreitet, der Käufer harrend. Es ist noch früh, und der
eigentliche Verkauf hat noch nicht begonnen. Desto lebhafter discuriren die
Marktweiber, die Fischer und die Bootsleute mit einander. Alles ist eitel Be¬
wegung und Leben. Alle diese Figuren, dieses Menschengewoge, dieses Kommen
und Gehen trägt den Stempel treuester Naturbeobachtung, unübertrefflicher Wahr¬
heit an sich. Und nun denke man sich dazu die schäumenden Wellen, welche an
die Quadern klatschen, die Boote heben und gegen den Quai drängen, den blaß-
blauen Himmel, an dem sich unter der frischen Brise weiße Wolken jagen, den
bläulichen Rauch, der aus den Essen steigt und sich mit ausspritzenden Gischt


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[0336] Die Düsseldorfer Schule. welcher die Bedeutung der Staffage für die Landschaft in einer völlig neuen Weise auffaßte. Indem er aufhörte, die Figuren nach der Art der ältern Land¬ schaftsmaler flüchtig zu skizziren, setzte er sie in innige Beziehung zu ihrer land¬ schaftlichen Umgebung, so daß diese oft einen erläuternden Commentar zu dein durch die Figuren versinnlichten Vorgange bildete. Wir erinnern nur an zwei Beispiele: an die Landschaft mit dem getödteten Krieger (in Frankfurt a. M.) und an das herrliche Bild mit dein brennenden Kloster und den abziehenden Mönchen (in der Dresdener Galerie). Eine ähnlich bedeutsame Rolle spielen die Figuren auf den Gemälden Andreas Achenbachs, ebenso wie seines Bruders Oswald, der dieselben formalen Elemente von seinem Bruder und Lehrer über¬ nahm. Romantische Geheimnisse haben uns freilich die Figuren des energischen Realisten nicht zu verrathen. Es sind Gestalten aus dem Leben herausgerissen, nicht in dasselbe hincingediftelt: Küstenbewohner, die ihren harten Kampf init dem Meere bestehen, Fischer, die bei herannahendem Sturme ihre Schaluppe und ihre Netze bergen, Lootsen, die einem bedrängten Schiffe zu Hilfe kommen, wetter¬ erprobte Männer, die ihre Dämme vor dem Anprall der Wogen sichern, Leute, die ein Fahrzeug ausladen u. tgi. in. Oft sind die Figuren zu einer hochdrama¬ tischen Action vereinigt, zu einem Kampfe um Leben und Tod, wie z. B. auf der prachtvollen Schilderung des Sturms und der Ueberschwemmung am Nieder- rhein im Jahre 1876. Ein andermal geben sie ihren episodischen Charakter ganz auf, treten so stark in den Vordergrund und dehnen sich in solcher Zahl über das ganze Bild aus, daß sich die Grenze zwischen Landschaft und Genre verwischt. Ein Beispiel für diese letztere Gattung ist der „Fischmarkt in Ostende," ein Motiv also aus einer Oertlichkeit, die mit Scheveningen in den letzten Jahren der Schauplatz von Achenbachs glorreichsten Thaten gewesen ist. Verweilen wir einen Augenblick bei diesem letztem Bilde. Die großen Fischerboote sind eben eingetroffen. Sie legen am Quai an, und ihre Mannschaften machen sich daran, die Ladung ans Land zu schaffen, wo sich bereits ein reges Leben entfaltet hat. Auf den Steinplatten liegen die Meeresbewohner ausgebreitet, der Käufer harrend. Es ist noch früh, und der eigentliche Verkauf hat noch nicht begonnen. Desto lebhafter discuriren die Marktweiber, die Fischer und die Bootsleute mit einander. Alles ist eitel Be¬ wegung und Leben. Alle diese Figuren, dieses Menschengewoge, dieses Kommen und Gehen trägt den Stempel treuester Naturbeobachtung, unübertrefflicher Wahr¬ heit an sich. Und nun denke man sich dazu die schäumenden Wellen, welche an die Quadern klatschen, die Boote heben und gegen den Quai drängen, den blaß- blauen Himmel, an dem sich unter der frischen Brise weiße Wolken jagen, den bläulichen Rauch, der aus den Essen steigt und sich mit ausspritzenden Gischt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/336>, abgerufen am 23.07.2024.