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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Lalderon,

Gäste mischt und ihm düstere Worte von seinem Ende zuraunt. Die Beziehung
zum Sacrament geben die Tempelgcfäße, deren Entweihung dem König das Leben
kostet, und am Schlüsse läßt Daniel Kelch und Hostie auf einem zum Altar ver¬
wandelten Tische erscheinen, vor dem die Idolatrie sich anbetend niederwirft.

An Stelle weiterer Inhaltsangaben, die doch nur vou fern eine Vorstellung
von der Eigenart dieser Stücke erwecken könnten, möge die ebenso getreue wie
poetische Charakteristik, welche Schack in seinem schönen Werke giebt*), hier Platz
finden: "Von der Dämmernacht an, die den Ursprung aller Dinge verhüllt,
sehen wir den Zug der Völker durch die aufblühenden und hinwelkenden Ge¬
schlechter der Menschen hindurch jenem Sterne folgen, der die Weisen aus dem
Morgenlande leitete, und der Stelle der Verheißung entgegenpilgern; nach vor¬
wärts aber liegt, vom Glänze der Erlösung und Versöhnung überstrahlt, die
Zukunft mit ihren noch ungebornen Generationen. Und der heilige Dichter
weist rings umher ins Grenzenlose, durch die Schranken der Zeit in die Ewig¬
keit hinaus, zeigt die Beziehungen alles Geschaffnen und Ungeschliffnen zu dein
Symbol der Gnade und wie alle Völker andachtsvoll zu ihm emporschauen; das
Weltall in seiner tausendfachen Erscheinung wird mit dem Chöre aller seiner
Stimmen ein Psalm zum Preise des wunderbaren Herrlichen; Himmel und Erde
legen ihre Gaben vor ihm nieder, die Sterne, ,die nie welkenden Blumen des
Himmels', und die Blüthen, ,die vergänglichen Sterne der Erde', müssen ihm
huldigen; der Tag und die Nacht, das Licht und die Finsterniß liegen anbetend
vor ihm im Staube, und der Menschengeist öffnet seine verborgensten Schachte,
um alle seine Gedanken und Gefühle in der Anschauung des Unendlichen zu
verklären."

Von dem unermeßlichen Reichthum der Calderonschen Muse wird die vor¬
stehende Besprechung seiner Werke, wiewohl sich dieselbe auf das Nothwendigste
beschränken mußte, immerhin eine Anschauung erweckt haben. Das ganze Reich
des Irdischen und Ucberirdischen umfaßt sein gewaltiger Genius, die erhabensten
und kühnsten Flüge wagt seine Phantasie, ohne darum den Boden der Wirk¬
lichkeit zu verlieren, an dem sie vielmehr, ein Antäus, immer von neuem ihre
Kraft verjüngt. Die ganze Scala dessen, was Menschenbrust bewegt, ist dem
tiefblickenden Meister geläufig, für die zartesten Regungen der Seele wie für die
düstersten Abgründe der Leidenschaft stehen ihm tausendfache Töne zu Gebote.
Aber nicht nur dem Genie des Dichters gebührt Bewunderung, sondern in gleichem
Maße dem eminenten Fleiße, der großartigen Energie, mit der er unausgesetzt
sein künstlerisches Ideal verfolgte. Daß Calderon aufs klarste die Ziele erkannte,



") III, 2S3 s.
Lalderon,

Gäste mischt und ihm düstere Worte von seinem Ende zuraunt. Die Beziehung
zum Sacrament geben die Tempelgcfäße, deren Entweihung dem König das Leben
kostet, und am Schlüsse läßt Daniel Kelch und Hostie auf einem zum Altar ver¬
wandelten Tische erscheinen, vor dem die Idolatrie sich anbetend niederwirft.

An Stelle weiterer Inhaltsangaben, die doch nur vou fern eine Vorstellung
von der Eigenart dieser Stücke erwecken könnten, möge die ebenso getreue wie
poetische Charakteristik, welche Schack in seinem schönen Werke giebt*), hier Platz
finden: „Von der Dämmernacht an, die den Ursprung aller Dinge verhüllt,
sehen wir den Zug der Völker durch die aufblühenden und hinwelkenden Ge¬
schlechter der Menschen hindurch jenem Sterne folgen, der die Weisen aus dem
Morgenlande leitete, und der Stelle der Verheißung entgegenpilgern; nach vor¬
wärts aber liegt, vom Glänze der Erlösung und Versöhnung überstrahlt, die
Zukunft mit ihren noch ungebornen Generationen. Und der heilige Dichter
weist rings umher ins Grenzenlose, durch die Schranken der Zeit in die Ewig¬
keit hinaus, zeigt die Beziehungen alles Geschaffnen und Ungeschliffnen zu dein
Symbol der Gnade und wie alle Völker andachtsvoll zu ihm emporschauen; das
Weltall in seiner tausendfachen Erscheinung wird mit dem Chöre aller seiner
Stimmen ein Psalm zum Preise des wunderbaren Herrlichen; Himmel und Erde
legen ihre Gaben vor ihm nieder, die Sterne, ,die nie welkenden Blumen des
Himmels', und die Blüthen, ,die vergänglichen Sterne der Erde', müssen ihm
huldigen; der Tag und die Nacht, das Licht und die Finsterniß liegen anbetend
vor ihm im Staube, und der Menschengeist öffnet seine verborgensten Schachte,
um alle seine Gedanken und Gefühle in der Anschauung des Unendlichen zu
verklären."

Von dem unermeßlichen Reichthum der Calderonschen Muse wird die vor¬
stehende Besprechung seiner Werke, wiewohl sich dieselbe auf das Nothwendigste
beschränken mußte, immerhin eine Anschauung erweckt haben. Das ganze Reich
des Irdischen und Ucberirdischen umfaßt sein gewaltiger Genius, die erhabensten
und kühnsten Flüge wagt seine Phantasie, ohne darum den Boden der Wirk¬
lichkeit zu verlieren, an dem sie vielmehr, ein Antäus, immer von neuem ihre
Kraft verjüngt. Die ganze Scala dessen, was Menschenbrust bewegt, ist dem
tiefblickenden Meister geläufig, für die zartesten Regungen der Seele wie für die
düstersten Abgründe der Leidenschaft stehen ihm tausendfache Töne zu Gebote.
Aber nicht nur dem Genie des Dichters gebührt Bewunderung, sondern in gleichem
Maße dem eminenten Fleiße, der großartigen Energie, mit der er unausgesetzt
sein künstlerisches Ideal verfolgte. Daß Calderon aufs klarste die Ziele erkannte,



«) III, 2S3 s.
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[0323] Lalderon, Gäste mischt und ihm düstere Worte von seinem Ende zuraunt. Die Beziehung zum Sacrament geben die Tempelgcfäße, deren Entweihung dem König das Leben kostet, und am Schlüsse läßt Daniel Kelch und Hostie auf einem zum Altar ver¬ wandelten Tische erscheinen, vor dem die Idolatrie sich anbetend niederwirft. An Stelle weiterer Inhaltsangaben, die doch nur vou fern eine Vorstellung von der Eigenart dieser Stücke erwecken könnten, möge die ebenso getreue wie poetische Charakteristik, welche Schack in seinem schönen Werke giebt*), hier Platz finden: „Von der Dämmernacht an, die den Ursprung aller Dinge verhüllt, sehen wir den Zug der Völker durch die aufblühenden und hinwelkenden Ge¬ schlechter der Menschen hindurch jenem Sterne folgen, der die Weisen aus dem Morgenlande leitete, und der Stelle der Verheißung entgegenpilgern; nach vor¬ wärts aber liegt, vom Glänze der Erlösung und Versöhnung überstrahlt, die Zukunft mit ihren noch ungebornen Generationen. Und der heilige Dichter weist rings umher ins Grenzenlose, durch die Schranken der Zeit in die Ewig¬ keit hinaus, zeigt die Beziehungen alles Geschaffnen und Ungeschliffnen zu dein Symbol der Gnade und wie alle Völker andachtsvoll zu ihm emporschauen; das Weltall in seiner tausendfachen Erscheinung wird mit dem Chöre aller seiner Stimmen ein Psalm zum Preise des wunderbaren Herrlichen; Himmel und Erde legen ihre Gaben vor ihm nieder, die Sterne, ,die nie welkenden Blumen des Himmels', und die Blüthen, ,die vergänglichen Sterne der Erde', müssen ihm huldigen; der Tag und die Nacht, das Licht und die Finsterniß liegen anbetend vor ihm im Staube, und der Menschengeist öffnet seine verborgensten Schachte, um alle seine Gedanken und Gefühle in der Anschauung des Unendlichen zu verklären." Von dem unermeßlichen Reichthum der Calderonschen Muse wird die vor¬ stehende Besprechung seiner Werke, wiewohl sich dieselbe auf das Nothwendigste beschränken mußte, immerhin eine Anschauung erweckt haben. Das ganze Reich des Irdischen und Ucberirdischen umfaßt sein gewaltiger Genius, die erhabensten und kühnsten Flüge wagt seine Phantasie, ohne darum den Boden der Wirk¬ lichkeit zu verlieren, an dem sie vielmehr, ein Antäus, immer von neuem ihre Kraft verjüngt. Die ganze Scala dessen, was Menschenbrust bewegt, ist dem tiefblickenden Meister geläufig, für die zartesten Regungen der Seele wie für die düstersten Abgründe der Leidenschaft stehen ihm tausendfache Töne zu Gebote. Aber nicht nur dem Genie des Dichters gebührt Bewunderung, sondern in gleichem Maße dem eminenten Fleiße, der großartigen Energie, mit der er unausgesetzt sein künstlerisches Ideal verfolgte. Daß Calderon aufs klarste die Ziele erkannte, «) III, 2S3 s.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/323>, abgerufen am 23.07.2024.