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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Fürst Z?ismavck und Berlin,

mißlichen politischen Zuständen in Berlin, wenn der Reichskanzler sich veranlaßt
sah, in offener Sitzung des Reichstags jene Verwarnung auszusprechen. Er
muß es als eine hochwichtige Angelegenheit erkennen, die Tyrannei des Fort-
schrittSrings in der Reichshauptstadt zu brechen, , . Fürst Bismarck sieht offenbar
schwere Gefahren für den Staat herankommen, wenn nicht die soeinle Frage
helfend und leitend von einer mächtigen Regierung, seiner Regierung, in die
Hand genommen wird. Er hat sich offen als Anwalt des kleinen Mannes pro-
clamirt und proclamiren lassen. Wenn er diese Rolle durchführen will, so muß
zuerst die Macht der Minkeladvoeaten des Volks' (wir fügen hinzu, auch die
der herzlosen Manchesternen, denen der Geringe und Arme nur Gegenstand der
Ausnutzung ist) am Hauptsitz derselben gestürzt werden." Und die "Schlesische
Zeitung" bemerkt: "Alle politischen Gründe, welche von fortschrittlicher und secessio-
nistischer Seite unter Hinweis ans die Verlegung der französischen Kammern von
Versailles nach Paris gegen diesen Gedanken geltend gemacht werden, sprechen
in unsern Augen entschieden für denselben, da die Parlamente von localen Partei-
strömnngen möglichst unberührt bleiben sollen."

Wir theilen die hier geäußerten Ansichten, halten aber die betreffenden Aeuße¬
rungen des Kanzlers auf die Gefahr hin, den wohlfeilen Späßen der jüdischen Fort¬
schrittsharlekine zu verfallen, nicht für eine bloße "Verwarnung." sondern für
einen in der Entwicklung begriffnen, dem Uebergange zum Beschlusse, dem Reifen
zur That nahen Gedanken des Fürsten Bismarck. Vieles empfiehlt ihn, wenig
steht ihm im Wege. Der Kaiser kann den Reichstag berufen, wohin er will:
denn in der Verfassung ist nichts über den Ort bestimmt, wo er zu tagen hat.
Die alten Kaiser Deutschlands hatten keine Reichshauptstadt, sie versammelten
die Vertreter des Reiches, Fürsten und Stände, wo es ihnen gerade paßte, bald
im Norden, bald im Süden oder Westen. Bei Bedrohungen vom Westen her
wäre es heutzutage indicirt, daß der Reichstag in Berlin oder Breslau zusammen¬
träte, während er bei Unruhen im Osten nach einer rheinischen, bairischen oder
hessischen Stadt, etwa nach Köln, Nürnberg, Augsburg oder Kassel berufen werden
sollte. Auch gegen Hannover und Hamburg würde unter Umständen nichts ein¬
zuwenden sein. Die Herren Reichsboten würden an allen diesen Orten sehr günstig
aufgenommen werden, "ut es würde ihnen daraus überdies der Vortheil er¬
wachsen, daß sie mit andern Sphären der Nation, andern Leuten, andern Ver¬
hältnissen in Berührung kommen, anders beeinflußt werden würden als bisher
in Berlin. "Der Berliner ist so wenig mit dem Deutschen zu verwechseln wie
der Pariser mit dem Franzosen; es sind hier wie dort, so zu sagen, zwei ganz
verschiedne Nationen."

Auch sonst sprechen Gründe und die als noch viel wichtigere Gründe bis


Fürst Z?ismavck und Berlin,

mißlichen politischen Zuständen in Berlin, wenn der Reichskanzler sich veranlaßt
sah, in offener Sitzung des Reichstags jene Verwarnung auszusprechen. Er
muß es als eine hochwichtige Angelegenheit erkennen, die Tyrannei des Fort-
schrittSrings in der Reichshauptstadt zu brechen, , . Fürst Bismarck sieht offenbar
schwere Gefahren für den Staat herankommen, wenn nicht die soeinle Frage
helfend und leitend von einer mächtigen Regierung, seiner Regierung, in die
Hand genommen wird. Er hat sich offen als Anwalt des kleinen Mannes pro-
clamirt und proclamiren lassen. Wenn er diese Rolle durchführen will, so muß
zuerst die Macht der Minkeladvoeaten des Volks' (wir fügen hinzu, auch die
der herzlosen Manchesternen, denen der Geringe und Arme nur Gegenstand der
Ausnutzung ist) am Hauptsitz derselben gestürzt werden." Und die „Schlesische
Zeitung" bemerkt: „Alle politischen Gründe, welche von fortschrittlicher und secessio-
nistischer Seite unter Hinweis ans die Verlegung der französischen Kammern von
Versailles nach Paris gegen diesen Gedanken geltend gemacht werden, sprechen
in unsern Augen entschieden für denselben, da die Parlamente von localen Partei-
strömnngen möglichst unberührt bleiben sollen."

Wir theilen die hier geäußerten Ansichten, halten aber die betreffenden Aeuße¬
rungen des Kanzlers auf die Gefahr hin, den wohlfeilen Späßen der jüdischen Fort¬
schrittsharlekine zu verfallen, nicht für eine bloße „Verwarnung." sondern für
einen in der Entwicklung begriffnen, dem Uebergange zum Beschlusse, dem Reifen
zur That nahen Gedanken des Fürsten Bismarck. Vieles empfiehlt ihn, wenig
steht ihm im Wege. Der Kaiser kann den Reichstag berufen, wohin er will:
denn in der Verfassung ist nichts über den Ort bestimmt, wo er zu tagen hat.
Die alten Kaiser Deutschlands hatten keine Reichshauptstadt, sie versammelten
die Vertreter des Reiches, Fürsten und Stände, wo es ihnen gerade paßte, bald
im Norden, bald im Süden oder Westen. Bei Bedrohungen vom Westen her
wäre es heutzutage indicirt, daß der Reichstag in Berlin oder Breslau zusammen¬
träte, während er bei Unruhen im Osten nach einer rheinischen, bairischen oder
hessischen Stadt, etwa nach Köln, Nürnberg, Augsburg oder Kassel berufen werden
sollte. Auch gegen Hannover und Hamburg würde unter Umständen nichts ein¬
zuwenden sein. Die Herren Reichsboten würden an allen diesen Orten sehr günstig
aufgenommen werden, »ut es würde ihnen daraus überdies der Vortheil er¬
wachsen, daß sie mit andern Sphären der Nation, andern Leuten, andern Ver¬
hältnissen in Berührung kommen, anders beeinflußt werden würden als bisher
in Berlin. „Der Berliner ist so wenig mit dem Deutschen zu verwechseln wie
der Pariser mit dem Franzosen; es sind hier wie dort, so zu sagen, zwei ganz
verschiedne Nationen."

Auch sonst sprechen Gründe und die als noch viel wichtigere Gründe bis


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[0298] Fürst Z?ismavck und Berlin, mißlichen politischen Zuständen in Berlin, wenn der Reichskanzler sich veranlaßt sah, in offener Sitzung des Reichstags jene Verwarnung auszusprechen. Er muß es als eine hochwichtige Angelegenheit erkennen, die Tyrannei des Fort- schrittSrings in der Reichshauptstadt zu brechen, , . Fürst Bismarck sieht offenbar schwere Gefahren für den Staat herankommen, wenn nicht die soeinle Frage helfend und leitend von einer mächtigen Regierung, seiner Regierung, in die Hand genommen wird. Er hat sich offen als Anwalt des kleinen Mannes pro- clamirt und proclamiren lassen. Wenn er diese Rolle durchführen will, so muß zuerst die Macht der Minkeladvoeaten des Volks' (wir fügen hinzu, auch die der herzlosen Manchesternen, denen der Geringe und Arme nur Gegenstand der Ausnutzung ist) am Hauptsitz derselben gestürzt werden." Und die „Schlesische Zeitung" bemerkt: „Alle politischen Gründe, welche von fortschrittlicher und secessio- nistischer Seite unter Hinweis ans die Verlegung der französischen Kammern von Versailles nach Paris gegen diesen Gedanken geltend gemacht werden, sprechen in unsern Augen entschieden für denselben, da die Parlamente von localen Partei- strömnngen möglichst unberührt bleiben sollen." Wir theilen die hier geäußerten Ansichten, halten aber die betreffenden Aeuße¬ rungen des Kanzlers auf die Gefahr hin, den wohlfeilen Späßen der jüdischen Fort¬ schrittsharlekine zu verfallen, nicht für eine bloße „Verwarnung." sondern für einen in der Entwicklung begriffnen, dem Uebergange zum Beschlusse, dem Reifen zur That nahen Gedanken des Fürsten Bismarck. Vieles empfiehlt ihn, wenig steht ihm im Wege. Der Kaiser kann den Reichstag berufen, wohin er will: denn in der Verfassung ist nichts über den Ort bestimmt, wo er zu tagen hat. Die alten Kaiser Deutschlands hatten keine Reichshauptstadt, sie versammelten die Vertreter des Reiches, Fürsten und Stände, wo es ihnen gerade paßte, bald im Norden, bald im Süden oder Westen. Bei Bedrohungen vom Westen her wäre es heutzutage indicirt, daß der Reichstag in Berlin oder Breslau zusammen¬ träte, während er bei Unruhen im Osten nach einer rheinischen, bairischen oder hessischen Stadt, etwa nach Köln, Nürnberg, Augsburg oder Kassel berufen werden sollte. Auch gegen Hannover und Hamburg würde unter Umständen nichts ein¬ zuwenden sein. Die Herren Reichsboten würden an allen diesen Orten sehr günstig aufgenommen werden, »ut es würde ihnen daraus überdies der Vortheil er¬ wachsen, daß sie mit andern Sphären der Nation, andern Leuten, andern Ver¬ hältnissen in Berührung kommen, anders beeinflußt werden würden als bisher in Berlin. „Der Berliner ist so wenig mit dem Deutschen zu verwechseln wie der Pariser mit dem Franzosen; es sind hier wie dort, so zu sagen, zwei ganz verschiedne Nationen." Auch sonst sprechen Gründe und die als noch viel wichtigere Gründe bis

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/298>, abgerufen am 23.07.2024.