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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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ihr fortwährend beeinflußte und ihr mittelbar oder unmittelbar verantwortliche
Gemcinderegierung unter allen Umständen auszuüben bestrebt sein wird. Wir
denken dabei nicht allein, aber allerdings vorzugsweise an Berlin mit seinem
großen, vielgegliederten demokratischen Fortschrittsklüngel, dessen schädlicher Einfluß
ans die Stadtverwaltung vergeblich abzuleugnen versucht worden ist, und wir
stehen nicht an, es als einen Mißgriff zu bezeichnen, daß der letzte Minister des
Innern, Graf Eulenburg der Zweite, dem Stadtregimente, dessen oberster Vor¬
stand ihm befreundet war, so viel Rechte eingeräumt hat.

Der Kanzler soll dies ebenso aufgefaßt haben und überhaupt mit der Rich¬
tung der Politik des Grafen gegenüber den großen Städten in vielen Punkten
nicht einverstanden gewesen sei", und der König soll diese Abneigung vor dem
Verfahren des Grafen, der ursprünglich conservativ war, aber bei seinem Be¬
dürfniß nach Beifall und Popularität allmählich fortschrittlichen Zumuthungen
sich fügen zu müssen meinte, getheilt haben. Man darf darin einen der Gründe
-- vielleicht den wichtigsten -- erblicken, welche zum Rücktritte des Grafen Eulen¬
burg führten. Der Vorgang, der am 19. Februar im Herrenhause stattfand,
wurde, wenn wir recht unterrichtet sind, nur als günstige Gelegenheit benutzt,
um sich aus einer der monarchischen Denkart des Königs gegenüber unbequemen
und zuletzt unhaltbar gewordnen Stellung zurückzuziehen.

Wir dürfen uns die Meinungsverschiedenheiten, die hier in Frage standen,
ungefähr folgendermaßen vorstellen. Der Reichskanzler wünschte hinsichtlich der
Kreis- und Prvvinzialordnung vor deren Abschluß nochmalige Prüfung und teil¬
weise Abänderung, Graf Eulenburg dagegen hatte Eile mit der Sache und wollte
rasch den Rahmen vollendet sehen, der sür alle Provinzen bestimmt war, er
war zu diesem Zwecke bereit, deu Liberalen im Abgeordnetenhause weitgehende
Zugeständnisse zu machen, die der Fürst Bismnrck für gefährlich hielt, und denen
er deshalb seine Unterschrift versagt haben würde, wenn dieselbe von ihm ver¬
langt worden wäre. Andrerseits mißfiel dem Könige an der Eulenburgscheu
Politik der Verlust an monarchischen Rechten und die Zerbröckelung der Staats¬
gewalt in Gemeindebrocken, welche diese Politik involoirte. Zunächst trat dieses
Mißbehagen, wie mau sagt, in Bezug auf den Berliner Polizeipräsidenten an
den Tag, dessen Autorität durch den Umstand, daß neuerdings der Minister des
Innern über Angelegenheiten der Stadtverwaltung, Herrn v. Madai bei Seite
lassend, direct mit dem Oberbürgermeister sich verständigt hatte, dermaßen ge¬
schmälert worden war, daß er die Verantwortlichkeit für die Ordnung dem Könige
gegenüber nicht wohl mehr zu tragen vermochte.

Es ist kaum übertrieben, wenn neulich die "Deutsche Revue" behauptete, das
Stadtregiment von Berlin regiere infolge jener Concessionen absoluter als irgend


ihr fortwährend beeinflußte und ihr mittelbar oder unmittelbar verantwortliche
Gemcinderegierung unter allen Umständen auszuüben bestrebt sein wird. Wir
denken dabei nicht allein, aber allerdings vorzugsweise an Berlin mit seinem
großen, vielgegliederten demokratischen Fortschrittsklüngel, dessen schädlicher Einfluß
ans die Stadtverwaltung vergeblich abzuleugnen versucht worden ist, und wir
stehen nicht an, es als einen Mißgriff zu bezeichnen, daß der letzte Minister des
Innern, Graf Eulenburg der Zweite, dem Stadtregimente, dessen oberster Vor¬
stand ihm befreundet war, so viel Rechte eingeräumt hat.

Der Kanzler soll dies ebenso aufgefaßt haben und überhaupt mit der Rich¬
tung der Politik des Grafen gegenüber den großen Städten in vielen Punkten
nicht einverstanden gewesen sei», und der König soll diese Abneigung vor dem
Verfahren des Grafen, der ursprünglich conservativ war, aber bei seinem Be¬
dürfniß nach Beifall und Popularität allmählich fortschrittlichen Zumuthungen
sich fügen zu müssen meinte, getheilt haben. Man darf darin einen der Gründe
— vielleicht den wichtigsten — erblicken, welche zum Rücktritte des Grafen Eulen¬
burg führten. Der Vorgang, der am 19. Februar im Herrenhause stattfand,
wurde, wenn wir recht unterrichtet sind, nur als günstige Gelegenheit benutzt,
um sich aus einer der monarchischen Denkart des Königs gegenüber unbequemen
und zuletzt unhaltbar gewordnen Stellung zurückzuziehen.

Wir dürfen uns die Meinungsverschiedenheiten, die hier in Frage standen,
ungefähr folgendermaßen vorstellen. Der Reichskanzler wünschte hinsichtlich der
Kreis- und Prvvinzialordnung vor deren Abschluß nochmalige Prüfung und teil¬
weise Abänderung, Graf Eulenburg dagegen hatte Eile mit der Sache und wollte
rasch den Rahmen vollendet sehen, der sür alle Provinzen bestimmt war, er
war zu diesem Zwecke bereit, deu Liberalen im Abgeordnetenhause weitgehende
Zugeständnisse zu machen, die der Fürst Bismnrck für gefährlich hielt, und denen
er deshalb seine Unterschrift versagt haben würde, wenn dieselbe von ihm ver¬
langt worden wäre. Andrerseits mißfiel dem Könige an der Eulenburgscheu
Politik der Verlust an monarchischen Rechten und die Zerbröckelung der Staats¬
gewalt in Gemeindebrocken, welche diese Politik involoirte. Zunächst trat dieses
Mißbehagen, wie mau sagt, in Bezug auf den Berliner Polizeipräsidenten an
den Tag, dessen Autorität durch den Umstand, daß neuerdings der Minister des
Innern über Angelegenheiten der Stadtverwaltung, Herrn v. Madai bei Seite
lassend, direct mit dem Oberbürgermeister sich verständigt hatte, dermaßen ge¬
schmälert worden war, daß er die Verantwortlichkeit für die Ordnung dem Könige
gegenüber nicht wohl mehr zu tragen vermochte.

Es ist kaum übertrieben, wenn neulich die „Deutsche Revue" behauptete, das
Stadtregiment von Berlin regiere infolge jener Concessionen absoluter als irgend


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/295>, abgerufen am 23.07.2024.