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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Zur Charakteristik Karls XU. von Schweden.

einzelnen hier hervorzuheben, in wie vielen Punkten Sarauw von den bekannten,
viel gelesnen Darstellungen Lundblads und Fryxells abweicht und worin seine
Darstellung Fortschritte gemacht hat. Nur darauf wollen wir uns beschränken,
darzulegen, in welcher Weise Sarauw die kriegerische Thätigkeit Karls aufgefaßt
wissen will.

Sarauw erklärt die Feldzüge Karls XII. für nichts andres als Versuche,
init gewaffneter Hand den Besitzstand Schwedens aufrecht zu erhalten. Nur aus
diesem Gesichtspunkte, so behauptet er, müssen sie betrachtet werden, nur dann
seien Handlungsweise und Auftreten dieses merkwürdigen Mannes, die scheinbar
so viele Contraste enthielten, recht zu verstehen. Zu diesem Zwecke habe Karl XII.,
nachdem im Beginne des Jahres 1700 August von Polen und Sachsen durch
seinen Angriff auf Riga den Besitzstand Schwedens angegriffen habe, den Plan
gefaßt, den König von Polen und dessen Verbündete, die Herrscher von Ru߬
land und Dänemark uicht bloß zurückzuschlagen, sondern völlig niederzuwerfen.
Wenn er 1700 nach seiner siegreichen Landung auf Seeland mit Dänemark so
schnell Frieden geschlossen habe, so sei dies sehr gegen seinen Willen geschehen.
Sein Vorsatz sei es gewesen, die dänische Hauptstadt zu erobern, und er würde
auch den Versuch dazu gemacht haben, wenn ihm nicht die Seemächte in den
Arm gefallen wären. Darauf sei er gegen August gezogen, nachdem er nur
gleichsam unterwegs den Russen bei Narwa eine" nachdrücklichen Schlag, der
sie für längere Zeit betäubte, versetzt habe.

Nicht eher habe er abgelassen, als bis er, kämpfend und unterhandelnd,
endlich durch einen Marsch in das Land des Feindes diesen vollkommen ge¬
demüthigt habe. Nun endlich habe es gegolten, den Zaren zu bestrafen, freilich
die schwierigste aller Aufgaben. Die Mittel aber, welche Karl zur Erreichung
seines Zweckes in Bewegung habe setzen wollen, wären wohl dazu geeignet ge¬
wesen; nur durch eine Kette von Unglücksfällen hätten sie sämmtlich versagt,
wodurch er selbst in eine bedrängte Lage gerathen sei. Er habe es verschmäht,
sich durch einen Rückzug vielleicht Rettung zu suchen und sein langes Stehen¬
bleiben auf demselben Punkte, ohne Verbindung mit eiuer Operationsbasis, habe
zur Katastrophe führen müssen. Vergeblich habe er als Flüchtling volle fünf Jahre
die wirksame Unterstützung der Türken erwartet. Endlich sei er Ende 1714 in
sein Reich zurückgekehrt, habe zunächst Stralsund vertheidigt, und nachdem die
Festung gefallen, sei er in der Absicht, Eroberungen zu machen, nach Norwegen
gezogen, wo ihn mitten im erfolgreichen Angriff ein feindliches Geschoß weg¬
gerafft habe.

Es find mithin nach Sarauws Meinung die Feldzüge Karls keine abenteuer¬
liche" Unternehmungen, die eines vernünftigen Planes und Zweckes ermangeln,


Zur Charakteristik Karls XU. von Schweden.

einzelnen hier hervorzuheben, in wie vielen Punkten Sarauw von den bekannten,
viel gelesnen Darstellungen Lundblads und Fryxells abweicht und worin seine
Darstellung Fortschritte gemacht hat. Nur darauf wollen wir uns beschränken,
darzulegen, in welcher Weise Sarauw die kriegerische Thätigkeit Karls aufgefaßt
wissen will.

Sarauw erklärt die Feldzüge Karls XII. für nichts andres als Versuche,
init gewaffneter Hand den Besitzstand Schwedens aufrecht zu erhalten. Nur aus
diesem Gesichtspunkte, so behauptet er, müssen sie betrachtet werden, nur dann
seien Handlungsweise und Auftreten dieses merkwürdigen Mannes, die scheinbar
so viele Contraste enthielten, recht zu verstehen. Zu diesem Zwecke habe Karl XII.,
nachdem im Beginne des Jahres 1700 August von Polen und Sachsen durch
seinen Angriff auf Riga den Besitzstand Schwedens angegriffen habe, den Plan
gefaßt, den König von Polen und dessen Verbündete, die Herrscher von Ru߬
land und Dänemark uicht bloß zurückzuschlagen, sondern völlig niederzuwerfen.
Wenn er 1700 nach seiner siegreichen Landung auf Seeland mit Dänemark so
schnell Frieden geschlossen habe, so sei dies sehr gegen seinen Willen geschehen.
Sein Vorsatz sei es gewesen, die dänische Hauptstadt zu erobern, und er würde
auch den Versuch dazu gemacht haben, wenn ihm nicht die Seemächte in den
Arm gefallen wären. Darauf sei er gegen August gezogen, nachdem er nur
gleichsam unterwegs den Russen bei Narwa eine» nachdrücklichen Schlag, der
sie für längere Zeit betäubte, versetzt habe.

Nicht eher habe er abgelassen, als bis er, kämpfend und unterhandelnd,
endlich durch einen Marsch in das Land des Feindes diesen vollkommen ge¬
demüthigt habe. Nun endlich habe es gegolten, den Zaren zu bestrafen, freilich
die schwierigste aller Aufgaben. Die Mittel aber, welche Karl zur Erreichung
seines Zweckes in Bewegung habe setzen wollen, wären wohl dazu geeignet ge¬
wesen; nur durch eine Kette von Unglücksfällen hätten sie sämmtlich versagt,
wodurch er selbst in eine bedrängte Lage gerathen sei. Er habe es verschmäht,
sich durch einen Rückzug vielleicht Rettung zu suchen und sein langes Stehen¬
bleiben auf demselben Punkte, ohne Verbindung mit eiuer Operationsbasis, habe
zur Katastrophe führen müssen. Vergeblich habe er als Flüchtling volle fünf Jahre
die wirksame Unterstützung der Türken erwartet. Endlich sei er Ende 1714 in
sein Reich zurückgekehrt, habe zunächst Stralsund vertheidigt, und nachdem die
Festung gefallen, sei er in der Absicht, Eroberungen zu machen, nach Norwegen
gezogen, wo ihn mitten im erfolgreichen Angriff ein feindliches Geschoß weg¬
gerafft habe.

Es find mithin nach Sarauws Meinung die Feldzüge Karls keine abenteuer¬
liche» Unternehmungen, die eines vernünftigen Planes und Zweckes ermangeln,


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[0287] Zur Charakteristik Karls XU. von Schweden. einzelnen hier hervorzuheben, in wie vielen Punkten Sarauw von den bekannten, viel gelesnen Darstellungen Lundblads und Fryxells abweicht und worin seine Darstellung Fortschritte gemacht hat. Nur darauf wollen wir uns beschränken, darzulegen, in welcher Weise Sarauw die kriegerische Thätigkeit Karls aufgefaßt wissen will. Sarauw erklärt die Feldzüge Karls XII. für nichts andres als Versuche, init gewaffneter Hand den Besitzstand Schwedens aufrecht zu erhalten. Nur aus diesem Gesichtspunkte, so behauptet er, müssen sie betrachtet werden, nur dann seien Handlungsweise und Auftreten dieses merkwürdigen Mannes, die scheinbar so viele Contraste enthielten, recht zu verstehen. Zu diesem Zwecke habe Karl XII., nachdem im Beginne des Jahres 1700 August von Polen und Sachsen durch seinen Angriff auf Riga den Besitzstand Schwedens angegriffen habe, den Plan gefaßt, den König von Polen und dessen Verbündete, die Herrscher von Ru߬ land und Dänemark uicht bloß zurückzuschlagen, sondern völlig niederzuwerfen. Wenn er 1700 nach seiner siegreichen Landung auf Seeland mit Dänemark so schnell Frieden geschlossen habe, so sei dies sehr gegen seinen Willen geschehen. Sein Vorsatz sei es gewesen, die dänische Hauptstadt zu erobern, und er würde auch den Versuch dazu gemacht haben, wenn ihm nicht die Seemächte in den Arm gefallen wären. Darauf sei er gegen August gezogen, nachdem er nur gleichsam unterwegs den Russen bei Narwa eine» nachdrücklichen Schlag, der sie für längere Zeit betäubte, versetzt habe. Nicht eher habe er abgelassen, als bis er, kämpfend und unterhandelnd, endlich durch einen Marsch in das Land des Feindes diesen vollkommen ge¬ demüthigt habe. Nun endlich habe es gegolten, den Zaren zu bestrafen, freilich die schwierigste aller Aufgaben. Die Mittel aber, welche Karl zur Erreichung seines Zweckes in Bewegung habe setzen wollen, wären wohl dazu geeignet ge¬ wesen; nur durch eine Kette von Unglücksfällen hätten sie sämmtlich versagt, wodurch er selbst in eine bedrängte Lage gerathen sei. Er habe es verschmäht, sich durch einen Rückzug vielleicht Rettung zu suchen und sein langes Stehen¬ bleiben auf demselben Punkte, ohne Verbindung mit eiuer Operationsbasis, habe zur Katastrophe führen müssen. Vergeblich habe er als Flüchtling volle fünf Jahre die wirksame Unterstützung der Türken erwartet. Endlich sei er Ende 1714 in sein Reich zurückgekehrt, habe zunächst Stralsund vertheidigt, und nachdem die Festung gefallen, sei er in der Absicht, Eroberungen zu machen, nach Norwegen gezogen, wo ihn mitten im erfolgreichen Angriff ein feindliches Geschoß weg¬ gerafft habe. Es find mithin nach Sarauws Meinung die Feldzüge Karls keine abenteuer¬ liche» Unternehmungen, die eines vernünftigen Planes und Zweckes ermangeln,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/287>, abgerufen am 23.07.2024.