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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Lalderon.

nehmen wähnt, die ihn zu dem verzweifelten Entschlüsse treiben, sie zu tödten.
Der Vergleich mit der Tragödie, in welcher der größte britische Dramatiker ein
Gemälde der Eifersucht entrollte, drängt sich unwillkürlich auf, und es gereicht
dem Calderonschen Werke zu hoher Ehre, daß es diesen Vergleich nicht zu scheuen
braucht. Dieselbe Leidenschaft hat Calderon noch einmal, und zwar in dem eben¬
falls 1637 zuerst gedruckten Schauspiele behandelt, welches den Titel führt:
"Gegen geheimen Schimpf geheime Rache" ssorsto s-Aiavio söorsts, vsnsWW),
bei dem jedoch der tragische Ausgang die Sühne für wirkliche, nicht bloß ver¬
meinte eheliche Untreue bildet.

Indem wir es uns versagen müssen, alle Stücke dieser Gattung zu be¬
sprechen, unter denen besonders auch "Wohl und Weh" iMbör äst ins.1 ^ as!
diöii) und "Neigung und Abneigung beruhen nur auf Einbildung" (Gustos ^
cllsAustos son no was (zus iumMimoion) durch Feinheit und Tiefe der psycho¬
logischen Motivirung hervorragen, wollen wir nur noch einen Blick auf die hierher
gehörige Tragödie "Der Richter von Zalamea" (KI ^1oM"z as ^lairisA)*)
werfen, die unter den Schöpfungen Calderons durch ihren großartigen, überaus
wirksamen Aufbau, die erschütterndsten Situationen und meisterhafte Charakteristik
einen hohen Rang einnimmt. Bei dem reichen Bauer Crespo ist ein Haupt¬
mann einquartiert, der dessen schöner und tugendhafter Tochter Isabel nachstellt;
von seinem General aus dem Hause gewiesen, kehrt er nach Abzug seiner Truppe
zurück, entführt das Mädchen in den Wald und raubt ihr die Ehre. Crespo,
der mit entblößtem Degen gefolgt war, ist von den Soldaten an einen Baum
gebunden worden. Juan, sein Sohn, der als Krieger in die Reihen des Generals
getreten war, hat den Hcmptmnnn nach vollbrachter That verwundet; Isabel
befreit den Vater und kehrt mit ihm nach Hause zurück. Von gewaltiger Kraft
ist die Scene, in welcher Crespo, soeben zum Schultheiß des Ortes ernannt,
dem Hauptmann gegenübersteht und zunächst als Vater Genugthuung von dem
Beleidiger seiner Tochter heischt; alles will er ihm zu Füßen legen, damit er
er sie heimführe und die Schmach tilge, die er über seine unbescholtne Familie
heraufbeschworen. Aber selbst die Thränen des Greises bleiben wirkungslos,
und rohe Ausfälle und Drohungen sind die einzige Entgegnung. Da ändert der
Alte seine Haltung und läßt deu Elenden einkerkern. Herd ironisch ist die Ant¬
wort, die er ihm giebt, als er respectvolle Behandlung fordert:


"Führt denn, ihr Gerichtsgesellcn,
Den Herrn Hauptmann mit Respect
Ins Gemeindehaus und steckt
Mit Respect die Hiind' in Schellen;


*) Uebersetzt von Gries im S. Bde.
Lalderon.

nehmen wähnt, die ihn zu dem verzweifelten Entschlüsse treiben, sie zu tödten.
Der Vergleich mit der Tragödie, in welcher der größte britische Dramatiker ein
Gemälde der Eifersucht entrollte, drängt sich unwillkürlich auf, und es gereicht
dem Calderonschen Werke zu hoher Ehre, daß es diesen Vergleich nicht zu scheuen
braucht. Dieselbe Leidenschaft hat Calderon noch einmal, und zwar in dem eben¬
falls 1637 zuerst gedruckten Schauspiele behandelt, welches den Titel führt:
„Gegen geheimen Schimpf geheime Rache" ssorsto s-Aiavio söorsts, vsnsWW),
bei dem jedoch der tragische Ausgang die Sühne für wirkliche, nicht bloß ver¬
meinte eheliche Untreue bildet.

Indem wir es uns versagen müssen, alle Stücke dieser Gattung zu be¬
sprechen, unter denen besonders auch „Wohl und Weh" iMbör äst ins.1 ^ as!
diöii) und „Neigung und Abneigung beruhen nur auf Einbildung" (Gustos ^
cllsAustos son no was (zus iumMimoion) durch Feinheit und Tiefe der psycho¬
logischen Motivirung hervorragen, wollen wir nur noch einen Blick auf die hierher
gehörige Tragödie „Der Richter von Zalamea" (KI ^1oM«z as ^lairisA)*)
werfen, die unter den Schöpfungen Calderons durch ihren großartigen, überaus
wirksamen Aufbau, die erschütterndsten Situationen und meisterhafte Charakteristik
einen hohen Rang einnimmt. Bei dem reichen Bauer Crespo ist ein Haupt¬
mann einquartiert, der dessen schöner und tugendhafter Tochter Isabel nachstellt;
von seinem General aus dem Hause gewiesen, kehrt er nach Abzug seiner Truppe
zurück, entführt das Mädchen in den Wald und raubt ihr die Ehre. Crespo,
der mit entblößtem Degen gefolgt war, ist von den Soldaten an einen Baum
gebunden worden. Juan, sein Sohn, der als Krieger in die Reihen des Generals
getreten war, hat den Hcmptmnnn nach vollbrachter That verwundet; Isabel
befreit den Vater und kehrt mit ihm nach Hause zurück. Von gewaltiger Kraft
ist die Scene, in welcher Crespo, soeben zum Schultheiß des Ortes ernannt,
dem Hauptmann gegenübersteht und zunächst als Vater Genugthuung von dem
Beleidiger seiner Tochter heischt; alles will er ihm zu Füßen legen, damit er
er sie heimführe und die Schmach tilge, die er über seine unbescholtne Familie
heraufbeschworen. Aber selbst die Thränen des Greises bleiben wirkungslos,
und rohe Ausfälle und Drohungen sind die einzige Entgegnung. Da ändert der
Alte seine Haltung und läßt deu Elenden einkerkern. Herd ironisch ist die Ant¬
wort, die er ihm giebt, als er respectvolle Behandlung fordert:


„Führt denn, ihr Gerichtsgesellcn,
Den Herrn Hauptmann mit Respect
Ins Gemeindehaus und steckt
Mit Respect die Hiind' in Schellen;


*) Uebersetzt von Gries im S. Bde.
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[0281] Lalderon. nehmen wähnt, die ihn zu dem verzweifelten Entschlüsse treiben, sie zu tödten. Der Vergleich mit der Tragödie, in welcher der größte britische Dramatiker ein Gemälde der Eifersucht entrollte, drängt sich unwillkürlich auf, und es gereicht dem Calderonschen Werke zu hoher Ehre, daß es diesen Vergleich nicht zu scheuen braucht. Dieselbe Leidenschaft hat Calderon noch einmal, und zwar in dem eben¬ falls 1637 zuerst gedruckten Schauspiele behandelt, welches den Titel führt: „Gegen geheimen Schimpf geheime Rache" ssorsto s-Aiavio söorsts, vsnsWW), bei dem jedoch der tragische Ausgang die Sühne für wirkliche, nicht bloß ver¬ meinte eheliche Untreue bildet. Indem wir es uns versagen müssen, alle Stücke dieser Gattung zu be¬ sprechen, unter denen besonders auch „Wohl und Weh" iMbör äst ins.1 ^ as! diöii) und „Neigung und Abneigung beruhen nur auf Einbildung" (Gustos ^ cllsAustos son no was (zus iumMimoion) durch Feinheit und Tiefe der psycho¬ logischen Motivirung hervorragen, wollen wir nur noch einen Blick auf die hierher gehörige Tragödie „Der Richter von Zalamea" (KI ^1oM«z as ^lairisA)*) werfen, die unter den Schöpfungen Calderons durch ihren großartigen, überaus wirksamen Aufbau, die erschütterndsten Situationen und meisterhafte Charakteristik einen hohen Rang einnimmt. Bei dem reichen Bauer Crespo ist ein Haupt¬ mann einquartiert, der dessen schöner und tugendhafter Tochter Isabel nachstellt; von seinem General aus dem Hause gewiesen, kehrt er nach Abzug seiner Truppe zurück, entführt das Mädchen in den Wald und raubt ihr die Ehre. Crespo, der mit entblößtem Degen gefolgt war, ist von den Soldaten an einen Baum gebunden worden. Juan, sein Sohn, der als Krieger in die Reihen des Generals getreten war, hat den Hcmptmnnn nach vollbrachter That verwundet; Isabel befreit den Vater und kehrt mit ihm nach Hause zurück. Von gewaltiger Kraft ist die Scene, in welcher Crespo, soeben zum Schultheiß des Ortes ernannt, dem Hauptmann gegenübersteht und zunächst als Vater Genugthuung von dem Beleidiger seiner Tochter heischt; alles will er ihm zu Füßen legen, damit er er sie heimführe und die Schmach tilge, die er über seine unbescholtne Familie heraufbeschworen. Aber selbst die Thränen des Greises bleiben wirkungslos, und rohe Ausfälle und Drohungen sind die einzige Entgegnung. Da ändert der Alte seine Haltung und läßt deu Elenden einkerkern. Herd ironisch ist die Ant¬ wort, die er ihm giebt, als er respectvolle Behandlung fordert: „Führt denn, ihr Gerichtsgesellcn, Den Herrn Hauptmann mit Respect Ins Gemeindehaus und steckt Mit Respect die Hiind' in Schellen; *) Uebersetzt von Gries im S. Bde.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/281>, abgerufen am 23.07.2024.