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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Der Streit um Tunis

Gewisse Journale versichern ihren Lesern, daß Fürst Bismarck jetzt der
französischen Unternehmung gegen Tunis, über die er vorher befragt wurden,
zugestimmt habe. Er sei dazu durch verschiedne Betrachtungen bestimmt worden,
erstens dadurch, daß die ganze Affaire Deutschland nicht direct berühre, zweitens
dadurch, daß Frankreich bei derselben als Träger und Bahnbrecher der Civilisation
erscheine, drittens dadurch, daß es die wünschenswerthe Gelegenheit habe, seine neue
Organisation und Bewaffnung zu erproben, endlich viertens dadurch, daß es seine
Fahnen in einer Reihe kleiner Gefechte wehen lassen könne, bei denen seine Offiziere
sich auszeichnen würden und keine Niederlagen zu befürchten seien. Andre Blätter
glauben nicht an solche wohlwollende Ansichten und Absichten des Kanzlers, nehmen
vielmehr an, derselbe rechne darauf, daß Frankreich sich mit seiner aggressiven
Stimmung mit einigem Geschick in einen ernsten Streit mit einer oder mehreren
festländischen Mächten verwickeln ließe, er rathe der italienischen Regierung, die
Sache des bedrängten Bey zu vertreten, und hoffe, wenn dies recht kühn und
hartnäckig betrieben werde, das gute Einvernehmen, das jetzt noch offiziell zwischen
Deutschlands ältestem Feinde und seinein neuesten Verbündeten herrsche, ein Ende
nehmen zu sehen. Behandle Frankreich den Einspruch des römischen Cabinets
mit Geringachtung und gebe es Italien dadurch Veranlassung zum Bruche mit
ihm, so würde Deutschland bei einem Kampfe zwischen den beiden Mächten hinter
Italien stehen.

Wir haben Grund, an der Richtigkeit dieser Zeitungsgerüchte zu zweifeln und
zwar ganz vorzüglich an der Richtigkeit derer, die den Kanzler als übelwollend
gegenüber den Franzosen darstellen. Großentheils glaubwürdiger erscheint uns
die Nachricht aus einer andern Quelle, nach welcher er geäußert hätte: "Es ist
im höchsten Grade lächerlich, daß man in der Haltung Deutschlands gegenüber
der französischen Auffassung der tunesischen Frage durchaus geheime Beweg¬
gründe entdecken möchte. Ich wundre mich übrigens darüber durchaus nicht,
gerade deswegen, weil die Politik Deutschlands in dieser Angelegenheit so offen¬
kundig durch die Natur der Dinge geboten ist, daß die geheimen Beweggründe
desto eifriger von denen gemacht werden, die politische Enten ausbrüten oder
mit nationalen Vorurtheilen schachern Die sogenannte tunesische Frage ist
bis jetzt eine rein französische Angelegenheit, die eigentlich nur vom Standpunkte
der innern Politik Frankreichs wichtig ist, als Prvbirmamsell für die Wirkungen
der civilen und militärischen Reorganisation Frankreichs. Nichts ist natürlicher,
als daß Frankreich in Tunis alles das thut, was vom militärischen und politischen
Standpunkte seine Interessen verlangen. Alle dortigen Erfolge der französischen
Politik können nur vortheilhaft sein für die Interessen Europas, welche durch
die Unordnung in diesen halbbarbarischen staatlichen Mißbildungen fortwährend


Der Streit um Tunis

Gewisse Journale versichern ihren Lesern, daß Fürst Bismarck jetzt der
französischen Unternehmung gegen Tunis, über die er vorher befragt wurden,
zugestimmt habe. Er sei dazu durch verschiedne Betrachtungen bestimmt worden,
erstens dadurch, daß die ganze Affaire Deutschland nicht direct berühre, zweitens
dadurch, daß Frankreich bei derselben als Träger und Bahnbrecher der Civilisation
erscheine, drittens dadurch, daß es die wünschenswerthe Gelegenheit habe, seine neue
Organisation und Bewaffnung zu erproben, endlich viertens dadurch, daß es seine
Fahnen in einer Reihe kleiner Gefechte wehen lassen könne, bei denen seine Offiziere
sich auszeichnen würden und keine Niederlagen zu befürchten seien. Andre Blätter
glauben nicht an solche wohlwollende Ansichten und Absichten des Kanzlers, nehmen
vielmehr an, derselbe rechne darauf, daß Frankreich sich mit seiner aggressiven
Stimmung mit einigem Geschick in einen ernsten Streit mit einer oder mehreren
festländischen Mächten verwickeln ließe, er rathe der italienischen Regierung, die
Sache des bedrängten Bey zu vertreten, und hoffe, wenn dies recht kühn und
hartnäckig betrieben werde, das gute Einvernehmen, das jetzt noch offiziell zwischen
Deutschlands ältestem Feinde und seinein neuesten Verbündeten herrsche, ein Ende
nehmen zu sehen. Behandle Frankreich den Einspruch des römischen Cabinets
mit Geringachtung und gebe es Italien dadurch Veranlassung zum Bruche mit
ihm, so würde Deutschland bei einem Kampfe zwischen den beiden Mächten hinter
Italien stehen.

Wir haben Grund, an der Richtigkeit dieser Zeitungsgerüchte zu zweifeln und
zwar ganz vorzüglich an der Richtigkeit derer, die den Kanzler als übelwollend
gegenüber den Franzosen darstellen. Großentheils glaubwürdiger erscheint uns
die Nachricht aus einer andern Quelle, nach welcher er geäußert hätte: „Es ist
im höchsten Grade lächerlich, daß man in der Haltung Deutschlands gegenüber
der französischen Auffassung der tunesischen Frage durchaus geheime Beweg¬
gründe entdecken möchte. Ich wundre mich übrigens darüber durchaus nicht,
gerade deswegen, weil die Politik Deutschlands in dieser Angelegenheit so offen¬
kundig durch die Natur der Dinge geboten ist, daß die geheimen Beweggründe
desto eifriger von denen gemacht werden, die politische Enten ausbrüten oder
mit nationalen Vorurtheilen schachern Die sogenannte tunesische Frage ist
bis jetzt eine rein französische Angelegenheit, die eigentlich nur vom Standpunkte
der innern Politik Frankreichs wichtig ist, als Prvbirmamsell für die Wirkungen
der civilen und militärischen Reorganisation Frankreichs. Nichts ist natürlicher,
als daß Frankreich in Tunis alles das thut, was vom militärischen und politischen
Standpunkte seine Interessen verlangen. Alle dortigen Erfolge der französischen
Politik können nur vortheilhaft sein für die Interessen Europas, welche durch
die Unordnung in diesen halbbarbarischen staatlichen Mißbildungen fortwährend


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[0272] Der Streit um Tunis Gewisse Journale versichern ihren Lesern, daß Fürst Bismarck jetzt der französischen Unternehmung gegen Tunis, über die er vorher befragt wurden, zugestimmt habe. Er sei dazu durch verschiedne Betrachtungen bestimmt worden, erstens dadurch, daß die ganze Affaire Deutschland nicht direct berühre, zweitens dadurch, daß Frankreich bei derselben als Träger und Bahnbrecher der Civilisation erscheine, drittens dadurch, daß es die wünschenswerthe Gelegenheit habe, seine neue Organisation und Bewaffnung zu erproben, endlich viertens dadurch, daß es seine Fahnen in einer Reihe kleiner Gefechte wehen lassen könne, bei denen seine Offiziere sich auszeichnen würden und keine Niederlagen zu befürchten seien. Andre Blätter glauben nicht an solche wohlwollende Ansichten und Absichten des Kanzlers, nehmen vielmehr an, derselbe rechne darauf, daß Frankreich sich mit seiner aggressiven Stimmung mit einigem Geschick in einen ernsten Streit mit einer oder mehreren festländischen Mächten verwickeln ließe, er rathe der italienischen Regierung, die Sache des bedrängten Bey zu vertreten, und hoffe, wenn dies recht kühn und hartnäckig betrieben werde, das gute Einvernehmen, das jetzt noch offiziell zwischen Deutschlands ältestem Feinde und seinein neuesten Verbündeten herrsche, ein Ende nehmen zu sehen. Behandle Frankreich den Einspruch des römischen Cabinets mit Geringachtung und gebe es Italien dadurch Veranlassung zum Bruche mit ihm, so würde Deutschland bei einem Kampfe zwischen den beiden Mächten hinter Italien stehen. Wir haben Grund, an der Richtigkeit dieser Zeitungsgerüchte zu zweifeln und zwar ganz vorzüglich an der Richtigkeit derer, die den Kanzler als übelwollend gegenüber den Franzosen darstellen. Großentheils glaubwürdiger erscheint uns die Nachricht aus einer andern Quelle, nach welcher er geäußert hätte: „Es ist im höchsten Grade lächerlich, daß man in der Haltung Deutschlands gegenüber der französischen Auffassung der tunesischen Frage durchaus geheime Beweg¬ gründe entdecken möchte. Ich wundre mich übrigens darüber durchaus nicht, gerade deswegen, weil die Politik Deutschlands in dieser Angelegenheit so offen¬ kundig durch die Natur der Dinge geboten ist, daß die geheimen Beweggründe desto eifriger von denen gemacht werden, die politische Enten ausbrüten oder mit nationalen Vorurtheilen schachern Die sogenannte tunesische Frage ist bis jetzt eine rein französische Angelegenheit, die eigentlich nur vom Standpunkte der innern Politik Frankreichs wichtig ist, als Prvbirmamsell für die Wirkungen der civilen und militärischen Reorganisation Frankreichs. Nichts ist natürlicher, als daß Frankreich in Tunis alles das thut, was vom militärischen und politischen Standpunkte seine Interessen verlangen. Alle dortigen Erfolge der französischen Politik können nur vortheilhaft sein für die Interessen Europas, welche durch die Unordnung in diesen halbbarbarischen staatlichen Mißbildungen fortwährend

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/272>, abgerufen am 03.07.2024.