Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

Wünsche des Bey fügte, Letztrer steht seit dem Beginn der Krise, die schon
vor mehreren Jahren sich zu entwickeln anfing, unter dein Einflüsse theils anti-
enrvpäischer einheimischer, theils italienischer Vertrauten, die einen förmlichen engern
Rath um ihn bilden und ihn zum beharrlichen Widerstande gegen das Verlangen
Frankreichs ermuntern, welches sich dadurch selbstverständlich uicht stören läßt.

Der Anlaß, den Frankreich genommen hat, sich bewaffnet in die innern
Angelegenheiten Tunesiens zu mischen, ist nur ein sehr äußerlicher und zufälliger.
Die Interessen, Gedanken und Absichten der französischen Regierung sind andre
als Rache für einen Einbruch tunesischer Gebirgsstämme in das algerische Grenz¬
gebiet und Sicherung gegen die Wiederholung solchen Unfugs. Den eigentlichen
Grund der französischen Expedition bildet der Wettstreit um die Herrschaft in
Nordafrika, der schon seit Jahren, für Fernestchende bald deutlich, bald wenig
erkennbar, zwischen Frankreich und Italien, sowie in zweiter Linie zwischen jener
Macht und England spielt. Seit das Mittelmeer durch den Suczeanal die be¬
deutendste Welthandelsstraße geworden ist und namentlich fiir den Verkehr Eng¬
lands mit Indien größere Wichtigkeit als früher gewonnen hat, ist der Wett¬
eifer der genannten drei Staaten, sich im Mittelmeere eine gebietende Stellung
zu sichern, noch erheblich gewachsen, England hat sich zu dem Zwecke Chpern
verschafft und sich in Aegypten fester gesetzt als bisher, Frankreich besitzt in
seiner Colonie Algerien bereits einen beträchtlichen Theil der afrikanischen Küste
des Mittelmeeres und zugleich einen Stützpunkt zu weitrer Ausbreitung an der¬
selben nach Osten hin, Italien ist, seitdem es geeinigt, der natürliche Rival
Frankreichs im Mittelmeere. Napoleon hat, indem er die Entstehung dieses
Reiches begünstigte, einen seiner ärgsten politischen Fehler begangen, Italien
strebt nach größrer Geltung auf und an dem Meere, in das es hineinragt, es
ist von Frankreich im Norden umfaßt, ein weitres Vordringen der Franzosen
in der Richtung nach Tunis hin würde es auch im Süden runfassen; denn die
nordafrikanische Küste ist von Sicilien aus mit einem Dampfer in wenigen
Stunden zu erreichen. Endlich hat Italien in Tunis eine starke Colonie von
Staatsangehörigen und verschiedne industrielle Unternehmen zu vertreten. So
hat der Widerstreit der französischen und italienischen Interessen in Tunis schon
lange gewährt. Die Italiener hatten dabei den jetzigen Bey auf ihrer Seite,
und so konnten sie den Bestrebungen der Franzosen, besonders dem von diesen
betriebncn Baue von Eisenbahnen, überall Hindernisse bereiten, so daß die gereizte
Stimmung der französischen Regierung gegen Tunis und die Macht, die sich
dieses als Maske vorhält, recht wohl erklärlich ist.

Unter den Mauren und Arabern der ehemaligen Barbareskeustaaten läuft
eine Prophezeiung um, nach welcher die französische Herrschaft in diesen Gegenden


Wünsche des Bey fügte, Letztrer steht seit dem Beginn der Krise, die schon
vor mehreren Jahren sich zu entwickeln anfing, unter dein Einflüsse theils anti-
enrvpäischer einheimischer, theils italienischer Vertrauten, die einen förmlichen engern
Rath um ihn bilden und ihn zum beharrlichen Widerstande gegen das Verlangen
Frankreichs ermuntern, welches sich dadurch selbstverständlich uicht stören läßt.

Der Anlaß, den Frankreich genommen hat, sich bewaffnet in die innern
Angelegenheiten Tunesiens zu mischen, ist nur ein sehr äußerlicher und zufälliger.
Die Interessen, Gedanken und Absichten der französischen Regierung sind andre
als Rache für einen Einbruch tunesischer Gebirgsstämme in das algerische Grenz¬
gebiet und Sicherung gegen die Wiederholung solchen Unfugs. Den eigentlichen
Grund der französischen Expedition bildet der Wettstreit um die Herrschaft in
Nordafrika, der schon seit Jahren, für Fernestchende bald deutlich, bald wenig
erkennbar, zwischen Frankreich und Italien, sowie in zweiter Linie zwischen jener
Macht und England spielt. Seit das Mittelmeer durch den Suczeanal die be¬
deutendste Welthandelsstraße geworden ist und namentlich fiir den Verkehr Eng¬
lands mit Indien größere Wichtigkeit als früher gewonnen hat, ist der Wett¬
eifer der genannten drei Staaten, sich im Mittelmeere eine gebietende Stellung
zu sichern, noch erheblich gewachsen, England hat sich zu dem Zwecke Chpern
verschafft und sich in Aegypten fester gesetzt als bisher, Frankreich besitzt in
seiner Colonie Algerien bereits einen beträchtlichen Theil der afrikanischen Küste
des Mittelmeeres und zugleich einen Stützpunkt zu weitrer Ausbreitung an der¬
selben nach Osten hin, Italien ist, seitdem es geeinigt, der natürliche Rival
Frankreichs im Mittelmeere. Napoleon hat, indem er die Entstehung dieses
Reiches begünstigte, einen seiner ärgsten politischen Fehler begangen, Italien
strebt nach größrer Geltung auf und an dem Meere, in das es hineinragt, es
ist von Frankreich im Norden umfaßt, ein weitres Vordringen der Franzosen
in der Richtung nach Tunis hin würde es auch im Süden runfassen; denn die
nordafrikanische Küste ist von Sicilien aus mit einem Dampfer in wenigen
Stunden zu erreichen. Endlich hat Italien in Tunis eine starke Colonie von
Staatsangehörigen und verschiedne industrielle Unternehmen zu vertreten. So
hat der Widerstreit der französischen und italienischen Interessen in Tunis schon
lange gewährt. Die Italiener hatten dabei den jetzigen Bey auf ihrer Seite,
und so konnten sie den Bestrebungen der Franzosen, besonders dem von diesen
betriebncn Baue von Eisenbahnen, überall Hindernisse bereiten, so daß die gereizte
Stimmung der französischen Regierung gegen Tunis und die Macht, die sich
dieses als Maske vorhält, recht wohl erklärlich ist.

Unter den Mauren und Arabern der ehemaligen Barbareskeustaaten läuft
eine Prophezeiung um, nach welcher die französische Herrschaft in diesen Gegenden


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0266" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/149838"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_921" prev="#ID_920"> Wünsche des Bey fügte, Letztrer steht seit dem Beginn der Krise, die schon<lb/>
vor mehreren Jahren sich zu entwickeln anfing, unter dein Einflüsse theils anti-<lb/>
enrvpäischer einheimischer, theils italienischer Vertrauten, die einen förmlichen engern<lb/>
Rath um ihn bilden und ihn zum beharrlichen Widerstande gegen das Verlangen<lb/>
Frankreichs ermuntern, welches sich dadurch selbstverständlich uicht stören läßt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_922"> Der Anlaß, den Frankreich genommen hat, sich bewaffnet in die innern<lb/>
Angelegenheiten Tunesiens zu mischen, ist nur ein sehr äußerlicher und zufälliger.<lb/>
Die Interessen, Gedanken und Absichten der französischen Regierung sind andre<lb/>
als Rache für einen Einbruch tunesischer Gebirgsstämme in das algerische Grenz¬<lb/>
gebiet und Sicherung gegen die Wiederholung solchen Unfugs. Den eigentlichen<lb/>
Grund der französischen Expedition bildet der Wettstreit um die Herrschaft in<lb/>
Nordafrika, der schon seit Jahren, für Fernestchende bald deutlich, bald wenig<lb/>
erkennbar, zwischen Frankreich und Italien, sowie in zweiter Linie zwischen jener<lb/>
Macht und England spielt. Seit das Mittelmeer durch den Suczeanal die be¬<lb/>
deutendste Welthandelsstraße geworden ist und namentlich fiir den Verkehr Eng¬<lb/>
lands mit Indien größere Wichtigkeit als früher gewonnen hat, ist der Wett¬<lb/>
eifer der genannten drei Staaten, sich im Mittelmeere eine gebietende Stellung<lb/>
zu sichern, noch erheblich gewachsen, England hat sich zu dem Zwecke Chpern<lb/>
verschafft und sich in Aegypten fester gesetzt als bisher, Frankreich besitzt in<lb/>
seiner Colonie Algerien bereits einen beträchtlichen Theil der afrikanischen Küste<lb/>
des Mittelmeeres und zugleich einen Stützpunkt zu weitrer Ausbreitung an der¬<lb/>
selben nach Osten hin, Italien ist, seitdem es geeinigt, der natürliche Rival<lb/>
Frankreichs im Mittelmeere. Napoleon hat, indem er die Entstehung dieses<lb/>
Reiches begünstigte, einen seiner ärgsten politischen Fehler begangen, Italien<lb/>
strebt nach größrer Geltung auf und an dem Meere, in das es hineinragt, es<lb/>
ist von Frankreich im Norden umfaßt, ein weitres Vordringen der Franzosen<lb/>
in der Richtung nach Tunis hin würde es auch im Süden runfassen; denn die<lb/>
nordafrikanische Küste ist von Sicilien aus mit einem Dampfer in wenigen<lb/>
Stunden zu erreichen. Endlich hat Italien in Tunis eine starke Colonie von<lb/>
Staatsangehörigen und verschiedne industrielle Unternehmen zu vertreten. So<lb/>
hat der Widerstreit der französischen und italienischen Interessen in Tunis schon<lb/>
lange gewährt. Die Italiener hatten dabei den jetzigen Bey auf ihrer Seite,<lb/>
und so konnten sie den Bestrebungen der Franzosen, besonders dem von diesen<lb/>
betriebncn Baue von Eisenbahnen, überall Hindernisse bereiten, so daß die gereizte<lb/>
Stimmung der französischen Regierung gegen Tunis und die Macht, die sich<lb/>
dieses als Maske vorhält, recht wohl erklärlich ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_923" next="#ID_924"> Unter den Mauren und Arabern der ehemaligen Barbareskeustaaten läuft<lb/>
eine Prophezeiung um, nach welcher die französische Herrschaft in diesen Gegenden</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0266] Wünsche des Bey fügte, Letztrer steht seit dem Beginn der Krise, die schon vor mehreren Jahren sich zu entwickeln anfing, unter dein Einflüsse theils anti- enrvpäischer einheimischer, theils italienischer Vertrauten, die einen förmlichen engern Rath um ihn bilden und ihn zum beharrlichen Widerstande gegen das Verlangen Frankreichs ermuntern, welches sich dadurch selbstverständlich uicht stören läßt. Der Anlaß, den Frankreich genommen hat, sich bewaffnet in die innern Angelegenheiten Tunesiens zu mischen, ist nur ein sehr äußerlicher und zufälliger. Die Interessen, Gedanken und Absichten der französischen Regierung sind andre als Rache für einen Einbruch tunesischer Gebirgsstämme in das algerische Grenz¬ gebiet und Sicherung gegen die Wiederholung solchen Unfugs. Den eigentlichen Grund der französischen Expedition bildet der Wettstreit um die Herrschaft in Nordafrika, der schon seit Jahren, für Fernestchende bald deutlich, bald wenig erkennbar, zwischen Frankreich und Italien, sowie in zweiter Linie zwischen jener Macht und England spielt. Seit das Mittelmeer durch den Suczeanal die be¬ deutendste Welthandelsstraße geworden ist und namentlich fiir den Verkehr Eng¬ lands mit Indien größere Wichtigkeit als früher gewonnen hat, ist der Wett¬ eifer der genannten drei Staaten, sich im Mittelmeere eine gebietende Stellung zu sichern, noch erheblich gewachsen, England hat sich zu dem Zwecke Chpern verschafft und sich in Aegypten fester gesetzt als bisher, Frankreich besitzt in seiner Colonie Algerien bereits einen beträchtlichen Theil der afrikanischen Küste des Mittelmeeres und zugleich einen Stützpunkt zu weitrer Ausbreitung an der¬ selben nach Osten hin, Italien ist, seitdem es geeinigt, der natürliche Rival Frankreichs im Mittelmeere. Napoleon hat, indem er die Entstehung dieses Reiches begünstigte, einen seiner ärgsten politischen Fehler begangen, Italien strebt nach größrer Geltung auf und an dem Meere, in das es hineinragt, es ist von Frankreich im Norden umfaßt, ein weitres Vordringen der Franzosen in der Richtung nach Tunis hin würde es auch im Süden runfassen; denn die nordafrikanische Küste ist von Sicilien aus mit einem Dampfer in wenigen Stunden zu erreichen. Endlich hat Italien in Tunis eine starke Colonie von Staatsangehörigen und verschiedne industrielle Unternehmen zu vertreten. So hat der Widerstreit der französischen und italienischen Interessen in Tunis schon lange gewährt. Die Italiener hatten dabei den jetzigen Bey auf ihrer Seite, und so konnten sie den Bestrebungen der Franzosen, besonders dem von diesen betriebncn Baue von Eisenbahnen, überall Hindernisse bereiten, so daß die gereizte Stimmung der französischen Regierung gegen Tunis und die Macht, die sich dieses als Maske vorhält, recht wohl erklärlich ist. Unter den Mauren und Arabern der ehemaligen Barbareskeustaaten läuft eine Prophezeiung um, nach welcher die französische Herrschaft in diesen Gegenden

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/266
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/266>, abgerufen am 29.09.2024.