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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Vor Streit um Tuns,

den Fernau vom 25. October 1871 neu geregelt und dabei auf den früher be¬
anspruchten Tribut verzichtet. Der Bey erhält nach diesem Documente die Investitur
vom Sultan und darf ohne dessen Ermächtigung weder Krieg führen, noch Frieden
schließen, noch Gebiet abtreten. Er darf ferner mit dem Auslande nur über
innere Fragen unterhandeln. Er muß in Kriegsfällen seine Truppen der Pforte
zur Verfügung stellen. Er Muß endlich auf die Landesmünzen den Namen des
Sultans prägen lassen. Zu Tunis gehören 41 Stämme, welche in 18 Verwaltungs¬
kreise unter Kaids, die vom Bey ernannt werden, eingetheilt sind. Die Kreise
zerfallen wieder in Unterbezirke, die von Mescheiks verwaltet werden. Im Innern
herrscht der Bey unbeschränkt.

Ueber den Charakter des gegenwärtigen Bey erführe man (aus französischer
Quelle) folgendes. Mohammed Es Sadok ist 1817 geboren. Sein Vater Achmed
ließ ihn von einem fanatischen Mollah, Namens Ismail Sufi, erziehen, der die
europäische Bildung und Sitte verabscheute und sich deshalb auch dem Vorhaben
des Bey, seine Söhne in der französischen Sprache sowie in der Geschichte und
Geographie der europäischen Staaten unterrichten zu lassen, eifrig widersetzte.
Indeß scheint diese Opposition nicht viel geholfen zu haben. Herangewachsen
machte der junge Fürst die Bekanntschaft eines französischen Kaufmanns in Tunis,
dessen Haus er denn fleißig besuchte, und der ihn in die Ideen des Abendlandes
einweihte. Auch erlernte der Kronprinz das Zeichnen und Photvgraphiren, Kunst¬
fertigkeiten, mit denen er sich noch jetzt gern beschäftigt. Als er dann den Thron
bestieg, europäisirte er sich und seine Umgebung nach verschiednen Richtungen.
Unter anderen löste er seinen Harem, auf und begnügte sich mit einer einzigen
Frau. Im übrigen ist er eine eigenwillige Natur, die sehr hohe Begriffe von
ihrer Würde und Autorität hegt, und ohne gerade grausam zu sein, schreckt er
bei Widerstand keineswegs vor Gewaltthaten zurück. Der Aufstand von 1864,
der dem tunesischen Parlament ein Ende machte, wurde von ihm blutig unter¬
drückt, zwei seiner Brüder starben an Gift, das ihnen im Bardo beigebracht
worden, 1867 ließ der Bey mitten in einer feierlichen Sitzung die der Ver¬
schwörung verdächtigen Generale und Exminister Raschid und Ismail Luni er¬
greifen und auf der Stelle erdrosseln. Sehr eifersüchtig auf sein Recht als
Souverän, duldete er niemals, daß seine Minister sich auf europäische Weise
unabhängig von seinem Willen geberdeten. Als sein früherer Minister Cheireddin
ihm eines Tages seine Demission anbot, erwiderte er: "Was heißt Demission?
Seit wann versagt ein Sclave die Arbeit? Du bist mein Sclave und wirst deinen
Posten nicht eher verlassen, als bis ich dich wegschicke." Der Nachfolger Cheircddins,
der jetzige Premir Mustafa Pascha, erfreute sich dagegen der dauernden Gunst
seines Herrn, vor allem wegen der Geschmeidigkeit, mit der er sich in alle


Vor Streit um Tuns,

den Fernau vom 25. October 1871 neu geregelt und dabei auf den früher be¬
anspruchten Tribut verzichtet. Der Bey erhält nach diesem Documente die Investitur
vom Sultan und darf ohne dessen Ermächtigung weder Krieg führen, noch Frieden
schließen, noch Gebiet abtreten. Er darf ferner mit dem Auslande nur über
innere Fragen unterhandeln. Er muß in Kriegsfällen seine Truppen der Pforte
zur Verfügung stellen. Er Muß endlich auf die Landesmünzen den Namen des
Sultans prägen lassen. Zu Tunis gehören 41 Stämme, welche in 18 Verwaltungs¬
kreise unter Kaids, die vom Bey ernannt werden, eingetheilt sind. Die Kreise
zerfallen wieder in Unterbezirke, die von Mescheiks verwaltet werden. Im Innern
herrscht der Bey unbeschränkt.

Ueber den Charakter des gegenwärtigen Bey erführe man (aus französischer
Quelle) folgendes. Mohammed Es Sadok ist 1817 geboren. Sein Vater Achmed
ließ ihn von einem fanatischen Mollah, Namens Ismail Sufi, erziehen, der die
europäische Bildung und Sitte verabscheute und sich deshalb auch dem Vorhaben
des Bey, seine Söhne in der französischen Sprache sowie in der Geschichte und
Geographie der europäischen Staaten unterrichten zu lassen, eifrig widersetzte.
Indeß scheint diese Opposition nicht viel geholfen zu haben. Herangewachsen
machte der junge Fürst die Bekanntschaft eines französischen Kaufmanns in Tunis,
dessen Haus er denn fleißig besuchte, und der ihn in die Ideen des Abendlandes
einweihte. Auch erlernte der Kronprinz das Zeichnen und Photvgraphiren, Kunst¬
fertigkeiten, mit denen er sich noch jetzt gern beschäftigt. Als er dann den Thron
bestieg, europäisirte er sich und seine Umgebung nach verschiednen Richtungen.
Unter anderen löste er seinen Harem, auf und begnügte sich mit einer einzigen
Frau. Im übrigen ist er eine eigenwillige Natur, die sehr hohe Begriffe von
ihrer Würde und Autorität hegt, und ohne gerade grausam zu sein, schreckt er
bei Widerstand keineswegs vor Gewaltthaten zurück. Der Aufstand von 1864,
der dem tunesischen Parlament ein Ende machte, wurde von ihm blutig unter¬
drückt, zwei seiner Brüder starben an Gift, das ihnen im Bardo beigebracht
worden, 1867 ließ der Bey mitten in einer feierlichen Sitzung die der Ver¬
schwörung verdächtigen Generale und Exminister Raschid und Ismail Luni er¬
greifen und auf der Stelle erdrosseln. Sehr eifersüchtig auf sein Recht als
Souverän, duldete er niemals, daß seine Minister sich auf europäische Weise
unabhängig von seinem Willen geberdeten. Als sein früherer Minister Cheireddin
ihm eines Tages seine Demission anbot, erwiderte er: „Was heißt Demission?
Seit wann versagt ein Sclave die Arbeit? Du bist mein Sclave und wirst deinen
Posten nicht eher verlassen, als bis ich dich wegschicke." Der Nachfolger Cheircddins,
der jetzige Premir Mustafa Pascha, erfreute sich dagegen der dauernden Gunst
seines Herrn, vor allem wegen der Geschmeidigkeit, mit der er sich in alle


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[0265] Vor Streit um Tuns, den Fernau vom 25. October 1871 neu geregelt und dabei auf den früher be¬ anspruchten Tribut verzichtet. Der Bey erhält nach diesem Documente die Investitur vom Sultan und darf ohne dessen Ermächtigung weder Krieg führen, noch Frieden schließen, noch Gebiet abtreten. Er darf ferner mit dem Auslande nur über innere Fragen unterhandeln. Er muß in Kriegsfällen seine Truppen der Pforte zur Verfügung stellen. Er Muß endlich auf die Landesmünzen den Namen des Sultans prägen lassen. Zu Tunis gehören 41 Stämme, welche in 18 Verwaltungs¬ kreise unter Kaids, die vom Bey ernannt werden, eingetheilt sind. Die Kreise zerfallen wieder in Unterbezirke, die von Mescheiks verwaltet werden. Im Innern herrscht der Bey unbeschränkt. Ueber den Charakter des gegenwärtigen Bey erführe man (aus französischer Quelle) folgendes. Mohammed Es Sadok ist 1817 geboren. Sein Vater Achmed ließ ihn von einem fanatischen Mollah, Namens Ismail Sufi, erziehen, der die europäische Bildung und Sitte verabscheute und sich deshalb auch dem Vorhaben des Bey, seine Söhne in der französischen Sprache sowie in der Geschichte und Geographie der europäischen Staaten unterrichten zu lassen, eifrig widersetzte. Indeß scheint diese Opposition nicht viel geholfen zu haben. Herangewachsen machte der junge Fürst die Bekanntschaft eines französischen Kaufmanns in Tunis, dessen Haus er denn fleißig besuchte, und der ihn in die Ideen des Abendlandes einweihte. Auch erlernte der Kronprinz das Zeichnen und Photvgraphiren, Kunst¬ fertigkeiten, mit denen er sich noch jetzt gern beschäftigt. Als er dann den Thron bestieg, europäisirte er sich und seine Umgebung nach verschiednen Richtungen. Unter anderen löste er seinen Harem, auf und begnügte sich mit einer einzigen Frau. Im übrigen ist er eine eigenwillige Natur, die sehr hohe Begriffe von ihrer Würde und Autorität hegt, und ohne gerade grausam zu sein, schreckt er bei Widerstand keineswegs vor Gewaltthaten zurück. Der Aufstand von 1864, der dem tunesischen Parlament ein Ende machte, wurde von ihm blutig unter¬ drückt, zwei seiner Brüder starben an Gift, das ihnen im Bardo beigebracht worden, 1867 ließ der Bey mitten in einer feierlichen Sitzung die der Ver¬ schwörung verdächtigen Generale und Exminister Raschid und Ismail Luni er¬ greifen und auf der Stelle erdrosseln. Sehr eifersüchtig auf sein Recht als Souverän, duldete er niemals, daß seine Minister sich auf europäische Weise unabhängig von seinem Willen geberdeten. Als sein früherer Minister Cheireddin ihm eines Tages seine Demission anbot, erwiderte er: „Was heißt Demission? Seit wann versagt ein Sclave die Arbeit? Du bist mein Sclave und wirst deinen Posten nicht eher verlassen, als bis ich dich wegschicke." Der Nachfolger Cheircddins, der jetzige Premir Mustafa Pascha, erfreute sich dagegen der dauernden Gunst seines Herrn, vor allem wegen der Geschmeidigkeit, mit der er sich in alle

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/265>, abgerufen am 29.09.2024.