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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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tag im Spätherbst zusammenzuberufen und ihm, dessen Mitglieder allerdings
nicht so weit in die Heimat haben wie manche Reichsboten, die Weihnachts-
unterbrcchung aufzulegen. Der schwer ins Gewicht fallende Uebelstand dabei war
das Tagen des Landtags vor dem Reichstage zum Behuf der Arbeiten für das¬
selbe Budgetjahr, während doch die Landesbudgets vom Neichslmdget abhängig
sind und es immer mehr werden müssen. Unausrottbar bleibt in allen Combi¬
nationen der allgemeine Uebelstand, daß in der Zeit von fünf bis sieben Monaten,
also von Anfang November bis Ende April und selbst Ende Mai, die beiden
großen Parlamente ihre Arbeiten nicht beendigen können, um so weniger als
wir Deutsche weder die Geduld der Engländer und Franzosen für lange Sessionen
- in Wahrheit bilden Landtags- und Neichstagssession eine Kontinuität, eine
gleichartige zusammenhängende Arbeit meist für dieselben Parlamentarier und
ganz und gar für dieselbe öffentliche Aufmerksamkeit -- noch die Fähigkeit der¬
selben Völker besitzen, nöthigenfalls mehr oder minder wichtige Maßregeln haufen¬
weise übers Knie zu brechen. So wiederholt sich alljährlich dasselbe Elend:
der Landtag fühlt sofort den Reichstag auf den Fersen, der ihm Luft, Theil¬
nahme und die Zuversicht benimmt, ob es sich der Mühe lohne, große Dinge
in Angriff zu nehmen; der Reichstag seinerseits sieht den Frühling herankommen,
wenn er eben das erste Stadium seiner Arbeiten beendigt hat, und sofort denkt
alles an die Reise, man wäre am liebsten schon von Ostern um zu Hause ge¬
blieben, jede Sitzung schwebt unter der Furcht, daß etwa ein Socialdemokrat
das Haus auszählen und die Beschlnßnnfähigkeit feststellen lassen könnte. Mit
dem geringsten Pflichteifer verbinden unsre deutschen Parlamentarier die unüber¬
windliche Pedanterie in der Festhaltung großer Präsenzzahlen zur gesetzlichen Be¬
schlußfähigkeit, ohne jeden Unterschied zwischen wichtigen und unwichtigen Dingen.

Diesen Zuständen gegenüber verlangt Fürst Bismarck mit seiner klaren
Entschlossenheit das einschneidende Mittel, den Reichstag und die Landtage ein
Jahr um das andre zu berufen. Berechnet man die Arbeitszeit für den Reichs¬
tag wie für den preußischen Landtag, wenn jeder nur zweijährig berufen wird,
auf 6 bis 7 Monate, so kommt zwar dieselbe Zeitsumme heraus, und es konnte
jemand sagen, es sei dasselbe, ob der Reichstag ein Jahr um das andre 6 bis
7 Monate Arbeitszeit habe oder jährlich 3--3^, und ebenso der Landtag. Aber
da liegt eben der große Unterschied. Wer überhaupt je gearbeitet hat, weiß, daß
ununterbrochene Arbeitszeit doppelt und dreifach so viel werth ist, doppelt und
dreifach so viel Leistungen ermöglicht als zerstückelte. Auch würde, obwohl man
es jetzt nicht Wort haben will, die Berathung eines Budgets für zwei Jahre
nur dieselbe Zeit beanspruchen wie für ein Jahr und folglich mindestens einen Monat
aus der Arbeitszeit jedes Parlaments freimachen, so daß die regelmäßige Dauer


tag im Spätherbst zusammenzuberufen und ihm, dessen Mitglieder allerdings
nicht so weit in die Heimat haben wie manche Reichsboten, die Weihnachts-
unterbrcchung aufzulegen. Der schwer ins Gewicht fallende Uebelstand dabei war
das Tagen des Landtags vor dem Reichstage zum Behuf der Arbeiten für das¬
selbe Budgetjahr, während doch die Landesbudgets vom Neichslmdget abhängig
sind und es immer mehr werden müssen. Unausrottbar bleibt in allen Combi¬
nationen der allgemeine Uebelstand, daß in der Zeit von fünf bis sieben Monaten,
also von Anfang November bis Ende April und selbst Ende Mai, die beiden
großen Parlamente ihre Arbeiten nicht beendigen können, um so weniger als
wir Deutsche weder die Geduld der Engländer und Franzosen für lange Sessionen
- in Wahrheit bilden Landtags- und Neichstagssession eine Kontinuität, eine
gleichartige zusammenhängende Arbeit meist für dieselben Parlamentarier und
ganz und gar für dieselbe öffentliche Aufmerksamkeit — noch die Fähigkeit der¬
selben Völker besitzen, nöthigenfalls mehr oder minder wichtige Maßregeln haufen¬
weise übers Knie zu brechen. So wiederholt sich alljährlich dasselbe Elend:
der Landtag fühlt sofort den Reichstag auf den Fersen, der ihm Luft, Theil¬
nahme und die Zuversicht benimmt, ob es sich der Mühe lohne, große Dinge
in Angriff zu nehmen; der Reichstag seinerseits sieht den Frühling herankommen,
wenn er eben das erste Stadium seiner Arbeiten beendigt hat, und sofort denkt
alles an die Reise, man wäre am liebsten schon von Ostern um zu Hause ge¬
blieben, jede Sitzung schwebt unter der Furcht, daß etwa ein Socialdemokrat
das Haus auszählen und die Beschlnßnnfähigkeit feststellen lassen könnte. Mit
dem geringsten Pflichteifer verbinden unsre deutschen Parlamentarier die unüber¬
windliche Pedanterie in der Festhaltung großer Präsenzzahlen zur gesetzlichen Be¬
schlußfähigkeit, ohne jeden Unterschied zwischen wichtigen und unwichtigen Dingen.

Diesen Zuständen gegenüber verlangt Fürst Bismarck mit seiner klaren
Entschlossenheit das einschneidende Mittel, den Reichstag und die Landtage ein
Jahr um das andre zu berufen. Berechnet man die Arbeitszeit für den Reichs¬
tag wie für den preußischen Landtag, wenn jeder nur zweijährig berufen wird,
auf 6 bis 7 Monate, so kommt zwar dieselbe Zeitsumme heraus, und es konnte
jemand sagen, es sei dasselbe, ob der Reichstag ein Jahr um das andre 6 bis
7 Monate Arbeitszeit habe oder jährlich 3—3^, und ebenso der Landtag. Aber
da liegt eben der große Unterschied. Wer überhaupt je gearbeitet hat, weiß, daß
ununterbrochene Arbeitszeit doppelt und dreifach so viel werth ist, doppelt und
dreifach so viel Leistungen ermöglicht als zerstückelte. Auch würde, obwohl man
es jetzt nicht Wort haben will, die Berathung eines Budgets für zwei Jahre
nur dieselbe Zeit beanspruchen wie für ein Jahr und folglich mindestens einen Monat
aus der Arbeitszeit jedes Parlaments freimachen, so daß die regelmäßige Dauer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/255>, abgerufen am 25.08.2024.