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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Politische Briefe,

nicht. Wir haben freilich einen Mann, der in der Kunst, den Dingen ihre
originale Natur abzulernen, größer ist als alle die ausländischen Mittelmäßig¬
keiten, mit deren Nachahmung wir uns abquälen. Aber gerade seiner Originalität
wegen ist uns, d. h. unsern zur Stunde uoch die öffentliche Meinung führenden
Männern, dieser Mann längst unheimlich geworden.

Wir haben in Deutschland einen Reichstag und außerdem sechsundzwanzig
Landesvertretungen, von denen viele ans zwei Körperschaften bestehen. Wir wollen
uns mit diesem Katalog unsrer Parlamente begnügen, obwohl er kaum der An¬
fang des vollständigen Katalogs ist. Es handelt sich also darum, dieses Heer
von Parlamenten so zu lenken, daß alle Theile desselben einigermaßen Lust und
Bewegungsraum behalten; serner so, daß die Nation nicht zu Grunde geht an
dem Verbrauch von Kräften, den solche Vielköpfigkeit ihr abfordert.

Die Aufgabe wäre immer noch leicht, wenn alle Parlamente nach Zahl
ihrer Glieder und nach Umfang ihrer Geschäfte von dem Hauptparlamente gleich
weit abstürben. Statt dessen verhält sich die Sache so, daß. wir zwei Hanpt-
parlamente haben, den Reichstag und deu preußischen Landtag, bei denen man
immer noch zweifeln muß, welches das bedeutsamere ist. Das preußische Ab¬
geordnetenhaus zählt allein mehr Mitglieder als der Reichstag, während, um
die ganze Kraft des Landes zu wägen, auch das Herrenhaus in die Waagschale
gelegt werden muß. Diesem Verhältniß entspricht es, daß viele Angelegenheiten,
welche anscheinend den preußischen Staat allein, in Wahrheit aber das Leben
der ganzen Nation angehen, der Entscheidung des Landtags allein unterliegen.
Der wichtigste Theil der allgemeinen Aufgabe, dem vielköpfigen deutschen Parla¬
mentarismus die Bewegungsfreiheit zu sichern, besteht also darin, den Reichstag
und den preußischen Landtag gehörig auseinander zu halten und doch andrer¬
seits in diejenige organische Verbindung zu bringen, welche die sich ergänzende
Natur der Arbeiten erfordert. Mit dieser Aufgabe schlagen wir uns herum,
wie jener ungeschickte Wanderer mit dem Sumpfe. Wir haben schon allerlei
Versuche gemacht, die Aufgabe zu lösen, aber sie sind gerade so kläglich aus¬
gefallen, wie sie angestellt waren.

Wir ließen den Reichstag im Herbst tagen. Die Folge war, daß er bis
Weihnachten nicht fertig wurde und große Klagen entstanden, daß die Mitglieder
nach der unumgänglichen Weihnachtsreise in die Heimat zur Winterszeit noch
einmal nach Berlin kommen mußten. Dann forderte man noch frühere Ein¬
berufung des Reichstags im Herbst, aber die Reichsboten würden ihrerseits die
schönen Herbsttage nicht gern opfern, wo für viele die Erholungszeit erst beginnt.
Wir sprechen dabei noch nicht von der Rücksicht auf die Regierung, deren Mit¬
glieder doch auch so zu sagen Menschen sind. Nun kam man darauf, den Land-


Politische Briefe,

nicht. Wir haben freilich einen Mann, der in der Kunst, den Dingen ihre
originale Natur abzulernen, größer ist als alle die ausländischen Mittelmäßig¬
keiten, mit deren Nachahmung wir uns abquälen. Aber gerade seiner Originalität
wegen ist uns, d. h. unsern zur Stunde uoch die öffentliche Meinung führenden
Männern, dieser Mann längst unheimlich geworden.

Wir haben in Deutschland einen Reichstag und außerdem sechsundzwanzig
Landesvertretungen, von denen viele ans zwei Körperschaften bestehen. Wir wollen
uns mit diesem Katalog unsrer Parlamente begnügen, obwohl er kaum der An¬
fang des vollständigen Katalogs ist. Es handelt sich also darum, dieses Heer
von Parlamenten so zu lenken, daß alle Theile desselben einigermaßen Lust und
Bewegungsraum behalten; serner so, daß die Nation nicht zu Grunde geht an
dem Verbrauch von Kräften, den solche Vielköpfigkeit ihr abfordert.

Die Aufgabe wäre immer noch leicht, wenn alle Parlamente nach Zahl
ihrer Glieder und nach Umfang ihrer Geschäfte von dem Hauptparlamente gleich
weit abstürben. Statt dessen verhält sich die Sache so, daß. wir zwei Hanpt-
parlamente haben, den Reichstag und deu preußischen Landtag, bei denen man
immer noch zweifeln muß, welches das bedeutsamere ist. Das preußische Ab¬
geordnetenhaus zählt allein mehr Mitglieder als der Reichstag, während, um
die ganze Kraft des Landes zu wägen, auch das Herrenhaus in die Waagschale
gelegt werden muß. Diesem Verhältniß entspricht es, daß viele Angelegenheiten,
welche anscheinend den preußischen Staat allein, in Wahrheit aber das Leben
der ganzen Nation angehen, der Entscheidung des Landtags allein unterliegen.
Der wichtigste Theil der allgemeinen Aufgabe, dem vielköpfigen deutschen Parla¬
mentarismus die Bewegungsfreiheit zu sichern, besteht also darin, den Reichstag
und den preußischen Landtag gehörig auseinander zu halten und doch andrer¬
seits in diejenige organische Verbindung zu bringen, welche die sich ergänzende
Natur der Arbeiten erfordert. Mit dieser Aufgabe schlagen wir uns herum,
wie jener ungeschickte Wanderer mit dem Sumpfe. Wir haben schon allerlei
Versuche gemacht, die Aufgabe zu lösen, aber sie sind gerade so kläglich aus¬
gefallen, wie sie angestellt waren.

Wir ließen den Reichstag im Herbst tagen. Die Folge war, daß er bis
Weihnachten nicht fertig wurde und große Klagen entstanden, daß die Mitglieder
nach der unumgänglichen Weihnachtsreise in die Heimat zur Winterszeit noch
einmal nach Berlin kommen mußten. Dann forderte man noch frühere Ein¬
berufung des Reichstags im Herbst, aber die Reichsboten würden ihrerseits die
schönen Herbsttage nicht gern opfern, wo für viele die Erholungszeit erst beginnt.
Wir sprechen dabei noch nicht von der Rücksicht auf die Regierung, deren Mit¬
glieder doch auch so zu sagen Menschen sind. Nun kam man darauf, den Land-


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[0254] Politische Briefe, nicht. Wir haben freilich einen Mann, der in der Kunst, den Dingen ihre originale Natur abzulernen, größer ist als alle die ausländischen Mittelmäßig¬ keiten, mit deren Nachahmung wir uns abquälen. Aber gerade seiner Originalität wegen ist uns, d. h. unsern zur Stunde uoch die öffentliche Meinung führenden Männern, dieser Mann längst unheimlich geworden. Wir haben in Deutschland einen Reichstag und außerdem sechsundzwanzig Landesvertretungen, von denen viele ans zwei Körperschaften bestehen. Wir wollen uns mit diesem Katalog unsrer Parlamente begnügen, obwohl er kaum der An¬ fang des vollständigen Katalogs ist. Es handelt sich also darum, dieses Heer von Parlamenten so zu lenken, daß alle Theile desselben einigermaßen Lust und Bewegungsraum behalten; serner so, daß die Nation nicht zu Grunde geht an dem Verbrauch von Kräften, den solche Vielköpfigkeit ihr abfordert. Die Aufgabe wäre immer noch leicht, wenn alle Parlamente nach Zahl ihrer Glieder und nach Umfang ihrer Geschäfte von dem Hauptparlamente gleich weit abstürben. Statt dessen verhält sich die Sache so, daß. wir zwei Hanpt- parlamente haben, den Reichstag und deu preußischen Landtag, bei denen man immer noch zweifeln muß, welches das bedeutsamere ist. Das preußische Ab¬ geordnetenhaus zählt allein mehr Mitglieder als der Reichstag, während, um die ganze Kraft des Landes zu wägen, auch das Herrenhaus in die Waagschale gelegt werden muß. Diesem Verhältniß entspricht es, daß viele Angelegenheiten, welche anscheinend den preußischen Staat allein, in Wahrheit aber das Leben der ganzen Nation angehen, der Entscheidung des Landtags allein unterliegen. Der wichtigste Theil der allgemeinen Aufgabe, dem vielköpfigen deutschen Parla¬ mentarismus die Bewegungsfreiheit zu sichern, besteht also darin, den Reichstag und den preußischen Landtag gehörig auseinander zu halten und doch andrer¬ seits in diejenige organische Verbindung zu bringen, welche die sich ergänzende Natur der Arbeiten erfordert. Mit dieser Aufgabe schlagen wir uns herum, wie jener ungeschickte Wanderer mit dem Sumpfe. Wir haben schon allerlei Versuche gemacht, die Aufgabe zu lösen, aber sie sind gerade so kläglich aus¬ gefallen, wie sie angestellt waren. Wir ließen den Reichstag im Herbst tagen. Die Folge war, daß er bis Weihnachten nicht fertig wurde und große Klagen entstanden, daß die Mitglieder nach der unumgänglichen Weihnachtsreise in die Heimat zur Winterszeit noch einmal nach Berlin kommen mußten. Dann forderte man noch frühere Ein¬ berufung des Reichstags im Herbst, aber die Reichsboten würden ihrerseits die schönen Herbsttage nicht gern opfern, wo für viele die Erholungszeit erst beginnt. Wir sprechen dabei noch nicht von der Rücksicht auf die Regierung, deren Mit¬ glieder doch auch so zu sagen Menschen sind. Nun kam man darauf, den Land-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/254>, abgerufen am 23.07.2024.