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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Lalderon.

Haltung Calderons machte, erblicken wir unsre Aufgabe in der Vorurtheilslosen
Erörterung der Frage, ob es dem Dichter gelungen sei, seine religiösen Stoffe
nach den Anforderungen der dramatischen Kunst zu gestalten, einer Frage, die
wir allerdings nicht durchgängig zu bejahen vermögen. Es sind sehr verschiedne
Ansichten geäußert worden über dasjenige Drama Calderons, das in dieser Hin¬
sicht zu den meisten Bedenken Anlaß giebt, über die berühmte "Andacht zum
Kreuze," ein Stück, in dem ein Missethäter Gnade und Verzeihung findet,
bloß weil er dem Zeichen des Kreuzes, das ihn von seiner Geburt an auf wunder¬
bare Weise geschützt, inmitten seines verbrecherischen Lebens gläubige Verehrung
bewahrt hat. Was auch Rosenkranz, Lorinser n, a, zu Gunsten dieses Dramas
vorgebracht haben, der Held desselben kann als eine tragische Figur nicht be¬
trachtet werden, denn ohne sein Zuthun, ohne eine innere Reinigung und Läu¬
terung vollzieht sich die Lösung auf rein äußerliche Art durch das Kreuz, das
mit seiner Wunderkraft als ein altus "zx mitvuum auftritt und zum Schlüsse
mit Julia zum Himmel aufsteigt, der Schwester des Verworfnen, die von ihm
auf die Bahn des Lasters nachgezogen worden und sich vor dem strafenden
Schwerte des eignen Vaters dadurch rettet, daß sie deu Kreuzesstamm um¬
klammert.

Vollkommen ini Einklange mit den Gesetzen der dramatischen Kunst stehen
dagegen Schauspiele wie "Die Morgenröthe in Capoeabana" oder "Die Erhebung
des Kreuzes", von denen das ersteres die Einführung des Christenthums in Peru,
das andre die Eroberung des heiligen Kreuzes aus den Händen des Perserkönigs
Chosroes durch Heraklius lind seine Zurückführung in den Tempel von Jerusalem
-- zugleich eine symbolische Verherrlichung des Christenthums -- zum Gegen¬
stande hat. Die "Sibhlle des Orients,"^) in der eine mächtige religiöse Be¬
geisterung ihren kühnsten Aufschwung nimmt, reiht sich diesen Schöpfungen aufs
würdigste an.

Es würde zu weit führen, bei sämmtlichen Stücken dieser Kategorie zu ver¬
weilen, so wichtig "Der weibliche Joseph", "Das Fegefeuer des Heil, Patricius",
"Die Ketten des Dämons" oder, um nur noch ein durch sein Verhältniß zu
Shakespeares "Heinrich VIII." besonders interessantes Drama, "Das Schisma
von England" zu erwähnen, für das Gesammtbild unsres Dichters erscheinen
müssen. Nicht übergehen dürfen wir jedoch die beiden Perlen dieser Gattung,
die zu den großartigsten gezählt werden müssen, was die Poesie überhaupt her¬
vorgebracht.




**) Ehb.
Uevorscht von MMvurg im 4, Bande, --
Lalderon.

Haltung Calderons machte, erblicken wir unsre Aufgabe in der Vorurtheilslosen
Erörterung der Frage, ob es dem Dichter gelungen sei, seine religiösen Stoffe
nach den Anforderungen der dramatischen Kunst zu gestalten, einer Frage, die
wir allerdings nicht durchgängig zu bejahen vermögen. Es sind sehr verschiedne
Ansichten geäußert worden über dasjenige Drama Calderons, das in dieser Hin¬
sicht zu den meisten Bedenken Anlaß giebt, über die berühmte „Andacht zum
Kreuze," ein Stück, in dem ein Missethäter Gnade und Verzeihung findet,
bloß weil er dem Zeichen des Kreuzes, das ihn von seiner Geburt an auf wunder¬
bare Weise geschützt, inmitten seines verbrecherischen Lebens gläubige Verehrung
bewahrt hat. Was auch Rosenkranz, Lorinser n, a, zu Gunsten dieses Dramas
vorgebracht haben, der Held desselben kann als eine tragische Figur nicht be¬
trachtet werden, denn ohne sein Zuthun, ohne eine innere Reinigung und Läu¬
terung vollzieht sich die Lösung auf rein äußerliche Art durch das Kreuz, das
mit seiner Wunderkraft als ein altus «zx mitvuum auftritt und zum Schlüsse
mit Julia zum Himmel aufsteigt, der Schwester des Verworfnen, die von ihm
auf die Bahn des Lasters nachgezogen worden und sich vor dem strafenden
Schwerte des eignen Vaters dadurch rettet, daß sie deu Kreuzesstamm um¬
klammert.

Vollkommen ini Einklange mit den Gesetzen der dramatischen Kunst stehen
dagegen Schauspiele wie „Die Morgenröthe in Capoeabana" oder „Die Erhebung
des Kreuzes", von denen das ersteres die Einführung des Christenthums in Peru,
das andre die Eroberung des heiligen Kreuzes aus den Händen des Perserkönigs
Chosroes durch Heraklius lind seine Zurückführung in den Tempel von Jerusalem
— zugleich eine symbolische Verherrlichung des Christenthums — zum Gegen¬
stande hat. Die „Sibhlle des Orients,"^) in der eine mächtige religiöse Be¬
geisterung ihren kühnsten Aufschwung nimmt, reiht sich diesen Schöpfungen aufs
würdigste an.

Es würde zu weit führen, bei sämmtlichen Stücken dieser Kategorie zu ver¬
weilen, so wichtig „Der weibliche Joseph", „Das Fegefeuer des Heil, Patricius",
„Die Ketten des Dämons" oder, um nur noch ein durch sein Verhältniß zu
Shakespeares „Heinrich VIII." besonders interessantes Drama, „Das Schisma
von England" zu erwähnen, für das Gesammtbild unsres Dichters erscheinen
müssen. Nicht übergehen dürfen wir jedoch die beiden Perlen dieser Gattung,
die zu den großartigsten gezählt werden müssen, was die Poesie überhaupt her¬
vorgebracht.




**) Ehb.
Uevorscht von MMvurg im 4, Bande, —
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[0240] Lalderon. Haltung Calderons machte, erblicken wir unsre Aufgabe in der Vorurtheilslosen Erörterung der Frage, ob es dem Dichter gelungen sei, seine religiösen Stoffe nach den Anforderungen der dramatischen Kunst zu gestalten, einer Frage, die wir allerdings nicht durchgängig zu bejahen vermögen. Es sind sehr verschiedne Ansichten geäußert worden über dasjenige Drama Calderons, das in dieser Hin¬ sicht zu den meisten Bedenken Anlaß giebt, über die berühmte „Andacht zum Kreuze," ein Stück, in dem ein Missethäter Gnade und Verzeihung findet, bloß weil er dem Zeichen des Kreuzes, das ihn von seiner Geburt an auf wunder¬ bare Weise geschützt, inmitten seines verbrecherischen Lebens gläubige Verehrung bewahrt hat. Was auch Rosenkranz, Lorinser n, a, zu Gunsten dieses Dramas vorgebracht haben, der Held desselben kann als eine tragische Figur nicht be¬ trachtet werden, denn ohne sein Zuthun, ohne eine innere Reinigung und Läu¬ terung vollzieht sich die Lösung auf rein äußerliche Art durch das Kreuz, das mit seiner Wunderkraft als ein altus «zx mitvuum auftritt und zum Schlüsse mit Julia zum Himmel aufsteigt, der Schwester des Verworfnen, die von ihm auf die Bahn des Lasters nachgezogen worden und sich vor dem strafenden Schwerte des eignen Vaters dadurch rettet, daß sie deu Kreuzesstamm um¬ klammert. Vollkommen ini Einklange mit den Gesetzen der dramatischen Kunst stehen dagegen Schauspiele wie „Die Morgenröthe in Capoeabana" oder „Die Erhebung des Kreuzes", von denen das ersteres die Einführung des Christenthums in Peru, das andre die Eroberung des heiligen Kreuzes aus den Händen des Perserkönigs Chosroes durch Heraklius lind seine Zurückführung in den Tempel von Jerusalem — zugleich eine symbolische Verherrlichung des Christenthums — zum Gegen¬ stande hat. Die „Sibhlle des Orients,"^) in der eine mächtige religiöse Be¬ geisterung ihren kühnsten Aufschwung nimmt, reiht sich diesen Schöpfungen aufs würdigste an. Es würde zu weit führen, bei sämmtlichen Stücken dieser Kategorie zu ver¬ weilen, so wichtig „Der weibliche Joseph", „Das Fegefeuer des Heil, Patricius", „Die Ketten des Dämons" oder, um nur noch ein durch sein Verhältniß zu Shakespeares „Heinrich VIII." besonders interessantes Drama, „Das Schisma von England" zu erwähnen, für das Gesammtbild unsres Dichters erscheinen müssen. Nicht übergehen dürfen wir jedoch die beiden Perlen dieser Gattung, die zu den großartigsten gezählt werden müssen, was die Poesie überhaupt her¬ vorgebracht. **) Ehb. Uevorscht von MMvurg im 4, Bande, —

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/240>, abgerufen am 23.07.2024.