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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Calderon.

gewonnen würde, empfiehlt es sich für unsre Zwecke, dieselben nach ihrem In¬
halte z" gruppiren. wobei wir Wohl am besten, wie auch Schack im wesentlichen
gethan, die A. W. Schlegelsche Eintheilung zu Grunde legen.

Muß man auch Solger beistimmen, wenn er,*) im Gegensatz namentlich
zu Friedrich Schlegel, dem Calderon "unter allen Verhältnissen und Umständen
und unter allen andern dramatischen Dichtern vorzugsweise der christliche" ist,**)
in Abrede stellt, daß Calderons poetische Bedeutung in seinen religiösen Be¬
ziehungen aufgehe, so erscheint es trotzdem angemessen, die Betrachtung seiner
religiösen Schauspiele voranzustellen, weil Calderon innerhalb dieser Gattung
nicht nnr alle frühern Dramatiker weit überflügelt, sondern auch im Vergleich
zu seiue" übrigen Schöpfungen hier entschieden am größten dasteht. Die ^.utvs
ijitvramvntitlvL für eine gesonderte Besprechung aufsparend, verstehen wir im
engern Sinne nnter den religiösen Schauspielen diejenigen, in denen der christ¬
liche, speciell der katholische Glaube die Grundlage einer historischen oder doch
historisch gefärbten Handlung bildet. In ihnen erscheint Cnlderon -- dies maß
man bei ihrer Beurtheilung festhalten -- in prvnvneirtester Weise als ein Kind
seines Volkes und seiner Zeit, und wie man Shakespeare auf dem Gebiete des
Dramas als deu Hauptvertreter der germanisch-protestantischen Weltanschauung
betrachtet, seinerseits als der dramatische Gipfelpunkt des romanischen Katholi-
cismus. Ob der Katholicismus, insbesondre derjenige des damaligen Spaniens,
sich genau mit den Idealen des Christenthums deckt, ist eine Frage, deren Ent¬
scheidung für uns, die wir hier ans dem neutralen Boden der Kunst stehen, nicht
in Betracht kommt; wer die dramatischen Erzeugnisse der Weltliteratur und die
religiösen Voraussetzungen, auf denen das indische, ans denen das griechische
Drama beruht, mit objectiven Blicke betrachtet, der wird auch dem spanischen
Dichter des 17. Jahrhunderts das Recht zugestehen, die mit dem Leben seiner
Nntivn fest verwachsnen Dogmen, welcher Art auch immer, als Fundament für
seine Schöpfungen, als Hebel für die dargestellten Handlungen zu verwenden
und nicht unbilliger Weise von ihm den freien Standpunkt des 19, Jahrhunderts
verlangen, auf dem unlängst einem Spanier das überraschende Unternehmen mög¬
lich war, den Stifter des Protestantismus in einem epischen Gedichte zu ver¬
herrlichen. Gleichweit entfernt davon, in die Apotheosen einzustimmen, in denen
die romantische Schule Ccilderon als den christlichen Dichter M- izxoöllöuo" feierte,
wie den Angriffen beizutreten, die z. B. Raumer***) auf die streng confessionelle





*) Nachgelassn Schriften, herausgegeben von Tieck u, Raumer, 2, Bd,, S, 607 f,
**) Geschichte der alten und neuen Literatur. I, 228.
***) Ueber die Poetik des Aristoteles und sein Verhältniß zu den neuen Dramatikern
(Histor. Taschenbuch, Neue Folge, 3, Jahrg.. 1842, S, 225).
Calderon.

gewonnen würde, empfiehlt es sich für unsre Zwecke, dieselben nach ihrem In¬
halte z» gruppiren. wobei wir Wohl am besten, wie auch Schack im wesentlichen
gethan, die A. W. Schlegelsche Eintheilung zu Grunde legen.

Muß man auch Solger beistimmen, wenn er,*) im Gegensatz namentlich
zu Friedrich Schlegel, dem Calderon „unter allen Verhältnissen und Umständen
und unter allen andern dramatischen Dichtern vorzugsweise der christliche" ist,**)
in Abrede stellt, daß Calderons poetische Bedeutung in seinen religiösen Be¬
ziehungen aufgehe, so erscheint es trotzdem angemessen, die Betrachtung seiner
religiösen Schauspiele voranzustellen, weil Calderon innerhalb dieser Gattung
nicht nnr alle frühern Dramatiker weit überflügelt, sondern auch im Vergleich
zu seiue» übrigen Schöpfungen hier entschieden am größten dasteht. Die ^.utvs
ijitvramvntitlvL für eine gesonderte Besprechung aufsparend, verstehen wir im
engern Sinne nnter den religiösen Schauspielen diejenigen, in denen der christ¬
liche, speciell der katholische Glaube die Grundlage einer historischen oder doch
historisch gefärbten Handlung bildet. In ihnen erscheint Cnlderon — dies maß
man bei ihrer Beurtheilung festhalten — in prvnvneirtester Weise als ein Kind
seines Volkes und seiner Zeit, und wie man Shakespeare auf dem Gebiete des
Dramas als deu Hauptvertreter der germanisch-protestantischen Weltanschauung
betrachtet, seinerseits als der dramatische Gipfelpunkt des romanischen Katholi-
cismus. Ob der Katholicismus, insbesondre derjenige des damaligen Spaniens,
sich genau mit den Idealen des Christenthums deckt, ist eine Frage, deren Ent¬
scheidung für uns, die wir hier ans dem neutralen Boden der Kunst stehen, nicht
in Betracht kommt; wer die dramatischen Erzeugnisse der Weltliteratur und die
religiösen Voraussetzungen, auf denen das indische, ans denen das griechische
Drama beruht, mit objectiven Blicke betrachtet, der wird auch dem spanischen
Dichter des 17. Jahrhunderts das Recht zugestehen, die mit dem Leben seiner
Nntivn fest verwachsnen Dogmen, welcher Art auch immer, als Fundament für
seine Schöpfungen, als Hebel für die dargestellten Handlungen zu verwenden
und nicht unbilliger Weise von ihm den freien Standpunkt des 19, Jahrhunderts
verlangen, auf dem unlängst einem Spanier das überraschende Unternehmen mög¬
lich war, den Stifter des Protestantismus in einem epischen Gedichte zu ver¬
herrlichen. Gleichweit entfernt davon, in die Apotheosen einzustimmen, in denen
die romantische Schule Ccilderon als den christlichen Dichter M- izxoöllöuo« feierte,
wie den Angriffen beizutreten, die z. B. Raumer***) auf die streng confessionelle





*) Nachgelassn Schriften, herausgegeben von Tieck u, Raumer, 2, Bd,, S, 607 f,
**) Geschichte der alten und neuen Literatur. I, 228.
***) Ueber die Poetik des Aristoteles und sein Verhältniß zu den neuen Dramatikern
(Histor. Taschenbuch, Neue Folge, 3, Jahrg.. 1842, S, 225).
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[0239] Calderon. gewonnen würde, empfiehlt es sich für unsre Zwecke, dieselben nach ihrem In¬ halte z» gruppiren. wobei wir Wohl am besten, wie auch Schack im wesentlichen gethan, die A. W. Schlegelsche Eintheilung zu Grunde legen. Muß man auch Solger beistimmen, wenn er,*) im Gegensatz namentlich zu Friedrich Schlegel, dem Calderon „unter allen Verhältnissen und Umständen und unter allen andern dramatischen Dichtern vorzugsweise der christliche" ist,**) in Abrede stellt, daß Calderons poetische Bedeutung in seinen religiösen Be¬ ziehungen aufgehe, so erscheint es trotzdem angemessen, die Betrachtung seiner religiösen Schauspiele voranzustellen, weil Calderon innerhalb dieser Gattung nicht nnr alle frühern Dramatiker weit überflügelt, sondern auch im Vergleich zu seiue» übrigen Schöpfungen hier entschieden am größten dasteht. Die ^.utvs ijitvramvntitlvL für eine gesonderte Besprechung aufsparend, verstehen wir im engern Sinne nnter den religiösen Schauspielen diejenigen, in denen der christ¬ liche, speciell der katholische Glaube die Grundlage einer historischen oder doch historisch gefärbten Handlung bildet. In ihnen erscheint Cnlderon — dies maß man bei ihrer Beurtheilung festhalten — in prvnvneirtester Weise als ein Kind seines Volkes und seiner Zeit, und wie man Shakespeare auf dem Gebiete des Dramas als deu Hauptvertreter der germanisch-protestantischen Weltanschauung betrachtet, seinerseits als der dramatische Gipfelpunkt des romanischen Katholi- cismus. Ob der Katholicismus, insbesondre derjenige des damaligen Spaniens, sich genau mit den Idealen des Christenthums deckt, ist eine Frage, deren Ent¬ scheidung für uns, die wir hier ans dem neutralen Boden der Kunst stehen, nicht in Betracht kommt; wer die dramatischen Erzeugnisse der Weltliteratur und die religiösen Voraussetzungen, auf denen das indische, ans denen das griechische Drama beruht, mit objectiven Blicke betrachtet, der wird auch dem spanischen Dichter des 17. Jahrhunderts das Recht zugestehen, die mit dem Leben seiner Nntivn fest verwachsnen Dogmen, welcher Art auch immer, als Fundament für seine Schöpfungen, als Hebel für die dargestellten Handlungen zu verwenden und nicht unbilliger Weise von ihm den freien Standpunkt des 19, Jahrhunderts verlangen, auf dem unlängst einem Spanier das überraschende Unternehmen mög¬ lich war, den Stifter des Protestantismus in einem epischen Gedichte zu ver¬ herrlichen. Gleichweit entfernt davon, in die Apotheosen einzustimmen, in denen die romantische Schule Ccilderon als den christlichen Dichter M- izxoöllöuo« feierte, wie den Angriffen beizutreten, die z. B. Raumer***) auf die streng confessionelle *) Nachgelassn Schriften, herausgegeben von Tieck u, Raumer, 2, Bd,, S, 607 f, **) Geschichte der alten und neuen Literatur. I, 228. ***) Ueber die Poetik des Aristoteles und sein Verhältniß zu den neuen Dramatikern (Histor. Taschenbuch, Neue Folge, 3, Jahrg.. 1842, S, 225).

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/239>, abgerufen am 23.07.2024.