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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Lalderon.

zieht Lope, gleich als wollte er das ganze Weltall umspannen, auch das Gebiet
des Glaubens in den Kreis seiner Kunst; in zahlreichen geistlichen Komödien
behandelt er allerhand Heiligenlcgenden, die allerdings, da sie ihrem Wesen nach
sich gegen eine Umgestaltung weit spröder als andre Stosse verhielten, die Frei¬
heit seiner Phantasie oft hemmten und fesselten; und außerdem legte er in seinen
Autos, d. h. in allegorischen Stücken religiösen Inhalts, den Grund zu jener
specifisch spanischen Gattung des Dramas, die wir bei Calderon in ihrer höchsten
Ansbildung wiederfinden werden.

Die eminente Vielseitigkeit seines Talents, die ihn für die angemessenste Dar¬
stellung der heterogensten Gegenstände befähigte und ihm die Töne für das er¬
habenste Pathos wie für die leichteste Canserie darbot, die Ursprünglichkeit und
Reinheit seiner Sprache, die in bnntwechselndcu Rhythmen stets neue Reize ent¬
faltet, machen es erklärlich, daß die Bewunderung des Zeitalters den Dichter
als ein "Wunder der Natur," als den "Phönix Spaniens" verherrlichte. Lvpes
hohe Verdienste um die spanische Bühne beruhen übrigens weit mehr auf dem
Jnstinct des Genies als auf theoretischer Einsicht; dies beweist das Lehrgedicht,")
in welchem er seine Meinungen über das Wesen des Dramas, über den Unterschied
zwischen Tragödie und Komödie u, s. w. in einer oft ziemlich naiv erscheinenden
Weise auseinandersetzt. Ein Glück für das spanische Drama, daß dasselbe jeder
fremden Schablone widerstrebte, und Wohl auch von Lope selbst als solches
empfunden, wenn er auch an anderen Orte die Unmöglichkeit bedauert, die antiken
Kunstregeln zur Richtschnur zu nehmen. Seine Thätigkeit, welche sich ohne Aus¬
nahme und rückhaltslos auf den Boden der nationalen Traditionen stellte, be¬
festigte dieselben mehr als alles bisher geleistete und benahm der gelehrten Partei,
für welche zu seiner Zeit Artieda, Wscales, Cristoval Suarez de Figueroa u, a,
als Anwälte auftraten, alle und jede Aussicht, mit ihren antikisircnden Principien
durchzudringen.

Neben Lope de Vegn, dessen Ruhm alle Nebenbuhler überstrahlte, standen
gleichwohl, zum Theil unabhängig von ihm, Talente, die in der dramatischen
Literatur aller Zeiten hohe Ehrenplätze verdienen, und selbst Geistern zweiten
Ranges gelangen, namentlich auf dem Gebiete des Lustspiels, Würfe, die den
Neid manches neuern Komöden erregen könnten. Wir nennen nur den frucht¬
baren Tirso de Molina (f 1648), der in seinen reizvollen, noch jetzt in
Spanien beliebten Lustspielen mit Lope um die Palme stritt und durch kunst¬
volle Führung der Handlung, vortreffliche Charakteristik, übersprudelnden Witz
und außerdem durch seine kühnen Angriffe auf weltliche und geistliche Macht-



^) ^.I'to miovn av davor oomMas (Z609); schon von LcssittN im 69, Stuck der Hun-
den'gischm Dnnunturgtt' bclmchtet.
Lalderon.

zieht Lope, gleich als wollte er das ganze Weltall umspannen, auch das Gebiet
des Glaubens in den Kreis seiner Kunst; in zahlreichen geistlichen Komödien
behandelt er allerhand Heiligenlcgenden, die allerdings, da sie ihrem Wesen nach
sich gegen eine Umgestaltung weit spröder als andre Stosse verhielten, die Frei¬
heit seiner Phantasie oft hemmten und fesselten; und außerdem legte er in seinen
Autos, d. h. in allegorischen Stücken religiösen Inhalts, den Grund zu jener
specifisch spanischen Gattung des Dramas, die wir bei Calderon in ihrer höchsten
Ansbildung wiederfinden werden.

Die eminente Vielseitigkeit seines Talents, die ihn für die angemessenste Dar¬
stellung der heterogensten Gegenstände befähigte und ihm die Töne für das er¬
habenste Pathos wie für die leichteste Canserie darbot, die Ursprünglichkeit und
Reinheit seiner Sprache, die in bnntwechselndcu Rhythmen stets neue Reize ent¬
faltet, machen es erklärlich, daß die Bewunderung des Zeitalters den Dichter
als ein „Wunder der Natur," als den „Phönix Spaniens" verherrlichte. Lvpes
hohe Verdienste um die spanische Bühne beruhen übrigens weit mehr auf dem
Jnstinct des Genies als auf theoretischer Einsicht; dies beweist das Lehrgedicht,")
in welchem er seine Meinungen über das Wesen des Dramas, über den Unterschied
zwischen Tragödie und Komödie u, s. w. in einer oft ziemlich naiv erscheinenden
Weise auseinandersetzt. Ein Glück für das spanische Drama, daß dasselbe jeder
fremden Schablone widerstrebte, und Wohl auch von Lope selbst als solches
empfunden, wenn er auch an anderen Orte die Unmöglichkeit bedauert, die antiken
Kunstregeln zur Richtschnur zu nehmen. Seine Thätigkeit, welche sich ohne Aus¬
nahme und rückhaltslos auf den Boden der nationalen Traditionen stellte, be¬
festigte dieselben mehr als alles bisher geleistete und benahm der gelehrten Partei,
für welche zu seiner Zeit Artieda, Wscales, Cristoval Suarez de Figueroa u, a,
als Anwälte auftraten, alle und jede Aussicht, mit ihren antikisircnden Principien
durchzudringen.

Neben Lope de Vegn, dessen Ruhm alle Nebenbuhler überstrahlte, standen
gleichwohl, zum Theil unabhängig von ihm, Talente, die in der dramatischen
Literatur aller Zeiten hohe Ehrenplätze verdienen, und selbst Geistern zweiten
Ranges gelangen, namentlich auf dem Gebiete des Lustspiels, Würfe, die den
Neid manches neuern Komöden erregen könnten. Wir nennen nur den frucht¬
baren Tirso de Molina (f 1648), der in seinen reizvollen, noch jetzt in
Spanien beliebten Lustspielen mit Lope um die Palme stritt und durch kunst¬
volle Führung der Handlung, vortreffliche Charakteristik, übersprudelnden Witz
und außerdem durch seine kühnen Angriffe auf weltliche und geistliche Macht-



^) ^.I'to miovn av davor oomMas (Z609); schon von LcssittN im 69, Stuck der Hun-
den'gischm Dnnunturgtt' bclmchtet.
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[0235] Lalderon. zieht Lope, gleich als wollte er das ganze Weltall umspannen, auch das Gebiet des Glaubens in den Kreis seiner Kunst; in zahlreichen geistlichen Komödien behandelt er allerhand Heiligenlcgenden, die allerdings, da sie ihrem Wesen nach sich gegen eine Umgestaltung weit spröder als andre Stosse verhielten, die Frei¬ heit seiner Phantasie oft hemmten und fesselten; und außerdem legte er in seinen Autos, d. h. in allegorischen Stücken religiösen Inhalts, den Grund zu jener specifisch spanischen Gattung des Dramas, die wir bei Calderon in ihrer höchsten Ansbildung wiederfinden werden. Die eminente Vielseitigkeit seines Talents, die ihn für die angemessenste Dar¬ stellung der heterogensten Gegenstände befähigte und ihm die Töne für das er¬ habenste Pathos wie für die leichteste Canserie darbot, die Ursprünglichkeit und Reinheit seiner Sprache, die in bnntwechselndcu Rhythmen stets neue Reize ent¬ faltet, machen es erklärlich, daß die Bewunderung des Zeitalters den Dichter als ein „Wunder der Natur," als den „Phönix Spaniens" verherrlichte. Lvpes hohe Verdienste um die spanische Bühne beruhen übrigens weit mehr auf dem Jnstinct des Genies als auf theoretischer Einsicht; dies beweist das Lehrgedicht,") in welchem er seine Meinungen über das Wesen des Dramas, über den Unterschied zwischen Tragödie und Komödie u, s. w. in einer oft ziemlich naiv erscheinenden Weise auseinandersetzt. Ein Glück für das spanische Drama, daß dasselbe jeder fremden Schablone widerstrebte, und Wohl auch von Lope selbst als solches empfunden, wenn er auch an anderen Orte die Unmöglichkeit bedauert, die antiken Kunstregeln zur Richtschnur zu nehmen. Seine Thätigkeit, welche sich ohne Aus¬ nahme und rückhaltslos auf den Boden der nationalen Traditionen stellte, be¬ festigte dieselben mehr als alles bisher geleistete und benahm der gelehrten Partei, für welche zu seiner Zeit Artieda, Wscales, Cristoval Suarez de Figueroa u, a, als Anwälte auftraten, alle und jede Aussicht, mit ihren antikisircnden Principien durchzudringen. Neben Lope de Vegn, dessen Ruhm alle Nebenbuhler überstrahlte, standen gleichwohl, zum Theil unabhängig von ihm, Talente, die in der dramatischen Literatur aller Zeiten hohe Ehrenplätze verdienen, und selbst Geistern zweiten Ranges gelangen, namentlich auf dem Gebiete des Lustspiels, Würfe, die den Neid manches neuern Komöden erregen könnten. Wir nennen nur den frucht¬ baren Tirso de Molina (f 1648), der in seinen reizvollen, noch jetzt in Spanien beliebten Lustspielen mit Lope um die Palme stritt und durch kunst¬ volle Führung der Handlung, vortreffliche Charakteristik, übersprudelnden Witz und außerdem durch seine kühnen Angriffe auf weltliche und geistliche Macht- ^) ^.I'to miovn av davor oomMas (Z609); schon von LcssittN im 69, Stuck der Hun- den'gischm Dnnunturgtt' bclmchtet.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/235>, abgerufen am 23.07.2024.