Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Calderon.

die geschichtliche Ueberlieferung nach Bedarf umformen, stehen diejenigen obenan,
die ans spanischem Boden spielen und sowohl der römischen Periode wie der
gothischen, der neuern, ja zum Theil selbst der Zeit des Dichters entnommen
sind und in Bezug auf Wahrheit des Colorits zu dem Besten gehören, was die
spanische Literatur innerhalb dieser Gattung geleistet hat. Die mittelalterlichen
Sagenkreise, wie die Karlssage, die Geschichte von der schönen Magcllone u. a.,
bieten Lope eine Fülle romantischer Stoffe, Bojardo und Ariost, italienische wie
spanische Novellen siud seiner Phantasie eine reiche Goldminc, Es sei nur bei¬
läufig erwähnt, daß er dieselbe Novelle des Bandello, die Shakespeares "Romeo
und Julia" zu Gründe liegt, für sein Schauspiel <Ä8t>öIvin,E8 ^ Nontösss be¬
nutzte, das freilich höchst seltsamer Weise mit der Vereinigung der Liebenden endet,
und in seinein ä"z Donna Lliuroa. dasselbe Sujet wie Schiller in seinem
"Handschuh" verwerthete.

Geringer an Gehalt und verhältnißmüßig nicht eben zahlreich sind die¬
jenigen Stücke, in denen Lope Gegenstände der alten Mythologie, wie den Perscus-
und den Adonismythus, romantisch umformte.

Eine mit besondern: Glücke von Lope cultivirte Gattung ist das Lustspiel,
das bei ihm, weit entfernt eine Copie der trivialen Wirklichkeit zu sein, eine
überquellende Phantasie, die sich in immer neuen Situationen und Charakteren
ergeht, einen Reichthum um Darstellungsmitteln, eine Pracht und Eleganz der
Sprache entfaltet, die keinen Vergleich zu scheuen braucht. Alle Schichten des
Volkes -- und dies ist ein unbedingter Vorzug vor Calderon, dessen Lustspiel¬
personal man allzusehr die höfische Atmosphäre des Dichters anmerkt --, die
feinsten und gebildetsten Kreise der Gesellschaft wie das niedre Volk liefern ihm
die köstlichsten, mit gleicher Liebe und Meisterschaft gezeichneten Typen, und weder
auf die Charakteristik noch ans die kunstvoll verschlungne Intrigue ist einseitig
der Nachdruck gelegt, sondern beide wirken harmonisch zusammen, um das Inter¬
esse des Hörers von Anfang bis zu Ende zu fesseln. Durch besondre Feinheit
und Anmuth zeichnen sich aus die Lustspiele: N ma^or imxosibls und Jip8
iMgH'roh Ast äisxrs<;ip, worin mal ersten Male das später noch öfters be¬
handelte Motiv verwerthet ist, daß ein Liebender über eine spröde Schöne durch
Erheuchlung noch größrer Kälte obsiegt.*) Der Träger des burlesken Elements
ist auch in Lopes Lustspielen der schon von Früheren eingeführte Gracioso, der
indeß nicht wie später bei Calderon bloß als Bedienter, sondern auch in aller¬
hand andern Rollen auftritt.

Doch nicht Genüge findend an diesen unerschöpflich reichen Erfindungen,



5) lU'det'fest im zwoitm Bando der Dvhrnschcn Sammlung.
Calderon.

die geschichtliche Ueberlieferung nach Bedarf umformen, stehen diejenigen obenan,
die ans spanischem Boden spielen und sowohl der römischen Periode wie der
gothischen, der neuern, ja zum Theil selbst der Zeit des Dichters entnommen
sind und in Bezug auf Wahrheit des Colorits zu dem Besten gehören, was die
spanische Literatur innerhalb dieser Gattung geleistet hat. Die mittelalterlichen
Sagenkreise, wie die Karlssage, die Geschichte von der schönen Magcllone u. a.,
bieten Lope eine Fülle romantischer Stoffe, Bojardo und Ariost, italienische wie
spanische Novellen siud seiner Phantasie eine reiche Goldminc, Es sei nur bei¬
läufig erwähnt, daß er dieselbe Novelle des Bandello, die Shakespeares „Romeo
und Julia" zu Gründe liegt, für sein Schauspiel <Ä8t>öIvin,E8 ^ Nontösss be¬
nutzte, das freilich höchst seltsamer Weise mit der Vereinigung der Liebenden endet,
und in seinein ä«z Donna Lliuroa. dasselbe Sujet wie Schiller in seinem
„Handschuh" verwerthete.

Geringer an Gehalt und verhältnißmüßig nicht eben zahlreich sind die¬
jenigen Stücke, in denen Lope Gegenstände der alten Mythologie, wie den Perscus-
und den Adonismythus, romantisch umformte.

Eine mit besondern: Glücke von Lope cultivirte Gattung ist das Lustspiel,
das bei ihm, weit entfernt eine Copie der trivialen Wirklichkeit zu sein, eine
überquellende Phantasie, die sich in immer neuen Situationen und Charakteren
ergeht, einen Reichthum um Darstellungsmitteln, eine Pracht und Eleganz der
Sprache entfaltet, die keinen Vergleich zu scheuen braucht. Alle Schichten des
Volkes — und dies ist ein unbedingter Vorzug vor Calderon, dessen Lustspiel¬
personal man allzusehr die höfische Atmosphäre des Dichters anmerkt —, die
feinsten und gebildetsten Kreise der Gesellschaft wie das niedre Volk liefern ihm
die köstlichsten, mit gleicher Liebe und Meisterschaft gezeichneten Typen, und weder
auf die Charakteristik noch ans die kunstvoll verschlungne Intrigue ist einseitig
der Nachdruck gelegt, sondern beide wirken harmonisch zusammen, um das Inter¬
esse des Hörers von Anfang bis zu Ende zu fesseln. Durch besondre Feinheit
und Anmuth zeichnen sich aus die Lustspiele: N ma^or imxosibls und Jip8
iMgH'roh Ast äisxrs<;ip, worin mal ersten Male das später noch öfters be¬
handelte Motiv verwerthet ist, daß ein Liebender über eine spröde Schöne durch
Erheuchlung noch größrer Kälte obsiegt.*) Der Träger des burlesken Elements
ist auch in Lopes Lustspielen der schon von Früheren eingeführte Gracioso, der
indeß nicht wie später bei Calderon bloß als Bedienter, sondern auch in aller¬
hand andern Rollen auftritt.

Doch nicht Genüge findend an diesen unerschöpflich reichen Erfindungen,



5) lU'det'fest im zwoitm Bando der Dvhrnschcn Sammlung.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0234" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/149806"/>
          <fw type="header" place="top"> Calderon.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_824" prev="#ID_823"> die geschichtliche Ueberlieferung nach Bedarf umformen, stehen diejenigen obenan,<lb/>
die ans spanischem Boden spielen und sowohl der römischen Periode wie der<lb/>
gothischen, der neuern, ja zum Theil selbst der Zeit des Dichters entnommen<lb/>
sind und in Bezug auf Wahrheit des Colorits zu dem Besten gehören, was die<lb/>
spanische Literatur innerhalb dieser Gattung geleistet hat. Die mittelalterlichen<lb/>
Sagenkreise, wie die Karlssage, die Geschichte von der schönen Magcllone u. a.,<lb/>
bieten Lope eine Fülle romantischer Stoffe, Bojardo und Ariost, italienische wie<lb/>
spanische Novellen siud seiner Phantasie eine reiche Goldminc, Es sei nur bei¬<lb/>
läufig erwähnt, daß er dieselbe Novelle des Bandello, die Shakespeares &#x201E;Romeo<lb/>
und Julia" zu Gründe liegt, für sein Schauspiel &lt;Ä8t&gt;öIvin,E8 ^ Nontösss be¬<lb/>
nutzte, das freilich höchst seltsamer Weise mit der Vereinigung der Liebenden endet,<lb/>
und in seinein ä«z Donna Lliuroa. dasselbe Sujet wie Schiller in seinem<lb/>
&#x201E;Handschuh" verwerthete.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_825"> Geringer an Gehalt und verhältnißmüßig nicht eben zahlreich sind die¬<lb/>
jenigen Stücke, in denen Lope Gegenstände der alten Mythologie, wie den Perscus-<lb/>
und den Adonismythus, romantisch umformte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_826"> Eine mit besondern: Glücke von Lope cultivirte Gattung ist das Lustspiel,<lb/>
das bei ihm, weit entfernt eine Copie der trivialen Wirklichkeit zu sein, eine<lb/>
überquellende Phantasie, die sich in immer neuen Situationen und Charakteren<lb/>
ergeht, einen Reichthum um Darstellungsmitteln, eine Pracht und Eleganz der<lb/>
Sprache entfaltet, die keinen Vergleich zu scheuen braucht. Alle Schichten des<lb/>
Volkes &#x2014; und dies ist ein unbedingter Vorzug vor Calderon, dessen Lustspiel¬<lb/>
personal man allzusehr die höfische Atmosphäre des Dichters anmerkt &#x2014;, die<lb/>
feinsten und gebildetsten Kreise der Gesellschaft wie das niedre Volk liefern ihm<lb/>
die köstlichsten, mit gleicher Liebe und Meisterschaft gezeichneten Typen, und weder<lb/>
auf die Charakteristik noch ans die kunstvoll verschlungne Intrigue ist einseitig<lb/>
der Nachdruck gelegt, sondern beide wirken harmonisch zusammen, um das Inter¬<lb/>
esse des Hörers von Anfang bis zu Ende zu fesseln. Durch besondre Feinheit<lb/>
und Anmuth zeichnen sich aus die Lustspiele: N ma^or imxosibls und Jip8<lb/>
iMgH'roh Ast äisxrs&lt;;ip, worin mal ersten Male das später noch öfters be¬<lb/>
handelte Motiv verwerthet ist, daß ein Liebender über eine spröde Schöne durch<lb/>
Erheuchlung noch größrer Kälte obsiegt.*) Der Träger des burlesken Elements<lb/>
ist auch in Lopes Lustspielen der schon von Früheren eingeführte Gracioso, der<lb/>
indeß nicht wie später bei Calderon bloß als Bedienter, sondern auch in aller¬<lb/>
hand andern Rollen auftritt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_827" next="#ID_828"> Doch nicht Genüge findend an diesen unerschöpflich reichen Erfindungen,</p><lb/>
          <note xml:id="FID_50" place="foot"> 5) lU'det'fest im zwoitm Bando der Dvhrnschcn Sammlung.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0234] Calderon. die geschichtliche Ueberlieferung nach Bedarf umformen, stehen diejenigen obenan, die ans spanischem Boden spielen und sowohl der römischen Periode wie der gothischen, der neuern, ja zum Theil selbst der Zeit des Dichters entnommen sind und in Bezug auf Wahrheit des Colorits zu dem Besten gehören, was die spanische Literatur innerhalb dieser Gattung geleistet hat. Die mittelalterlichen Sagenkreise, wie die Karlssage, die Geschichte von der schönen Magcllone u. a., bieten Lope eine Fülle romantischer Stoffe, Bojardo und Ariost, italienische wie spanische Novellen siud seiner Phantasie eine reiche Goldminc, Es sei nur bei¬ läufig erwähnt, daß er dieselbe Novelle des Bandello, die Shakespeares „Romeo und Julia" zu Gründe liegt, für sein Schauspiel <Ä8t>öIvin,E8 ^ Nontösss be¬ nutzte, das freilich höchst seltsamer Weise mit der Vereinigung der Liebenden endet, und in seinein ä«z Donna Lliuroa. dasselbe Sujet wie Schiller in seinem „Handschuh" verwerthete. Geringer an Gehalt und verhältnißmüßig nicht eben zahlreich sind die¬ jenigen Stücke, in denen Lope Gegenstände der alten Mythologie, wie den Perscus- und den Adonismythus, romantisch umformte. Eine mit besondern: Glücke von Lope cultivirte Gattung ist das Lustspiel, das bei ihm, weit entfernt eine Copie der trivialen Wirklichkeit zu sein, eine überquellende Phantasie, die sich in immer neuen Situationen und Charakteren ergeht, einen Reichthum um Darstellungsmitteln, eine Pracht und Eleganz der Sprache entfaltet, die keinen Vergleich zu scheuen braucht. Alle Schichten des Volkes — und dies ist ein unbedingter Vorzug vor Calderon, dessen Lustspiel¬ personal man allzusehr die höfische Atmosphäre des Dichters anmerkt —, die feinsten und gebildetsten Kreise der Gesellschaft wie das niedre Volk liefern ihm die köstlichsten, mit gleicher Liebe und Meisterschaft gezeichneten Typen, und weder auf die Charakteristik noch ans die kunstvoll verschlungne Intrigue ist einseitig der Nachdruck gelegt, sondern beide wirken harmonisch zusammen, um das Inter¬ esse des Hörers von Anfang bis zu Ende zu fesseln. Durch besondre Feinheit und Anmuth zeichnen sich aus die Lustspiele: N ma^or imxosibls und Jip8 iMgH'roh Ast äisxrs<;ip, worin mal ersten Male das später noch öfters be¬ handelte Motiv verwerthet ist, daß ein Liebender über eine spröde Schöne durch Erheuchlung noch größrer Kälte obsiegt.*) Der Träger des burlesken Elements ist auch in Lopes Lustspielen der schon von Früheren eingeführte Gracioso, der indeß nicht wie später bei Calderon bloß als Bedienter, sondern auch in aller¬ hand andern Rollen auftritt. Doch nicht Genüge findend an diesen unerschöpflich reichen Erfindungen, 5) lU'det'fest im zwoitm Bando der Dvhrnschcn Sammlung.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/234
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/234>, abgerufen am 23.07.2024.