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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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Laldoron.

Wie noch in Shakespeare die dramatischen Anfänge des Mittelalters, freilich zu
künstlerischer Vollendung durchgebildet, erkennbar sind, so erscheint anch Calderon
nur als der letzte glänzende Ausläufer einer Entwicklung, die sich vom Mittel¬
alter an verfolgen läßt. Durchaus auf autochthoner Grundlage beruhend, blieb
dieselbe vollständig unberührt vou fremden Einflüssen, und als gegen Ende des
15. Jahrhunderts Männer von höherer Bildung sich der dramatischen Dichtung
zuwandten, sahen sie sich in die Nothwendigkeit versetzt, den Vvlksgeschmack zu
ihrer Richtschnur zu nehmen und auf jene gelehrten Experimente zu verzichten,
die dein italienischen Nenaissancedrama so verhüngnißvoll wurden.

Nachdem schon 1414 der Marques von Villena zu Saragossa mit einem
leider verloren gegangnen allegorische" Festspiel aufgetreten war und sein Freund
Mendoza sich mit einer weltlichen LounzcligtÄ hervorgethan hatte, begann sich
das Drama in dem für Wissenschaft, Poesie und Kunst so glanzvollen Zeitalter
Ferdinands des Katholischen und Jsabellas auch zu liternrischer Bedeutung zu
erheben. Eneinas kleine Stücke religiösen Inhalts lassen noch deutlich den Zu¬
sammenhang mit den mittelalterlichen Mhstericn erkennen, wenn sie auch die volks-
thümlichen Elemente in die Sphäre der Kunst zu rücken versuchen. Weniger
durch eigentlich dramatischen Werth als durch die Vorzüge einer geschickten Sprach¬
behandlung und drastischer Charakteristik wurde die 1500 erschienene Tragikomödie
1a Lslssting.*) eine wichtige Vorstufe für die dramatischen Leistungen der Folge¬
zeit. Nicht ohne Einfluß ans dieselben waren wohl anch die in spanischer Sprache
verfaßten, gereimten Stücke des Portugiesen Gil Vicente, von dem besonders er¬
wähnt sei, daß er die ursprünglich für alle Dramen gebräuchliche Bezeichnung
^.neu zuerst auf Kompositionen religiösen Inhalts beschränkte, die allerdings
bei ihm noch weit von dem entfernt sind, was später, namentlich dnrch Calderon,
ans diesem Gebiete erreicht ward.

Ein bedeutender Fortschritt knüpft sich an die Person des Vartolomo de
Torres Naharro, eines Zeitgenossen des Eneina, der zuerst in seinen nnter dem
Titel ?rvxÄ!l(lig. 1517 zu Rom veröffentlichten vermischten Dichtungen sich
theoretisch über dramatische Kunst äußerte, wobei er eine klare Einsicht in
den Gegenstand bekundet und in seinen Komödien 1,3, Lsralirm, 1a Hiirnme-z,
1a LMilWa u. a. die ersten Borbilder für die später so scharf ausgeprägte"
Gattungen des spanischen Dramas aufstellte. Besonders charakteristisch für die¬
selben ist die Eintheilung in fünf Jvrnadas (Aete, eigentlich Tagereisen) und die
durchgängige Anwendung gereimter Trochäen. Naharro und Gil Vicente waren
indeß die einzigen höher strebenden Dramatiker in einer Zeit, in der die spanische



^) Früher zwei Verfassern zugeschrieben, wahrscheinlich aber von Fernando de Rojns.
Bergl. Schacks Znsntze zum 3. Bande seines oben genannten Werkes.
Laldoron.

Wie noch in Shakespeare die dramatischen Anfänge des Mittelalters, freilich zu
künstlerischer Vollendung durchgebildet, erkennbar sind, so erscheint anch Calderon
nur als der letzte glänzende Ausläufer einer Entwicklung, die sich vom Mittel¬
alter an verfolgen läßt. Durchaus auf autochthoner Grundlage beruhend, blieb
dieselbe vollständig unberührt vou fremden Einflüssen, und als gegen Ende des
15. Jahrhunderts Männer von höherer Bildung sich der dramatischen Dichtung
zuwandten, sahen sie sich in die Nothwendigkeit versetzt, den Vvlksgeschmack zu
ihrer Richtschnur zu nehmen und auf jene gelehrten Experimente zu verzichten,
die dein italienischen Nenaissancedrama so verhüngnißvoll wurden.

Nachdem schon 1414 der Marques von Villena zu Saragossa mit einem
leider verloren gegangnen allegorische» Festspiel aufgetreten war und sein Freund
Mendoza sich mit einer weltlichen LounzcligtÄ hervorgethan hatte, begann sich
das Drama in dem für Wissenschaft, Poesie und Kunst so glanzvollen Zeitalter
Ferdinands des Katholischen und Jsabellas auch zu liternrischer Bedeutung zu
erheben. Eneinas kleine Stücke religiösen Inhalts lassen noch deutlich den Zu¬
sammenhang mit den mittelalterlichen Mhstericn erkennen, wenn sie auch die volks-
thümlichen Elemente in die Sphäre der Kunst zu rücken versuchen. Weniger
durch eigentlich dramatischen Werth als durch die Vorzüge einer geschickten Sprach¬
behandlung und drastischer Charakteristik wurde die 1500 erschienene Tragikomödie
1a Lslssting.*) eine wichtige Vorstufe für die dramatischen Leistungen der Folge¬
zeit. Nicht ohne Einfluß ans dieselben waren wohl anch die in spanischer Sprache
verfaßten, gereimten Stücke des Portugiesen Gil Vicente, von dem besonders er¬
wähnt sei, daß er die ursprünglich für alle Dramen gebräuchliche Bezeichnung
^.neu zuerst auf Kompositionen religiösen Inhalts beschränkte, die allerdings
bei ihm noch weit von dem entfernt sind, was später, namentlich dnrch Calderon,
ans diesem Gebiete erreicht ward.

Ein bedeutender Fortschritt knüpft sich an die Person des Vartolomo de
Torres Naharro, eines Zeitgenossen des Eneina, der zuerst in seinen nnter dem
Titel ?rvxÄ!l(lig. 1517 zu Rom veröffentlichten vermischten Dichtungen sich
theoretisch über dramatische Kunst äußerte, wobei er eine klare Einsicht in
den Gegenstand bekundet und in seinen Komödien 1,3, Lsralirm, 1a Hiirnme-z,
1a LMilWa u. a. die ersten Borbilder für die später so scharf ausgeprägte»
Gattungen des spanischen Dramas aufstellte. Besonders charakteristisch für die¬
selben ist die Eintheilung in fünf Jvrnadas (Aete, eigentlich Tagereisen) und die
durchgängige Anwendung gereimter Trochäen. Naharro und Gil Vicente waren
indeß die einzigen höher strebenden Dramatiker in einer Zeit, in der die spanische



^) Früher zwei Verfassern zugeschrieben, wahrscheinlich aber von Fernando de Rojns.
Bergl. Schacks Znsntze zum 3. Bande seines oben genannten Werkes.
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[0230] Laldoron. Wie noch in Shakespeare die dramatischen Anfänge des Mittelalters, freilich zu künstlerischer Vollendung durchgebildet, erkennbar sind, so erscheint anch Calderon nur als der letzte glänzende Ausläufer einer Entwicklung, die sich vom Mittel¬ alter an verfolgen läßt. Durchaus auf autochthoner Grundlage beruhend, blieb dieselbe vollständig unberührt vou fremden Einflüssen, und als gegen Ende des 15. Jahrhunderts Männer von höherer Bildung sich der dramatischen Dichtung zuwandten, sahen sie sich in die Nothwendigkeit versetzt, den Vvlksgeschmack zu ihrer Richtschnur zu nehmen und auf jene gelehrten Experimente zu verzichten, die dein italienischen Nenaissancedrama so verhüngnißvoll wurden. Nachdem schon 1414 der Marques von Villena zu Saragossa mit einem leider verloren gegangnen allegorische» Festspiel aufgetreten war und sein Freund Mendoza sich mit einer weltlichen LounzcligtÄ hervorgethan hatte, begann sich das Drama in dem für Wissenschaft, Poesie und Kunst so glanzvollen Zeitalter Ferdinands des Katholischen und Jsabellas auch zu liternrischer Bedeutung zu erheben. Eneinas kleine Stücke religiösen Inhalts lassen noch deutlich den Zu¬ sammenhang mit den mittelalterlichen Mhstericn erkennen, wenn sie auch die volks- thümlichen Elemente in die Sphäre der Kunst zu rücken versuchen. Weniger durch eigentlich dramatischen Werth als durch die Vorzüge einer geschickten Sprach¬ behandlung und drastischer Charakteristik wurde die 1500 erschienene Tragikomödie 1a Lslssting.*) eine wichtige Vorstufe für die dramatischen Leistungen der Folge¬ zeit. Nicht ohne Einfluß ans dieselben waren wohl anch die in spanischer Sprache verfaßten, gereimten Stücke des Portugiesen Gil Vicente, von dem besonders er¬ wähnt sei, daß er die ursprünglich für alle Dramen gebräuchliche Bezeichnung ^.neu zuerst auf Kompositionen religiösen Inhalts beschränkte, die allerdings bei ihm noch weit von dem entfernt sind, was später, namentlich dnrch Calderon, ans diesem Gebiete erreicht ward. Ein bedeutender Fortschritt knüpft sich an die Person des Vartolomo de Torres Naharro, eines Zeitgenossen des Eneina, der zuerst in seinen nnter dem Titel ?rvxÄ!l(lig. 1517 zu Rom veröffentlichten vermischten Dichtungen sich theoretisch über dramatische Kunst äußerte, wobei er eine klare Einsicht in den Gegenstand bekundet und in seinen Komödien 1,3, Lsralirm, 1a Hiirnme-z, 1a LMilWa u. a. die ersten Borbilder für die später so scharf ausgeprägte» Gattungen des spanischen Dramas aufstellte. Besonders charakteristisch für die¬ selben ist die Eintheilung in fünf Jvrnadas (Aete, eigentlich Tagereisen) und die durchgängige Anwendung gereimter Trochäen. Naharro und Gil Vicente waren indeß die einzigen höher strebenden Dramatiker in einer Zeit, in der die spanische ^) Früher zwei Verfassern zugeschrieben, wahrscheinlich aber von Fernando de Rojns. Bergl. Schacks Znsntze zum 3. Bande seines oben genannten Werkes.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/230>, abgerufen am 23.07.2024.