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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

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El" Jugendfreund Goethes

Mit solchen lind andern "unschädlichen Thorheiten" vergeudete Goethe, wie
er sich selbst ausdrückt, bei Behrisch manche werthvolle Stunde, Oft lagen beide
lange im Fenster, während sich Behrisch, der den Leipzigern gar nicht zugethan war,
über alle Vorübergehenden lustig Machte, dabei auch genau und umständlich angab,
wie sie sich eigentlich zu kleiden hätten, wie sie gehen und sich betragen müßten,
"in als ordentliche Leute zu erscheinen. Seine Vorschläge liefen dann meist auf
etwas Abgeschmacktes hinaus, so daß die Hörer nicht sowohl über die Leute
auf der Straße, als über Behrischs Idee" lachten, "In allen solchen Dingen
ging er ganz unbarmherzig zu Werk, ohne daß er nur im mindesten boshaft
gewesen wäre," Dann ärgerten ihn die Freunde wieder, indem sie ihm ver¬
sicherten, nach seinem Aeußern müsse man ihn, wo nicht sür einen französischen
Tanzmeister, doch wenigstens für den akademischen Sprachmeister ansehen; woraus
er wieder stundenlang expliciren konnte, welch himmelweiter Unterschied zwischen
ihm und einem alten Franzosen sei, und wobei er gewöhnlich den Freunden die
ungeschicktesten Vorschlage rücksichtlich seiner Garderobe aufbürdete. Eine andre
Fenstergeschichte erzählte Goethe später Eckermann (Gespr, II,, 176). Wenn er
mit Behrisch im Fenster lag und der Briefträger von Haus zu Haus ging und
immer näher kam, nahm Behrisch gewöhnlich einen Groschen aus der Tasche
und legte ihn neben sich ins Fenster. "Siehst dn den Briefträger," sagte er
dann zu Goethe, "er kommt immer näher und wird gleich hier oben sein. Er
hat einen Brief an dich, und was für einen, keinen gewöhnlichen, einen Brief
mit einen, Wechsel -- mit einem Wechsel! ich will nicht sagen, wie stark. Siehst
du, jetzt kommt er. Nein! Aber er wird gleich kommen. Jetzt -- hier, hier
hereii?, mein Freund, hier herein! -- Er geht vorbei? Wie dumm! o wie
dumm!! Wie kann einer nur so unverantwortlich handeln! so mwerantwortlich
gegen dich und gegen sich selbst, indem er sich um einen Groschen bringt, den
ich schon für ihn zurecht gelegt hatte und den ich nun wieder einstecke."

Als sich Behrisch mit den neuen Freunden eingelebt hatte, suchte er die¬
selben auch abends im Weinhause auf, "wohin er jedoch niemals anders als in
Schuhen und Strümpfen, den Degen an der Seite und gewöhnlich den Hut
unterm Arm" kam. Die Späße und Thorheiten, die er insgemein angab, gingen
ins Unendliche, Mit vielem Behagen erzählt Goethe in "Dichtung und Wahr¬
heit" die Geschichte von dem Freunde, der den Kreis jeden Abend Punkt zehn
Uhr zu einem Stelldichein zu verlassen pflegte. Die jungen Leute vermißten
ihn ungern, und Behrisch nahm sich an einem besonders lustigen Abend im
stillen vor, ihn diesmal nicht wegzulassen. Mit dem Schlage zehn stand jener
ans, Behrisch rief ihm zu, einen Augenblick zu warten, da er mitgehen wolle. Nun
begann er auf die anmuthigste Weise erst nach seinem Degen zu suchen, der dicht


El» Jugendfreund Goethes

Mit solchen lind andern „unschädlichen Thorheiten" vergeudete Goethe, wie
er sich selbst ausdrückt, bei Behrisch manche werthvolle Stunde, Oft lagen beide
lange im Fenster, während sich Behrisch, der den Leipzigern gar nicht zugethan war,
über alle Vorübergehenden lustig Machte, dabei auch genau und umständlich angab,
wie sie sich eigentlich zu kleiden hätten, wie sie gehen und sich betragen müßten,
»in als ordentliche Leute zu erscheinen. Seine Vorschläge liefen dann meist auf
etwas Abgeschmacktes hinaus, so daß die Hörer nicht sowohl über die Leute
auf der Straße, als über Behrischs Idee» lachten, „In allen solchen Dingen
ging er ganz unbarmherzig zu Werk, ohne daß er nur im mindesten boshaft
gewesen wäre," Dann ärgerten ihn die Freunde wieder, indem sie ihm ver¬
sicherten, nach seinem Aeußern müsse man ihn, wo nicht sür einen französischen
Tanzmeister, doch wenigstens für den akademischen Sprachmeister ansehen; woraus
er wieder stundenlang expliciren konnte, welch himmelweiter Unterschied zwischen
ihm und einem alten Franzosen sei, und wobei er gewöhnlich den Freunden die
ungeschicktesten Vorschlage rücksichtlich seiner Garderobe aufbürdete. Eine andre
Fenstergeschichte erzählte Goethe später Eckermann (Gespr, II,, 176). Wenn er
mit Behrisch im Fenster lag und der Briefträger von Haus zu Haus ging und
immer näher kam, nahm Behrisch gewöhnlich einen Groschen aus der Tasche
und legte ihn neben sich ins Fenster. „Siehst dn den Briefträger," sagte er
dann zu Goethe, „er kommt immer näher und wird gleich hier oben sein. Er
hat einen Brief an dich, und was für einen, keinen gewöhnlichen, einen Brief
mit einen, Wechsel — mit einem Wechsel! ich will nicht sagen, wie stark. Siehst
du, jetzt kommt er. Nein! Aber er wird gleich kommen. Jetzt — hier, hier
hereii?, mein Freund, hier herein! — Er geht vorbei? Wie dumm! o wie
dumm!! Wie kann einer nur so unverantwortlich handeln! so mwerantwortlich
gegen dich und gegen sich selbst, indem er sich um einen Groschen bringt, den
ich schon für ihn zurecht gelegt hatte und den ich nun wieder einstecke."

Als sich Behrisch mit den neuen Freunden eingelebt hatte, suchte er die¬
selben auch abends im Weinhause auf, „wohin er jedoch niemals anders als in
Schuhen und Strümpfen, den Degen an der Seite und gewöhnlich den Hut
unterm Arm" kam. Die Späße und Thorheiten, die er insgemein angab, gingen
ins Unendliche, Mit vielem Behagen erzählt Goethe in „Dichtung und Wahr¬
heit" die Geschichte von dem Freunde, der den Kreis jeden Abend Punkt zehn
Uhr zu einem Stelldichein zu verlassen pflegte. Die jungen Leute vermißten
ihn ungern, und Behrisch nahm sich an einem besonders lustigen Abend im
stillen vor, ihn diesmal nicht wegzulassen. Mit dem Schlage zehn stand jener
ans, Behrisch rief ihm zu, einen Augenblick zu warten, da er mitgehen wolle. Nun
begann er auf die anmuthigste Weise erst nach seinem Degen zu suchen, der dicht


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[0023] El» Jugendfreund Goethes Mit solchen lind andern „unschädlichen Thorheiten" vergeudete Goethe, wie er sich selbst ausdrückt, bei Behrisch manche werthvolle Stunde, Oft lagen beide lange im Fenster, während sich Behrisch, der den Leipzigern gar nicht zugethan war, über alle Vorübergehenden lustig Machte, dabei auch genau und umständlich angab, wie sie sich eigentlich zu kleiden hätten, wie sie gehen und sich betragen müßten, »in als ordentliche Leute zu erscheinen. Seine Vorschläge liefen dann meist auf etwas Abgeschmacktes hinaus, so daß die Hörer nicht sowohl über die Leute auf der Straße, als über Behrischs Idee» lachten, „In allen solchen Dingen ging er ganz unbarmherzig zu Werk, ohne daß er nur im mindesten boshaft gewesen wäre," Dann ärgerten ihn die Freunde wieder, indem sie ihm ver¬ sicherten, nach seinem Aeußern müsse man ihn, wo nicht sür einen französischen Tanzmeister, doch wenigstens für den akademischen Sprachmeister ansehen; woraus er wieder stundenlang expliciren konnte, welch himmelweiter Unterschied zwischen ihm und einem alten Franzosen sei, und wobei er gewöhnlich den Freunden die ungeschicktesten Vorschlage rücksichtlich seiner Garderobe aufbürdete. Eine andre Fenstergeschichte erzählte Goethe später Eckermann (Gespr, II,, 176). Wenn er mit Behrisch im Fenster lag und der Briefträger von Haus zu Haus ging und immer näher kam, nahm Behrisch gewöhnlich einen Groschen aus der Tasche und legte ihn neben sich ins Fenster. „Siehst dn den Briefträger," sagte er dann zu Goethe, „er kommt immer näher und wird gleich hier oben sein. Er hat einen Brief an dich, und was für einen, keinen gewöhnlichen, einen Brief mit einen, Wechsel — mit einem Wechsel! ich will nicht sagen, wie stark. Siehst du, jetzt kommt er. Nein! Aber er wird gleich kommen. Jetzt — hier, hier hereii?, mein Freund, hier herein! — Er geht vorbei? Wie dumm! o wie dumm!! Wie kann einer nur so unverantwortlich handeln! so mwerantwortlich gegen dich und gegen sich selbst, indem er sich um einen Groschen bringt, den ich schon für ihn zurecht gelegt hatte und den ich nun wieder einstecke." Als sich Behrisch mit den neuen Freunden eingelebt hatte, suchte er die¬ selben auch abends im Weinhause auf, „wohin er jedoch niemals anders als in Schuhen und Strümpfen, den Degen an der Seite und gewöhnlich den Hut unterm Arm" kam. Die Späße und Thorheiten, die er insgemein angab, gingen ins Unendliche, Mit vielem Behagen erzählt Goethe in „Dichtung und Wahr¬ heit" die Geschichte von dem Freunde, der den Kreis jeden Abend Punkt zehn Uhr zu einem Stelldichein zu verlassen pflegte. Die jungen Leute vermißten ihn ungern, und Behrisch nahm sich an einem besonders lustigen Abend im stillen vor, ihn diesmal nicht wegzulassen. Mit dem Schlage zehn stand jener ans, Behrisch rief ihm zu, einen Augenblick zu warten, da er mitgehen wolle. Nun begann er auf die anmuthigste Weise erst nach seinem Degen zu suchen, der dicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/23>, abgerufen am 23.07.2024.