Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
cLin Iugendftound Goethes.

Dies Versprechen nahm Behrisch völlig ernst, ein Beweis seiner Neigung
zu Goethe und seiner Schätzung der Goethischen Poesie, selbst in ihren An¬
sängen. Aber indem er an die Ausführung seiner Zusage ging, zeigte sich wieder
sein ganzes umständliches, wählerisches Wesen, Wochen vergingen, ehe er das
entsprechende Papier fand, mit sich über das Format einig wurde, die Breite
des Barth und die Form der Schrift feststellte, die Rabenfedern herbeischaffte
und die Tusche einrieb. Ging er dann ans Schreiben, so erfüllte ihn wieder
die umständlichste Genauigkeit, bis er endlich nach und nach "ein allerliebstes
Manuseript" zusammenbrachte. "Die Titel der Gedichte waren Fractur, die
Verse selbst von einer stehenden sächsischen Handschrift, an dem Ende eines jeden
Gedichts eine analoge Vignette, die er entweder irgendwo ausgewählt oder auch
wohl selbst erfunden hatte, wobei er die Schmffuren der Holzschnitte und Drucker¬
stöcke, die man bei solcher Gelegenheit braucht, gar zierlich nachzuahmen wußte."
Kam Goethe dazu, wenn er arbeitete, so rühmte er ihm in komisch-pathetischer
Weise das Glück, sich in so vortrefflicher Handschrift, die weit über alle Leistungen
der Druckerpresse hinausgehe, verewigt zu sehen. Bei solchen Gelegenheiten sprach
er dann überhaupt mit Verachtung von der Buchdruckerei, machte den Setzer
nach, spottete über dessen Geberde, über das eilige Hin- und Hergreifen und
leitete aus diesem Manöver alles Unglück der Literatur her. Dagegen erhob
er den Anstand und die edle Stellung eines Schreibenden, setzte sich dann, sie
dem Freunde zu zeigen, wobei er freilich wieder schalt, daß sich niemand nach
seinem Vorbilde am Schreibtisch betrüge. Zuletzt kam er immer noch einmal
auf den Contrast mit dem Setzer zurück, kehrte einen angefangnen Brief das
oberste zu unterst und zeigte, wie unanständig es sei, etwa von unten nach oben,
oder von der Rechten zur Linken zu schreiben und was der Dinge mehr waren,
womit man ganze Bünde anfüllen könnte.

Von der Rückwirkung dieses Abschreibens ans seine eigne dichterische Pro-
duction bemerkt Goethe: "Die Richtung meines Dichtens, das ich nnr um desto
eifriger trieb, als die Abschrift schöner und sorgfältiger vorrückte, neigte sich
nunmehr gänzlich zum Natürlichen, zum Wahren; und wenn die Gegenstände
anch nicht immer bedeutend sein konnten, so suchte ich sie doch immer rein und
scharf auszudrücken, umsomehr, als mein Freund mir öfters zu bedenken gab, was
das heißen wolle, einen Vers mit der Nabenseder und Tusche auf holländisch
Papier schreiben, was dazu für Zeit, Talent und Anstrengung gehöre, die man
an nichts Leeres und Ueberflüssiges verschwenden dürfe. Dabei pflegte er ge¬
wöhnlich ein fertiges Heft aufzuschlagen und umständlich auseinanderzusetzen,
was an dieser oder jener Stelle nicht stehen dürfe, und uus glücklich zu Preisen,
daß es wirklich nicht dastehe."


cLin Iugendftound Goethes.

Dies Versprechen nahm Behrisch völlig ernst, ein Beweis seiner Neigung
zu Goethe und seiner Schätzung der Goethischen Poesie, selbst in ihren An¬
sängen. Aber indem er an die Ausführung seiner Zusage ging, zeigte sich wieder
sein ganzes umständliches, wählerisches Wesen, Wochen vergingen, ehe er das
entsprechende Papier fand, mit sich über das Format einig wurde, die Breite
des Barth und die Form der Schrift feststellte, die Rabenfedern herbeischaffte
und die Tusche einrieb. Ging er dann ans Schreiben, so erfüllte ihn wieder
die umständlichste Genauigkeit, bis er endlich nach und nach „ein allerliebstes
Manuseript" zusammenbrachte. „Die Titel der Gedichte waren Fractur, die
Verse selbst von einer stehenden sächsischen Handschrift, an dem Ende eines jeden
Gedichts eine analoge Vignette, die er entweder irgendwo ausgewählt oder auch
wohl selbst erfunden hatte, wobei er die Schmffuren der Holzschnitte und Drucker¬
stöcke, die man bei solcher Gelegenheit braucht, gar zierlich nachzuahmen wußte."
Kam Goethe dazu, wenn er arbeitete, so rühmte er ihm in komisch-pathetischer
Weise das Glück, sich in so vortrefflicher Handschrift, die weit über alle Leistungen
der Druckerpresse hinausgehe, verewigt zu sehen. Bei solchen Gelegenheiten sprach
er dann überhaupt mit Verachtung von der Buchdruckerei, machte den Setzer
nach, spottete über dessen Geberde, über das eilige Hin- und Hergreifen und
leitete aus diesem Manöver alles Unglück der Literatur her. Dagegen erhob
er den Anstand und die edle Stellung eines Schreibenden, setzte sich dann, sie
dem Freunde zu zeigen, wobei er freilich wieder schalt, daß sich niemand nach
seinem Vorbilde am Schreibtisch betrüge. Zuletzt kam er immer noch einmal
auf den Contrast mit dem Setzer zurück, kehrte einen angefangnen Brief das
oberste zu unterst und zeigte, wie unanständig es sei, etwa von unten nach oben,
oder von der Rechten zur Linken zu schreiben und was der Dinge mehr waren,
womit man ganze Bünde anfüllen könnte.

Von der Rückwirkung dieses Abschreibens ans seine eigne dichterische Pro-
duction bemerkt Goethe: „Die Richtung meines Dichtens, das ich nnr um desto
eifriger trieb, als die Abschrift schöner und sorgfältiger vorrückte, neigte sich
nunmehr gänzlich zum Natürlichen, zum Wahren; und wenn die Gegenstände
anch nicht immer bedeutend sein konnten, so suchte ich sie doch immer rein und
scharf auszudrücken, umsomehr, als mein Freund mir öfters zu bedenken gab, was
das heißen wolle, einen Vers mit der Nabenseder und Tusche auf holländisch
Papier schreiben, was dazu für Zeit, Talent und Anstrengung gehöre, die man
an nichts Leeres und Ueberflüssiges verschwenden dürfe. Dabei pflegte er ge¬
wöhnlich ein fertiges Heft aufzuschlagen und umständlich auseinanderzusetzen,
was an dieser oder jener Stelle nicht stehen dürfe, und uus glücklich zu Preisen,
daß es wirklich nicht dastehe."


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0022" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/149594"/>
          <fw type="header" place="top"> cLin Iugendftound Goethes.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_49"> Dies Versprechen nahm Behrisch völlig ernst, ein Beweis seiner Neigung<lb/>
zu Goethe und seiner Schätzung der Goethischen Poesie, selbst in ihren An¬<lb/>
sängen. Aber indem er an die Ausführung seiner Zusage ging, zeigte sich wieder<lb/>
sein ganzes umständliches, wählerisches Wesen, Wochen vergingen, ehe er das<lb/>
entsprechende Papier fand, mit sich über das Format einig wurde, die Breite<lb/>
des Barth und die Form der Schrift feststellte, die Rabenfedern herbeischaffte<lb/>
und die Tusche einrieb. Ging er dann ans Schreiben, so erfüllte ihn wieder<lb/>
die umständlichste Genauigkeit, bis er endlich nach und nach &#x201E;ein allerliebstes<lb/>
Manuseript" zusammenbrachte. &#x201E;Die Titel der Gedichte waren Fractur, die<lb/>
Verse selbst von einer stehenden sächsischen Handschrift, an dem Ende eines jeden<lb/>
Gedichts eine analoge Vignette, die er entweder irgendwo ausgewählt oder auch<lb/>
wohl selbst erfunden hatte, wobei er die Schmffuren der Holzschnitte und Drucker¬<lb/>
stöcke, die man bei solcher Gelegenheit braucht, gar zierlich nachzuahmen wußte."<lb/>
Kam Goethe dazu, wenn er arbeitete, so rühmte er ihm in komisch-pathetischer<lb/>
Weise das Glück, sich in so vortrefflicher Handschrift, die weit über alle Leistungen<lb/>
der Druckerpresse hinausgehe, verewigt zu sehen. Bei solchen Gelegenheiten sprach<lb/>
er dann überhaupt mit Verachtung von der Buchdruckerei, machte den Setzer<lb/>
nach, spottete über dessen Geberde, über das eilige Hin- und Hergreifen und<lb/>
leitete aus diesem Manöver alles Unglück der Literatur her. Dagegen erhob<lb/>
er den Anstand und die edle Stellung eines Schreibenden, setzte sich dann, sie<lb/>
dem Freunde zu zeigen, wobei er freilich wieder schalt, daß sich niemand nach<lb/>
seinem Vorbilde am Schreibtisch betrüge. Zuletzt kam er immer noch einmal<lb/>
auf den Contrast mit dem Setzer zurück, kehrte einen angefangnen Brief das<lb/>
oberste zu unterst und zeigte, wie unanständig es sei, etwa von unten nach oben,<lb/>
oder von der Rechten zur Linken zu schreiben und was der Dinge mehr waren,<lb/>
womit man ganze Bünde anfüllen könnte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_50"> Von der Rückwirkung dieses Abschreibens ans seine eigne dichterische Pro-<lb/>
duction bemerkt Goethe: &#x201E;Die Richtung meines Dichtens, das ich nnr um desto<lb/>
eifriger trieb, als die Abschrift schöner und sorgfältiger vorrückte, neigte sich<lb/>
nunmehr gänzlich zum Natürlichen, zum Wahren; und wenn die Gegenstände<lb/>
anch nicht immer bedeutend sein konnten, so suchte ich sie doch immer rein und<lb/>
scharf auszudrücken, umsomehr, als mein Freund mir öfters zu bedenken gab, was<lb/>
das heißen wolle, einen Vers mit der Nabenseder und Tusche auf holländisch<lb/>
Papier schreiben, was dazu für Zeit, Talent und Anstrengung gehöre, die man<lb/>
an nichts Leeres und Ueberflüssiges verschwenden dürfe. Dabei pflegte er ge¬<lb/>
wöhnlich ein fertiges Heft aufzuschlagen und umständlich auseinanderzusetzen,<lb/>
was an dieser oder jener Stelle nicht stehen dürfe, und uus glücklich zu Preisen,<lb/>
daß es wirklich nicht dastehe."</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0022] cLin Iugendftound Goethes. Dies Versprechen nahm Behrisch völlig ernst, ein Beweis seiner Neigung zu Goethe und seiner Schätzung der Goethischen Poesie, selbst in ihren An¬ sängen. Aber indem er an die Ausführung seiner Zusage ging, zeigte sich wieder sein ganzes umständliches, wählerisches Wesen, Wochen vergingen, ehe er das entsprechende Papier fand, mit sich über das Format einig wurde, die Breite des Barth und die Form der Schrift feststellte, die Rabenfedern herbeischaffte und die Tusche einrieb. Ging er dann ans Schreiben, so erfüllte ihn wieder die umständlichste Genauigkeit, bis er endlich nach und nach „ein allerliebstes Manuseript" zusammenbrachte. „Die Titel der Gedichte waren Fractur, die Verse selbst von einer stehenden sächsischen Handschrift, an dem Ende eines jeden Gedichts eine analoge Vignette, die er entweder irgendwo ausgewählt oder auch wohl selbst erfunden hatte, wobei er die Schmffuren der Holzschnitte und Drucker¬ stöcke, die man bei solcher Gelegenheit braucht, gar zierlich nachzuahmen wußte." Kam Goethe dazu, wenn er arbeitete, so rühmte er ihm in komisch-pathetischer Weise das Glück, sich in so vortrefflicher Handschrift, die weit über alle Leistungen der Druckerpresse hinausgehe, verewigt zu sehen. Bei solchen Gelegenheiten sprach er dann überhaupt mit Verachtung von der Buchdruckerei, machte den Setzer nach, spottete über dessen Geberde, über das eilige Hin- und Hergreifen und leitete aus diesem Manöver alles Unglück der Literatur her. Dagegen erhob er den Anstand und die edle Stellung eines Schreibenden, setzte sich dann, sie dem Freunde zu zeigen, wobei er freilich wieder schalt, daß sich niemand nach seinem Vorbilde am Schreibtisch betrüge. Zuletzt kam er immer noch einmal auf den Contrast mit dem Setzer zurück, kehrte einen angefangnen Brief das oberste zu unterst und zeigte, wie unanständig es sei, etwa von unten nach oben, oder von der Rechten zur Linken zu schreiben und was der Dinge mehr waren, womit man ganze Bünde anfüllen könnte. Von der Rückwirkung dieses Abschreibens ans seine eigne dichterische Pro- duction bemerkt Goethe: „Die Richtung meines Dichtens, das ich nnr um desto eifriger trieb, als die Abschrift schöner und sorgfältiger vorrückte, neigte sich nunmehr gänzlich zum Natürlichen, zum Wahren; und wenn die Gegenstände anch nicht immer bedeutend sein konnten, so suchte ich sie doch immer rein und scharf auszudrücken, umsomehr, als mein Freund mir öfters zu bedenken gab, was das heißen wolle, einen Vers mit der Nabenseder und Tusche auf holländisch Papier schreiben, was dazu für Zeit, Talent und Anstrengung gehöre, die man an nichts Leeres und Ueberflüssiges verschwenden dürfe. Dabei pflegte er ge¬ wöhnlich ein fertiges Heft aufzuschlagen und umständlich auseinanderzusetzen, was an dieser oder jener Stelle nicht stehen dürfe, und uus glücklich zu Preisen, daß es wirklich nicht dastehe."

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/22
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157699/22>, abgerufen am 23.07.2024.